100-jähriges Bestehen des Redemptoristenklosters Heiligenstadt

„Bescheidenes Klösterchen“

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An diesem Sonntag sollte das 100-jährige Bestehen des Redemptoristenklosters in Heiligenstadt gefeiert werden. Corona verhindert dies. Redemptoristen waren schon im 19. Jahrhundert in der Region aktiv.

Bruder Matthias war früher Baggerfahrer in der Braunkohle der Region Bitterfeld und trat noch vor der Wende in Kloster in Heiligenstadt ein.    Foto: Christine Bose

 

Bruder Matthias hat schon am Morgen einen Mitbruder zu einem Arzttermin gefahren und wird ihn anschließend wieder abholen. Außerdem versieht er an diesem Tag Pforten- und Telefondienst. Wenige Tage zuvor hat er Holzkreuze von den Gräbern des Klosterfriedhofs restauriert. Er hilft auch beim Kochen und Waschen, wenn Angestellte des Klosters kurzfristig ausfallen. Seine Büroarbeit, die er als Ökonom und Stellvertretender Rektor zu erledigen hat, muss mitunter bis zum Abend warten, falls dringliche, unaufschiebbare Aufgaben es erfordern.
„Tu, was der Tag verlangt“, lautet sein Lebensmotto im Redemptoristenkloster St. Klemens. Dort, Auf der Rinne 17, lebt er gemeinsam mit sieben weiteren Ordensmännern. Zu ihren Schwerpunktaufgaben gehören die Spendung des Buß-Sakramentes und Mess-Aushilfen in der Stadt und in umliegenden Orten des Eichsfeldes, soweit es die Gesundheit der Patres zulässt. Insgesamt sind sie zehn Ordensleute. Pater Eckardt allerdings, aus dem Eichsfelddorf Beuren stammend, wird jetzt im Heiligenstädter katholischen Pflegeheim „Hospital Zum Heiligen Geist“ betreut. Seiner eindrucksvollen Rhetorik wegen heißt er bei vielen katholischen Christen „Pater Wuchtig“.
Zur Heiligenstädter Ordensniederlassung gehört auch Prof. Dr. Josef Römelt, Professor für Moraltheologie und Ethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt. Rektor Pater Ernst-Willi Paulus ist nicht ständig vor Ort, er wohnt im Kloster Steterburg in Salzgitter. Bruder Matthias stammt aus dem Osten, hat im Bitterfelder Tagebau gearbeitet, einen Bagger gefahren, bevor er sich noch vor der Friedlichen Revolution für den Eintritt in den Orden entschied.
Viele Heiligenstädter Bürger und Eichsfelder sprechen vom „Paterkloster“ und meinen damit die seit einem Jahrhundert in der Kreisstadt ansässige Ordensniederlassung. Am 7. Juni 2020 wird ihr 100. Gründungstag, ein bedeutender Jahrestag, wegen der Covid-19-Krise nur von der Kloster-Kommunität in der Hauskapelle begangen. Zu einem späteren Zeitpunkt wird das Jubiläum in der Klosterkirche St. Gerhard nachgeholt. Die Jubiläumskerze, deren schmückende Verzierung die Redemptoristen am Computer selbst entworfen haben, steht dort bereits seit einigen Wochen auf dem Altar.

