Zum 40. Todestag von Kardinal Alfred Bengsch
Bewahrer der Einheit
Der neue Berliner Bischof Alfred Bengsch wird in der Ostberliner Corpus-Christi-Kirche inthronisiert. Fotos: kna |
„Bewahrt die Einheit des Bistums und steht in Treue zum Heiligen Vater.“ Diese Sätze aus dem Geistlichen Testament von Kardinal Alfred Bengsch sind so etwas wie das Programm seines bischöflichen Dienstes. Mit diesem Programm hat er nicht nur das Bistum Berlin 20 Jahre lang geleitet, sondern die Richtung für die ganze katholische Kirche in der DDR vorgegeben. Auch wenn sein Kurs nicht unumstritten war, prägte er weit über seinen frühen Tod 1979 hinaus die Haltung der Bischöfe. Erst wenige Jahre vor dem Ende der DDR setzte eine neue Bischofsgeneration vorsichtig neue Schwerpunkte.
Alfred Bengsch ist sicher bei den Berlinern der beliebteste ihrer Bischöfe. Mit seiner Volkstümlichkeit gewann er schnell die Herzen der Menschen. Bis heute zeugt davon so manche Anekdote wie die, die Prälat Stefan Dybowski jetzt beim Gottesdienst für die verstorbenen Berliner Bischöfe erzählte: Kardinal Bengsch verbrachte seine Ferien gerne in Zinnowitz. Eines Tages gingen Ordensschwestern am Strand spazieren. Jugendliche fingen an, sich über die Schwestern lustig zu machen. In Badehose erhob sich Alfred Bengsch aus seiner Strandburg und mit seiner ansehnlichen Statur wies er die Jugendlichen zurecht: „Det eene sage ick euch: Die Schwestern jehörn mir!“ Danach war Ruhe.
Bischofsernennung drei Tage nach dem Mauerbau
„Helfer eurer Freude“ hieß Bengschs Wahlspruch. In diesem Sinn hat so mancher Berliner den Kardinal als guten Seelsorger in Erinnerung. Michael Höhle, Kirchenhistoriker und Pfarrer in Berlin, erinnert sich: „Ich denke zurück an den Bischof, der immer wieder nach Altbuchhorst ins Jugendhaus des Bistums kam, den wir alles fragen konnten, der ganz offen über unsere politische Situation in der DDR mit dem alltäglichen ideologischen Druck sprach und uns den Rücken stärkte. Erst später haben wir erfahren, wie viel er tat, um uns diese Freiräume zu erhalten.“
Drei Tage nach dem Mauerbau 1961 wurde Bengsch zum Bischof von Berlin ernannt. Das Domkapitel hatte ihn im Juli gewählt, nachdem sein Vorgänger Julius Döpfer als Erzbischof nach München gerufen worden war. Döpfner hatte in Westberlin gewohnt und durfte seit 1958 nicht mehr nach Ostberlin und in die DDR einreisen. So hatte Bengsch bereits als Weihbischof wichtige Aufgaben im Ostteil des Bistums wahrgenommen.
Ein echter Berliner | |
---|---|
Alfred Bengsch ist am 10. September 1921 in Berlin-Schöneberg geboren. Nach dem Gymnasium begann er 1940 in Fulda sein Theologiestudium. 1941 wurde er in die Wehrmacht eingezogen. Von 1944 bis 1946 war er in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Anschließend setzte er sein Theologiestudium in Neuzelle fort und wurde am 2. April zum Priester geweiht. Nach Kaplansjahren in Berlin und der Promotion wurde er 1957 Dozent für Dogmatik und Homiletik in Neuzelle. 1959 wurde er Regens des Erfurter Priesterseminars. Am 2. Mai desselben Jahres wurde er zum Weihbischof in Berlin ernannt und am 11. Juni zum Bischof geweiht. 1961 wurde er Bischof von Berlin. 1962 erhielt er den persönlichen Titel eines Erzbischofs, 1967 erfolgte die Aufnahme ins Kardinalskollegium. Seit seiner Ernennung zum Bischof von Berlin war er Vorsitzender der Berliner Ordinarienkonferenz, später Bischofskonferenz. Von 1962 bis 1965 nahm er am Zweiten Vatikanischen Konzil in Rom teil. Bengsch starb am 13. Dezember 1979 und ist in der Unterkirche der St. Hedwigs-Kathedrale beigesetzt. Die Grabstelle ist wegen der Arbeiten an der Kathedrale zurzeit nicht zugänglich. (tdh) |
Bengsch blieb in Ost-Berlin wohnen. Er durfte an zehn, später an 30 Tagen im Quartal den Westteil seines Bistums besuchen. Als Berliner – er trug den Bären als Wappentier auch in seinem Bischofswappen – litt er unter der Teilung seiner Stadt und wollte alles tun, damit nicht auch noch seine Kirche geteilt würde. Döpfner hatte ihm den Rat gegeben, zumindest vorübergehend auf West-Berlin zu verzichten. Bengsch tat es nicht und hat damit einen wichtigen Beitrag zur Wahrung des Status der Stadt Berlin geleistet, wie der Berliner Historiker Martin Höllen sagt.
Für die Bewahrung der Einheit widersetzte sich Bengsch sogar dem Vatikan und Papst Paul VI. Die vatikanische Ostpolitik der 70er Jahre konnte sich durchaus eine Anerkennung der DDR-Grenzen und damit verbunden die Errichtung eigener ostdeutscher Bistümer vorstellen. Den SED-Mächtigen wäre das auf ihrer Suche nach internationaler Anerkennung mehr als gelegen gekommen. Bengsch tat alles, das zu verhindern. Mit der Wahl des Polen Karol Wojtyla zum Papst waren die Pläne vom Tisch.
