Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fordern Umdenken im Bistum

„Aus dem Innersten“

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Mehr demokratische Strukturen, eine zeitgemäße Sexualmoral und Umdenken in Sachen Pflichtzölibat – fordern Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bistums und der Caritas. Breite Zustimmung auch aus den Reihen der Priester.


„Forderungen aus dem Innersten der katholischen Kirche.“
– So antworteten die Priester des Bistums.

Welche Lehren können aus der Vergangenheit gezogen werden in Sachen sexualisierter Gewalt? Auch darum geht es bei der Missbrauchs-Studie, die vergangene Woche in Hildesheim vorgestellt wurde. Denn die Ergebnisse der 400 Seiten umfassenden Untersuchung der externen Fachleute geht auch der Frage nach, welche Strukturen die bekannt gewordenen Verbrechen vor allem an Kindern und Jugendlichen möglich gemacht und gefördert haben. Ihr Ergebnis: Nicht nur Verschweigen und Vertuschen habe zum System gehört, die Verklärung des Priesterbildes und eine überholte Sexuallehre seien wesentliche Voraussetzungen gewesen.

Hier muss es grundsätzliche Veränderungen geben, empfahlen die Fachleute. Gestützt wird ihr Rat durch die Auswertung einer Fragebogenaktion im Zusammenhang mit der Studie: Alle ehemaligen und derzeitig aktiven Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren im Vorfeld von Bischof Heiner Wilmer gebeten worden, einen umfangreichen Fragebogen auszufüllen, der nicht nur eigene Erfahrungen und Beobachtungen rund um das Thema Missbrauch zum Inhalt hatte, sondern ebenso die innerkirchlichen Strukturen. Das Ergebnis von fast 2200 Rückmeldungen wurde von den Experten so zusammengefasst: „Unsere Erhebungen zeigen, dass eine große Mehrheit der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für tiefgreifende Änderungen in der katholischen Sexualmoral und beim Pflichtzölibat plädieren.“ Positiv bewertet werde zudem eine breitere Beteiligung von Frauen in Leitungspositionen und im Pries­teramt.

Einige Details: Die generelle Forderung, dass die katholische Kirche demokratischer werden muss, stößt bei rund 65 Prozent auf volle Zustimmung. Einschließlich der „stimme eher zu“-Bewertungen liegt sie bei über 90 Prozent. Auch die Zugangsgewährung von Frauen zum Priesteramt wird kaum weniger befürwortet: Knapp 82 Prozent äußern sich zustimmmend, davon 64 Prozent voll und ganz. Die Geistlichen unterstützen – unabhängig vom Alter, allerdings mit stärkeren Ambivalenzen – diese Forderung. Wobei sich jene Geistlichen, die eine Demokratisierung ablehnen, auch überwiegend gegen einen Zugang der Frauen zum Priesteramt aussprechen.

Bei der Frage der Stellung von Frauen gibt es ebenfalls eine deutliche Tendenz: Knapp 84 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Caritas und gut 73 Prozent aus den Reihen des Bistums wünschen sich, dass in der katholischen Kirche Frauen schnellstmöglich und gleichberechtigt Leitungsverantwortung übernehmen sollen. Auch mehr als die Hälfte der geistlichen Mitarbeiter stimmen dieser Forderung zu, wobei nur 9 Prozent dieser Gruppe ausdrücklich widersprechen.

Eine überwiegende Mehrheit spricht sich für einen Wandel in der katholischen Sexualmoral aus. Auch das Pflichtzölibat wirkt auf sie wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten: Nur 7,5 Prozent der Befragten befürworten seine Aufrechterhaltung. Und selbst unter den Geistlichen gibt es doppelt so viele klare Gegner wie Befürworter des Zölibats.

Ein weiteres Thema: Macht und Autorität. Frage: Sollte die kathoische Kirche sich unter dem Eindruck der Missbrauchsfälle aktiver mit ihren Machtstrukturen und dem priesterlichen Rollenverständnis auseinandersetzen? Auch diese Frage wird mehrheitlich bejaht.

Die Brisanz der Ergebnisse fasst das Expertenteam so zusammen: „Die Forderungen nach Veränderungen sind Forderungen aus dem Innersten der katholischen Kirche, werden von den eigenen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen erhoben, unabhängig davon, ob sie weltliche oder geistliche Mitarbeitende sind.“

Die detaillierten Untersuchungsergebnisse sind nachzulesen im zweiten Band des Abschlussberichts der Expertengruppe zum Projekt „Wissen Teilen“, abrufbar auf der Homepage des Bistums, www.bistum-hildesheim.de/aufarbeitung-missbrauch

Stefan Branahl