Bistum Osnabrück reagiert auf Studie zu sexuellem Missbrauch

Aufarbeitung muss weitergehen

Vier Personen sitzen an einem Tisch und haben Mikrofone vor sich

Foto: Matthias Petersen

Ilona Düing (v.l.), Heinz-Wilhelm Brockmann, Generalvikar Ulrich Beckwermert und Pressesprecher Kai Menningmann traten vor die Presse.

Vor einer Woche hat die Universität Osnabrück eine Studie zum sexuellen Missbrauch in den Bistümern Osnabrück und Hamburg veröffentlicht. Jetzt war es an der Zeit, dass die Osnabrücker Bistumsleitung darauf reagiert. Statt des Bischofs saß aber Generalvikar Ulrich Beckwermert auf dem Podium. Der Betroffenenrat lädt außerdem zu einer Info-Veranstaltung ein.

Der Grund für den personellen Tausch war schnell erklärt: Bischof Dominicus sei akut erkrankt, habe aber von allen Vorgängen Kenntnis, sagt der Generalvikar, der zunächst auf die in der Studie vorgelegten Zahlen einging. Demnach haben in der Zeit von 1945 bis heute 122 Kleriker weit über 400 Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht. Diese Zahlen brächten eine Wirklichkeit über die Vergangenheit zum Ausdruck, aus der er als heute Verantwortlicher drei Schlüsse ziehen wolle: „Wir dürfen nicht nachlassen darin, die Aufarbeitung des Erlebten weiter zu betreiben, Betroffene bestmöglich zu unterstützen und alles Erdenkliche dafür zu tun, dass sexualisierte Gewalt im Raum der Kirche keine Zukunft mehr hat.“

Die Wissenschaftler der Uni haben in ihrer Studie sich wiederholende Erzählstränge ausgemacht, die sie Narrative nennen. Außerdem geben sie szenische Einblicke in das Geschehen von sexuellem Missbrauch. Beides sei eindrückliches Material, das insbesondere in die Prävention und in die Bildungsarbeit im Bistum Osnabrück einfließen solle. Ein „fühlendes Verstehen“, wie von den Wissenschaftlern benannt, solle weiter gefördert werden. „Wir brauchen das, um Wahrnehmungen zu schärfen und der verheerenden Schweigespirale den Boden zu entziehen.“ Zudem soll mit dem Betroffenenrat Nord geprüft werden, wie Betroffene in den weiteren Diskurs und in diözesane Gremien einbezogen werden können.

Die Schritte, die das Bistum in der jüngeren Vergangenheit getan habe – sie sind unter der Überschrift "diözesaner Schutzprozess“ zusammenzufassen – sollten gemeinsam von allen Beteiligten kontinuierlich weiterentwickelt werden, so Beckwermert, der sich freute, dass die Studie dem Bistum für die vergangenen zwei Jahre eine steil nach oben gerichtete Lernkurve zeigten.

"Dieses Leid wirkt sich für viele bis in die heutige Zeit aus"

Mit auf dem Podium saß Ilona Düing, Mitglied im Sprecherteam des Betroffenenrats. Der Abschlussbericht, der Böses ans Licht gebracht habe, mache die Betroffenen sexualisierter Gewalt fassungslos. Das Leid treffe nicht allein die primär Betroffenen, sondern auch Familien, Ehepartner, Kinder, Eltern oder Freunde. Nicht zuletzt auch die Gläubigen und Mitglieder einer Pfarrei. „Dieses Leid wirkt sich für viele bis in die heutige Zeit aus. Das erleben wir als Betroffenen jeden Tag erneut hautnah.“

In der Studie zeige sich nur die Spitze des Eisbergs. Sie müsse nun eine Grundlage zur weiteren Aufarbeitung sein. „Und ich hoffe vorsichtig, dass diese vom Bistum nun ernsthaft, zügig, vollumfänglich und in echter Sorge um uns Betroffene angegangen wird.“ Noch heute sei zu erleben, dass das zu zaghaft geschehe. Sie selbst sei erst vor nicht langer Zeit gefragt worden, ob der Mann, der ihr gegenüber zum Täter und nach ihrer Anzeige von allen Ämtern entpflichtet wurde, nicht wieder pastoral tätig sein könne. In der Gemeinde sei personeller Mangel und er langweile sich doch.

Düing ging auch auf Vorwürfe der Studie ein, die das Erzbistum Hamburg betreffen. Dort würden Tatverdächtige, bei denen Anerkennungsleistungen an Betroffene geflossen sind, im Amt bleiben, wenn keine eindeutigen Beweise oder ein Geständnis vorlägen. Dabei hielte die Kirche durch die Anerkennungsleistung doch die Vorwürfe für plausibel. Ein Sprecher des Erzbistums sagte auf Anfrage des Kirchenboten Osnabrück, es sei sicherlich unglücklich, die Vorwürfe in diesem Zusammenhang zu äußern, wenn niemand aus Hamburg bei der Pressekonferenz anwesend war. „Wir müssen darüber direkt reden“, so der Sprecher, „und das Gespräch werden wir aktiv suchen.“

Der Betroffenenrat Nord lädt Menschen, die sexualisierte Gewalt im Rahmen der Kirche erlebt haben, zu einem Austausch ein. Die Infoveranstaltung findet am Samstag, 19. Oktober, von 15 bis 17 Uhr im Osnabrücker Hotel Holiday In, Niedersachsenstraße 5, statt. Die Veranstaltung wird von Max Ciolek moderiert. Er ist Mitglied der Steuerungsgruppe der Studie. Die Mitglieder des Betroffenenrates informieren unter anderem über ihre Arbeit. Außerdem geben sie Hinweise zu Hilfsangeboten und Unterstützungsmöglichkeiten unter anderem bei Anträgen und dazu, wie man eine Anzeige über Missbrauch stellen kann. Ein weiteres Thema wird die Studie der Uni sein. Der Betroffenenrat wird diese vorstellen und die Konsequenzen benennen, die er daraus zieht. Infos dazu beim Betroffenenrat.

Matthias Petersen