Redemptoristen im Eichsfeld unterwegs
Es irrt, wer glaubt, das Grundstück „Auf der Rinne“ sei schnell gekauft und bebaut worden. Schon lange vor der Gründung einer Niederlassung in Heiligenstadt kamen Patres aus Maria Hamicolt in der Nähe von Dülmen in Westfalen auf Bitten des Paderborner Bischofs Konrad Martin, geboren in Geismar, um zwischen 1859 und 1862 im Eichsfeld Volksmissionen zu halten. „Mit großem Erfolg“, so weiß es die Chronik, wirkten sie in Kallmerode, Struth, Deuna, Wendehausen, Heyerode, Diedorf, Lengenfeld unterm Stein, Steinbach, Hildebrandshausen, Effelder und Faulungen.
Der erste Versuch einer dauerhaften Ansiedlung im Jahr 1916 missglückte. Als Initiator musste der Provinzial in Aachen zur Kenntnis nehmen: Der Grundstückserwerb im Eichsfeldort Lenterode scheiterte an „unannehmbaren Kaufbedingungen“. Prälat Hermann Osburg, seit 1902 Bischöflicher Kommissarius für das Eichsfeld, vermochte sich mit seinem Vorschlag eines Standortes in Heiligenstadt gegenüber der Bezirksregierung Erfurt nicht durchzusetzen. Am 1. August 1918 befand diese staatliche Stelle, für eine klösterliche Niederlassung bestehe „kein Bedürfnis“. Doch die Pläne wurden nicht aufgegeben. Schließlich wurde am 19. April 1920 der Grundstein für ein erstes Gebäude gelegt. Die Verantwortung für den Bau hatten Pater Mußhoff und Pater Borcherts. Sie wohnten zunächst als Gäste im Pfarrhaus. Am 5. Juni 1921, dem Fest des heiligen Bonifatius, erfolgte der feierliche Einzug in den Neubau. Damals wurden das erste  „Klösterchen“ und die Kapelle als „sehr bescheiden und eng“ beschrieben, „aber von der Bevölkerung sehr gut angenommen“.
Die beiden Patres hatten sich den heiligen Klemens Maria Hofbauer als Patron des Klosters gewünscht. Ihrem Wunsch wurde von der Generalleitung in Rom entsprochen. Als erstes Redemptoristenkloster weltweit wurde es diesem Heiligen geweiht. 1909 wurde Hofbauer von Pius X. heiliggesprochen Damals lag das Kloster weit vor der Stadt. Von hier aus führten Volksmissionen unter anderem nach Magdeburg, Bitterfeld, Treffurt, Halberstadt, Nordhausen, Zeitz, Weißenfels, Duderstadt, Salzgitter und Erfurt. Und es wurde weiter gebaut: Neben dem „Klösterchen“ wurde das große „Paterkloster“ mit der St. Gerhard-Kirche errichtet und am 13. Oktober 1926 geweiht. 1964 wurde sie Pfarrkirche.

 

„Schutzschild“ nach dem Einmarsch der Roten Armee. Übersetzt heißt es: „Hier wohnen heilige Mönche.“

 

Am 2. August 1941 gelang es der Gestapo nicht, das Kloster zu beschlagnahmen, hatten die Ordensmänner es doch bereits zuvor als mögliches Lazarett angeboten, wozu es zeitweise diente. In den Eichsfelddörfern kümmerten sich die Redemptoristen seelsorglich unter anderem um ausländische, beispielsweise polnische Landarbeiter. Am Ende des 2. Weltkrieges, am 8. Mai 1945, kamen zuerst die Amerikaner, gefolgt von den Russen.
Die standen am 26. Juli vor der Tür – und die Ordensmänner befürchteten Schlimmes. Was dann jedoch folgte, hat heute auf einem Flur seinen Platz gefunden: Nach einem Gespräch der Besatzer mit dem Rektor verkündete ein Schild an der Klosterpforte als Hinweis an die russischen Besatzungssoldaten in kyrillischer Schrift: „Hier wohnen heilige Mönche“. Das Kloster und seine Bewohner blieben unbehelligt.
Im Erdgeschossflur hängt neben einer Namenstafel eine Glocke. Nach vereinbarten Zeichen wurde sie geläutet, um die Ordensmänner zum gemeinsamen Gebet zu rufen, wenn sie am Telefon verlangt oder anderweitig gebraucht wurden, aber beispielsweise im Garten arbeiteten – eine Art Vorgängerin des Smartphones. Im Herbst 1989 fanden die ersten Eichsfelder Friedensgebete in der St. Gerhard-Kirche statt – Ausgangsort für die Montagsdemonstrationen und die Friedliche Revolution.
Noch Vieles wäre aufzuschreiben, aus der Chronik sowie nach dem Gang durch das Haus mit Bruder Matthias. Seit dem 1. März 2018 sind die Ordensleute Mieter; das Kolping-Bildungswerk Erfurt hat das Kloster gekauft. Zum Schluss verweist Bruder Matthias humorvoll auf eine Tatsache: Vielleicht wäre ja anzunehmen, dass sich im Laufe von 100 Jahren unter den Kindern der Kloster-Angestellten ein Sohn für das Klosterleben berufen gefühlt hätte. Jedoch die Natur wollte es anders. Der Redemptoristenorden ist ein Männerorden. Alle während eines Jahrhunderts im Paterkloster Angestellten hatten bzw. haben Töchter.

Von Christine Bose