Venezuela könnte eines der reichsten Ländern der Erde sein, stattdessen fliehen fast so viele Menschen wie aus Syrien. Eine ist die Journalistin Cecilia Rodríguez Nuevo.

Aus einem zerstörten Land

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Allein in Leipzig sind im vergangenen Jahr 155 Venezolaner in der Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge aufgenommen worden, fast jede Woche treffen weitere ein.

Cecilia Rodríguez Nuevo kam vor drei Jahren als Asylbewerberin nach Leipz. – Foto: Dorothee Wanzek

Von Dorothee Wanzek
„Der Alltag in meinem Heimatland ist für viele zum Überlebenskampf geworden“, sagt die Foto-Journalistin Cecilia Rodriguez, die bereits vor drei Jahren nach Leipzig kam: Lebensmittel sind nahezu unerschwinglich geworden, Strom gibt es nur sporadisch, die medizinische Versorgung funktioniert nicht mehr, mit brutalen bewaffneten Milizen schüchtert die Regierung die Bevölkerung ein ... „In mancherlei Hinsicht ähneln die Lebensumstände denen während des Zweiten Weltkriegs in Deutschland“, glaubt die 49-Jährige Venezolanerin. Die sozialistische Diktatur hat das wegen seiner reichen Ölvorkommen einst hoffnungsvolle Land zugrunde gerichtet.
Sie selbst ist bereits vor zehn Jahren geflohen, weil sie Todesangst hatte: „Ich wurde bedroht und verfolgt, weil ich Journalistin bin“. Mehrfach haben Milizionäre sie daran gehindert, bei Demonstrationen ihrer Arbeit nachzugehen. Sie haben sie ins Gesicht geschlagen, ihre Ausrüstung zerstört, zweimal drangen sie in die Redaktionsräume ihrer Zeitung – eines regimekritischen Blattes – ein, hielten ihr eine Pistole an den Kopf und forderten sie auf, ihren Beruf aufzugeben. Schließlich wurde ihr Besitz enteignet. Die Nationalgarde nahm das Haus weg, das sie mit einer Gruppe von Kollegen gekauft hatte. Zwei Monate später verließ sie das Land. Ihr Verleger hatte ihr einen Job in Panama vermittelt. Nach sechseinhalb Jahren wurde es auch hier unerträglich für sie. Recherchen, die in Zusammenhang mit dem internationalen Panama-Papers-Skandal stehen, brachten sie in Schwierigkeiten. Zudem litt sie unter massiver Fremdenfeindlichkeit. „Obwohl uns mit den Panamaern das Spanische als gemeinsame Muttersprache verbindet, verging keine Woche, ohne dass mir klargemacht wurde, dass ich als Ausländerin in diesem Land nicht willkommen bin.“
Nach Deutschland gelangte sie eher zufällig, eine nicaraguanische Freundin, die in Hamburg lebt, hatte ihr diesen Vorschlag gemacht. Anders als die meisten ihrer Landsleute hat sie ohne größere Schwierigkeiten einen Aufenthaltsstatus erhalten. Da sie insgesamt 83 Beweise für ihre Verfolgung beibringen konnte, bestätigt unter anderem von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, erhielt sie politisches Asyl. Durch Sprachkurse bereitet sie sich gerade darauf vor, auch in Deutschland in ihrem Beruf zu arbeiten.
Ausländerfeindlichkeit hat sie hier noch nicht persönlich erlebt, auch wenn sie zwischenzeitlich im erzgebirgischen Zschopau untergebracht war und dort direkt neben einem Neonazi-Treffpunkt wohnte. Auch wenn sie gerne wieder nach Leipzig zurückgekehrt ist, birgt das Leben hier für sie doch manche Schwierigkeiten. Sie vermisst ihre Mutter und ihren Bruder, die noch immer in ihrer Heimatstadt Cabimas leben. Die übrigen Verwandten sind in alle Welt verstreut. An tropisches Klima gewöhnt, setzt die deutsche Kälte ihr zu. Zu „kauen“ hat sie auch daran, dass sie unter den hiesigen Venezolanern auch auf einige trifft, die auf Seiten ihrer Unterdrücker standen, etwa als Regierungsspitzel unter dem Regime von Hugo Chavez oder als Polizisten. Schon öfter hat sie darüber nachgedacht, ob sie als Christin nicht verpflichtet wäre, versöhnlich auf diese Landsleute zuzugehen. Doch sie hat sich entschieden, ihnen lieber aus dem Weg zu gehen. „Ihnen zu verzeihen, scheint mir unmöglich. Sie lassen keinerlei Reue erkennen. Dabei haben sie Mitschuld daran, dass so vieles zerstört ist, was mein Leben ausmachte.“
Stattdessen hilft sie einigen, die klar auf der Seite der Opfer stehen – ihrer Mutter vor allem,  der sie regelmäßig Geld schickt, oder Ivan, einem politisch Verfolgten, der kürzlich eine eigene Wohnung zugewiesen bekam. Da sie schon länger hier lebt, kann sie ihm einiges beibringen, was man für das Leben in Deutschland wissen muss – den Unterschied zwischen Kaltmiete und Warmmiete zum Beispiel.