Bengsch ging es darum, die nötigen Freiräume für das Wirken der Kirche zu sichern. Er hatte dabei immer vor Augen, wie rigide andere kommunistische Regimes mit den Kirchen umgingen. Der Preis, den er und die katholische Kirche in der DDR dafür zahlten, war die politische Abstinenz. Hans Joachim Meyer, einer der führenden Köpfe der mit dem Ende der DDR entstehenden katholischen Laienbewegung und spätere Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) nennt Bengschs Haltung eine „Strategie der beredt schweigenden Distanz zur herrschenden Macht in der DDR“. Sie habe der kleinen schrumpfenden katholischen Kirche den nötigen Freiraum erhalten. Kardinal Georg Sterzinsky, einer von Bengschs Nachfolger, erklärte die politische Abstinenz später so: „Eine Verweigerung bewirkt zwar unpolitisches Verhalten, ist aber nicht a-politisch. Sie hat eine politische Wirkung. Allein die Tatsache, dass man uns politisch tätig sehen möchte und wir uns verweigern, ist ein politisches Zeugnis und hat eine politische Wirkung.“
Nach Ansicht des Erfurter Kirchenhistorikers Josef Pilvousek definierte sich politische Abstinenz für Bengsch so, „dem Staat keinerlei Zugeständnisse zu machen und umgekehrt nur das vom Staat anzunehmen, was der Kirche zustand“. Allerdings: „Bei Verletzung elementarer Menschenrechte wurde in klarer, zum Teil scharfer Sprache der Staat an seine Rechte, Pflichten und Zuständigkeiten erinnert.“ Wenn es um Gewissensfreiheit, das Erziehungsmonopol des Staates, um Abtreibung oder den Zwang zur Jugendweihe ging, meldeten sich Bengsch und andere DDR-Bischöfe durchaus deutlich zu Wort.
Die Berliner Bischofskonferenz Ende der 1970er Jahre (jeweils von links): erste Reihe die Bischöfe Huhn (Görlitz), Schaffran (Dresden), Bengsch (Berlin), Aufderbeck (Erfurt) und Theissing (Schwerin); zweite Reihe die Weihbischöfe Weinhold (Dresden), Kleineidam (Berlin), Hubrich (Magdeburg), Bischof Braun (Magdeburg) und Weihbischof Meisner (Erfurt). |
Bengsch lehnte „Gaudium et spes“ ab
Es bleibt Bengschs großes Verdienst, die Einheit und die politische Unabhängigkeit der katholischen Kirche in der DDR gegen staatliche Einflussnahme erfolgreich verteidigt zu haben. „Politisch war das klug, aber das sagt noch nichts über die innere Verfassung der katholischen Kirche zu dieser Zeit, über ihren theologischen Zustand und ihr Kirche-Sein in der DDR-Gesellschaft“, sagt der katholische Theologe Joachim Garstecki. Die politische Abstinenz sei zu einem Instrument einer vormundschaftlich denkenden und handelnden Kirchenleitung geworden, und habe notwendige Impulse und Konkretisierungen für den Welt-Dienst der Christen blockiert.
Hans Joachim Meyers Urteil lautet: Die politische Abstinenz war richtig bis Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre. Danach war zunehmend erkennbar, dass sie falsch wurde und ins politische Abseits führte. Dass das keine längerfristigen Folgen hatte, ist das Verdienst der 1989 wieder erstehenden katholischen Laienbewegung.“ Die evangelische Kirche habe in den 80er Jahren bis zum Ende der DDR einen „im Prinzip richtigen Kurs verfolgt, zu dem sich die katholischen Bischöfe nur zögerlich oder gar nicht entschließen konnten“.
Kritisch gesehen wird heute auch die Haltung, die Bengsch auf dem Zweiten Vatikanum zu „Gaudium et spes“ eingenommen hat. Er lehnte die Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute vehement ab, weil er den Missbrauch des Textes durch totalitäre Regime befürchtete. Noch kurz vor der Abstimmung versuchte Bengsch auf den Papst Einfluss zu nehmen, allerdings erfolglos. Kirchenhistoriker Pilvousek: „Ob er nicht die Rezeption des Konzilsdokumentes in der DDR verhindert habe, ist häufig gefragt worden. Eine zum Teil überzeugende Rezeption von Gaudium et spes durch die Pastoralsynode, die von 1972 bis 1975 in Dresden tagte und deren Präsident Bengsch war, scheint dagegen zu sprechen. Ein anderer Vorwurf, der Übergang der Meißner Diözesansynode 1969/70 in die Pastoralsynode in der DDR und damit ihre Beendigung seien auf Bengsch zurückzuführen, wiegt schwerer. Entscheidend war wohl, eine eigene Synode in der DDR unter Beteiligung aller Jurisdiktionsgebiete zu veranstalten, um nicht in das ,Fahrwasser‘ der ,westdeutschen‘ Würzburger Synode zu kommen. Dass Bengsch zusätzlich auch andere Motive gehabt haben dürfte und der Kalkulierbarkeit eines Vorganges wie einer Synode mit Befürchtungen gegenüberstand, ist evident. Innerkirchliche Diskussionen um das gesellschaftliche ,Engagement‘ der Kirche und der Christen sowie Überlegungen zum missionarischen Auftrag der Kirche wurden unterbunden. Dass diese so zensurierten Fragen nicht nur der theologischen Grundposition Kardinal Bengschs widersprochen haben, sondern bei einer Behandlung kirchenpolitische Auswirkungen gehabt hätten, dokumentieren Akten des Staatssicherheitsdienstes.“
Von Matthias Holluba