Interview mit Marie Kajewski, Vorstandsfrau der KEB

„Bei Bildung wird zuerst gespart“

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Die Katholische Erwachsenenbildung (KEB) in Niedersachsen steht vor großen Herausforderungen, doch die Mittel sind knapp. Ein Gespräch mit der hauptamtlichen Vorstandsfrau der KEB, Marie Kajewski.


„Du bist wer“ – KEB-Vorstand Marie Kajewski präsentiert
das neue Leitbild-Motto. Es soll deutlich machen, dass
die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf der einen und
die Erwachsenenbildung auf der anderen Seite sich auf
Augenhöhe begegnen.

In einem langen Prozess hat sich die Katholische Erwachsenenbildung in Niedersachsen ein neues Leitbild gegeben. Es steht unter dem Motto „Du bist wer“. Das klingt für mich so, also wollten Sie den Menschen Selbstbewusstsein vermitteln. Ist das nötig?

Es geht nicht um Selbstbewusstsein, sondern um einen Zuspruch, der da drinsteckt. Bei unseren Angeboten treffen wir auf Menschen, die schon viel mitbringen. „Du bist wer“ soll bedeuten: Du bist nicht klein, sondern wir begegnen uns auf Augenhöhe. Und dann freuen wir uns, ein Stück Weg mit dir zu gehen. Das ist das, was für uns dieses zentrale Motto des Leitbildes ausdrückt. Das ist für uns einerseits Selbstverständnis und es ist andererseits auch immer ein Anspruch, dem wir gerecht werden möchten.

Gesundheit, Kultur, Politik, berufliche Bildung, Sprachen, Familie, Umwelt, Religion und Ethik – die KEB tummelt sich in diversen Feldern. Ist diese breite Palette eher Fluch oder Segen? Und wo bleibt das spezifisch Katholische?

Das Spezifische der katholischen Erwachsenenbildung finden Sie an verschiedenen Punkten. Einerseits sind es manchmal Inhalte, andererseits ist es aber auch immer eine Haltung, die dahintersteckt und die gerade in unserem neuen Leitbild Ausdruck findet. Dass wir breit aufgestellt sind, ist nicht eine Beliebigkeit, sondern eine Verpflichtung, die wir durch das Niedersächsische Erwachsenenbildungsgesetz haben. Würden wir uns in der einen oder anderen Richtung zu stark fokussieren, dann würden wir ein Problem mit dem Gesetz und unserer Anerkennung bekommen. Doch das ist es nicht allein, wir glauben, dass Menschen in den unterschiedlichsten Lebenssituationen einfach die unterschiedlichsten Bildungsbedürfnisse haben. Und wenn wir nur ein Segment bedienen würden, dann würden wir gar nicht die Leute in der Breite erreichen, in der wir sie erreichen. Jemand, der beispielsweise an einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme teilgenommen hat, der wird sich auch an die KEB erinnern, wenn er zum Beispiel den Trauer-Kurs belegen möchte. Und es ist gerade die Breite, die das ermöglicht. Und in der Hinsicht ist es ein unglaublicher Segen, dass wir so aufgestellt sind.

Was ist derzeit die größte He­rausforderung für die KEB?

Ein großes Thema ist die stagnierende Zuweisung des Landes Niedersachsen. Wir erhalten seit 1993 den gleichen Betrag. Wenn man sich den Kaufkraftverlust und die gestiegenen Gehälter in dieser Zeit vor Augen hält, wird klar, dass wir an einem Punkt sind, an dem sich das nicht mehr kompensieren lässt. Das Ganze wird jetzt massiv verschärft durch die anziehende Inflation und durch die Energiekrise. Das wird unterschiedliche Folgen haben. Wir sind jetzt durch zwei Pandemie-Winter gekommen. Die Teilnehmer haben uns die Treue gehalten, auch wenn wir lange Zeit nur ein eingeschränktes Programm anbieten konnten. Wenn jetzt aber noch mal Seminare und Kurse ausfallen, weil wir nicht mehr in unsere Räume können oder weil wir Energie sparen müssen, weiß ich nicht, wie es gelingen soll, die Teilnehmer zu halten. Wir können nicht unbegrenzt die Preise erhöhen. Die Leute sind schon genug herausgefordert, die müssen das teurere Benzin zahlen, die müssen ihre Wohnungen heizen, die müssen sich Lebensmittel kaufen. Wenn wir dann noch sagen, auch das Bildungsangebot wird jetzt 40 Prozent teurer, dann bleiben die Menschen einfach weg. Bildung ist das, wo zuerst gespart wird. Und von daher glaube ich, dass es unerlässlich ist, dass das Land Niedersachsen vielen guten Worten Taten folgen lässt und die Fördersumme für die gesamte öffentlich geförderte Erwachsenenbildung erhöht. In den vergangenen Jahren ist es immerhin gelungen, über die sogenannte politische Liste, über die die Landtagsabgeordneten selbstständig entscheiden, zusätzliche Mittel zu erhalten. Aber diese Mittel gibt es immer nur für ein Jahr und danach fällt man auf das Ausgangsniveau zurück. Das ist keine Perspektive.

Was steht inhaltlich an vorderster Stelle?

Da ist einmal das große Thema Fachkräftemangel. Da leisten die Einrichtungen der öffentlich geförderten Erwachsenenbildung einen großen Beitrag, in dem sie das Segment der beruflichen Bildung bedienen. Dann kommt dazu als zweites großes Thema die Digitalisierung. Wir sind auf dem Weg in die Kultur der Digitalität. Da wird es zu großen Kompetenzzuwächsen in der Breite der Bevölkerung, aber auch bei Arbeitnehmerschaft kommen müssen. Auch da ist die Erwachsenenbildung der erste Partner des Landes Niedersachsen, weil wir nah an den Menschen sind und auch genau wissen, wo wir mit unseren Angeboten ansetzen müssen. Ich bin froh, dass das Land mit dem Digital Campus, der vom Ministerium für Wirtschaft aufgelegt worden ist, einen ersten Schritt gegangen ist und mit der Erwachsenenbildung eine Partnerschaft für die Digitalisierung in Niedersachsen eingegangen ist. Ein drittes großes Thema – das liegt natürlich uns als katholischer Erwachsenenbildung noch mal ganz besonders am Herzen – ist die gesellschaftliche Transformation, vor der wir stehen. Wie können die Themen soziale Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit miteinander verquickt werden? Wie können wir alle Menschen mitnehmen bei den massiven Veränderungen, die vor uns liegen? Nur wenn wir den Menschen die Sicherheit geben, dass wir auf einem guten Weg sind, kann die Wende, die vor uns liegt, gelingen. Ich glaube, dass dies die größte Herausforderung für die Erwachsenenbildung sein wird. Wir sind eine Vermittlungsagentur zwischen der Breite der Zivilgesellschaft und der Politik.

In den letzten Jahren haben sie eine Reihe von digitalen Formaten entwickelt. Wo läuft so etwas gut und wo sind die Grenzen dieser Formate?

Gut geklappt hat das dort, wo sich Menschen bereits kannten. Wir haben unsere Ehrenamtlichen geschult, sodass zum Beispiel Vorstandssitzungen digitalisiert werden konnten. Die Gremien der KEB tagen auch auf ehrenamtlicher Ebene jetzt mit einer hohen Selbstverständlichkeit digital.

Es hat auch im Bereich der beruflichen Bildung hervorragend geklappt, viele Formate zu digitalisieren. Gerade dort, wo sich Arbeitnehmende auf sehr weite Fahrten einlassen müssen, ist auch weiterhin der Wunsch, ein gutes digitales Angebot zu haben, einfach um sparsam mit der eigenen Zeit umzugehen. Es gibt aber andere Angebote, die präsent besser sind. Ich denke zum Beispiel an den Eltern-Kind-Bereich. Da ist der direkte Austausch wichtig. Diese Angebote werden wir auch auf mittelfristige Sicht nicht in den digitalen Raum verlagern. Andererseits glaube ich, dass wir am Beginn einer großen Veränderung stehen, die uns dazu führt, dass viele Angebote auch als digitales Format vorliegen werden.

Dazu passt, dass Sie Menschen auch ganz praktisch mit der Digitalisierung in Kontakt bringen wollen ...

Ja, an vier Standorten, in Hildesheim, in Lohne, in Cloppenburg und in Meppen, entstehen derzeit Selbstlernräume. In diesem Räumen haben Menschen die Möglichkeit, sich eigenständig in digitalen Kompetenzen fortzubilden. Da geht es um Smartphone und Tablets kennen- und nutzenlernen, da gibt es Programmier-Bausteine und wir haben eine Station Smart Home. Wie reagieren Sprachassistenten? Wie ist das mit einer Tür-Steuerung, mit einer Licht-Steuerung, mit einer Wärme-Steuerung, die man digital nutzen könnte? Dies alles lässt sich vor Ort sehr praktisch ausprobieren.  

Interview: Matthias Bode

 

Das neue Leitbild
Das neue Leitbild der Katholischen Erwachsenenbildung (KEB) Niedersachsen steht unter dem Motto „Du bist wer“. Dahinter verbergen sich verschiedene Aspekte wie „Bildung auf Augenhöhe und Unterstützung in der Lebensgestaltung“, eine „Haltung für eine gerechte und nachhaltige Gesellschaft“ und die „Chance, christliches Leben neu kennenzulernen“. Auch die regionale Vielfalt spielt im Leitbild eine Rolle ebenso „relevante Themen und zeitgemäße Veranstaltungsformate“. Das komplette Leitbild auf www.keb-nds.de/leitbild

55 Mitgliedseinrichtungen
Im Jahr 2021 hat die KEB Niedersachsen über 143 000 Unterrichtsstunden angeboten, fast 103 000 waren nach dem Niedersächsischen Erwachsenenbildungsgesetz förderfähig. Vor der Corona-Pandemie lagen die Zahlen deutlich höher: 216 000 bzw. 190 000 Stunden. Zur KEB Niedersachsen gehören 55 Mitgliedseinrichtungen, in der überwiegenden Zahl lokale oder regionale Katholische Bildungswerke, aber auch Heimvolkshochschulen und Familienbildungsstätten. Haupteinnahmequellen sind die Teilnehmerbeiträge und die Landesförderung von rund 2 Millionen Euro.