Besonderes Hobby einer Schwester: Archäologie

Brücken in die Vergangenheit

Image
Schwester Christiane Winkler hat ein besonderes Hobby: Im Umfeld ihres Klosters in Alexanderdorf sucht sie nach Spuren, die unsere Vorfahren aus prähistorischer Zeit hinterlassen haben.

Schwester Christiane Winkler geht mit wachem Blick über das Feld auf der Suche nach prähistorischen Scherben und Steinen.    Fotos: Andrea von Fournier

 

Zügig schreitet die Nonne über ein frisch gepflügtes Feld, den Blick auf die Erde gerichtet. Im Hintergrund kann Christiane Winkler (73) die Hainbuchenhecke um den Klostergarten sehen. Die Schwestern des südlich Berlins gelegenen Benediktinerinnen-Klosters Alexanderdorf haben als erweiterte Klausur die Möglichkeit, die umliegende Landschaft bei Spaziergängen zu nutzen. Schwester Christiane geht dabei einem besonderen   Hobby nach: Im Frühjahr oder im Spätherbst, wenn die Felder nicht bestellt oder frisch umgepflügt sind, ist die beste Gelegenheit, Funde aus Zeiten unserer Urahnen zu sichten. Seit Jahrzehnten ist die Ordensfrau deshalb zu diesen Jahreszeiten in Stiefeln querfeldein unterwegs. Manch zufällig an die Oberfläche gelangter Fund wurde für sie Spaziergangs-Geschenk.

Schwester Christiane mit ihrem jüngsten Fund: ein Kernbeil aus Feuerstein, gesichert nahe Alexanderdorf.

Erfüllt von Respekt und Ehrfurcht
Wieder im Kloster werden Scherben und Steine von Schwester Christiane vorsichtig gesäubert, aufmerksam betrachtet, kategorisiert, beschrieben, gezeichnet. Als ehrenamtliche Bodendenkmalpflegerin weiß sie, was zu tun ist.
Wie passt das mit ihrer Berufung zum Ordensleben zusammen? Nichts, was ihr an Schönem begegnet – die klösterliche Gemeinschaft, die Zeit für die Gottesdienste, die Begegnungen mit Menschen, die eigene Gesundheit – empfindet sie als selbstverständlich. „Das alles ist mir im Lauf der Zeit bewusster geworden. Das hat mich tief dankbar gemacht“, sagt sie. Schon das intensive Betrachten einer Blume, das Spüren der Baumrinde oder die mit allen Sinnen genossene Frucht kann zum Staunen und Danken führen: „In dieser Weise bin ich mit Respekt und Ehrfurcht erfüllt, wenn ich eine Scherbe aus frühgeschichtlicher Zeit in der Hand halte oder gar ein Jahrtausend altes Steinwerkzeug von einst lebenden Menschen.“
Christiane Winkler, gebürtige Magdeburgerin, lebt seit 1970 im Kloster Alexanderdorf. Wie andere Ordensfrauen hat sie Begabungen, die im Klosteralltag Früchte tragen. In der Abtei St. Gertrud werden liturgische Textilien hergestellt und Hostien gebacken. Schwester Christiane bringt ihre Fähigkeiten in Ikonenmalkursen ein. Als Jugendliche belegte sie, auch inspiriert von ihrem malenden Vater, ein Kunststudium in Berlin-Weißensee. Sie beendete es nicht, weil sie ins Kloster ging. Die Nonne illustrierte in der Vergangenheit Kinderbücher und zeichnete das Klosterleben mit Humor.
In Heimatjahrbüchern findet man ihren Namen im Zusammenhang mit prähistorischen Funden. Ihr letzter ist wenige Wochen alt: Ein knapp neun Zentimeter langer, scharfkantig bearbeiteter Stein. „Das ist ein Kernbeil aus Feuerstein, relativ groß, angefertigt in der Mittleren Steinzeit“, erklärt sie. Sie sicherte es auf einem bekannten Fundplatz in der Nähe. Nicht zufällig, denn es braucht Übung und Wissen, Unscheinbares auf der märkischen Scholle zu erkennen. Anzeichen, etwa Verfärbungen, vermag sie kundig zu deuten. Regelmäßig läuft sie als ehrenamtliche Bodendenkmalpflegerin bekannte Fundplätze im Umfeld ihres Klosters ab. Etliche dieser Stellen prähistorischen Lebens hat sie selbst einmal entdeckt.
Den Anstoß für ihr Interesse gaben ihr als junger Nonne Vorträge, die im Kloster von befreundeten Gästen wie dem früheren Sperenberger Apotheker, Illustrator und Heimatforscher Karl-Heinz Schulisch gehalten wurden. Von ihm lernte sie, wie man urgeschichtliche von modernen Scherben unterscheidet oder die menschliche Bearbeitung an Feuersteinen erkennt. Als in den 1980er Jahren die Gutsscheune zur Klosterkirche umgebaut wurde, entdeckte sie tief im Boden dunkle Verfärbungen: Karl-Heinz Schulisch erschien mit Pinsel, Messband und Spachtel und legte Knochen frei. Die Untersuchung war ernüchternd, es war „nur“ ein in Asche gebetteter Schafsknochen. Doch Schwester Christiane war beeindruckt. Herr Schulisch sorgte dafür, dass sie vom Museum für Ur- und Frühgeschichte als ehrenamtliche Bodendenkmalpflegerin eingeschrieben wurde. Die Vorstellung, dass das Kloster in einer Landschaft unweit der Randgebiete und Niederungen früherer Jäger und Sammler liegt und sie dies mit neuen Funden  belegen konnte, war für sie spannend.
1985 bemerkte Schwester Christiane auf einem frisch gepflügten Forstacker in Klosternähe eine große Menge frühdeutscher Scherben. Die folgende Ausgrabung des Potsdamer Archäologen Sven Gustavs dokumentierte eine spätmittelalterliche Herdstelle. Im nahen Wald wurden danach zwei mittelalterliche Stellen zur Teerherstellung entdeckt, die vermutlich zu einer ehemaligen Siedlung gehört haben.

 

Von Schwester Christiane geborgene Oberflächenfunde warten auf ihre Dokumentation.

 

„Vor dir sind tausend Jahre wie ein Tag“
Nicht das erfolgreiche Entdecken eines archäologischen Schatzes, sondern die flächenmäßige Erschließung vieler kleiner Fundstellen, die Wissenschaftlern und Forschern helfen, ein gesamtes geschichtliches Bild der Region zu zeichnen, sei Ziel ehrenamtlicher Laien, erklärt die Schwester. „Im Psalm 90 beten wir: ,Denn vor dir sind tausend Jahre wie ein Tag ...‘ Das heißt, bei Gott ist die Zeit aufgehoben, ist alles Gegenwart. So empfinde ich auch ein Stück Verbindung zu den Menschen und Kulturen, die hier vor uns lebten, wenn ich bescheidene Zeugnisse von ihnen finde“, sagt Christiane Winkler. Die Liebe zum Malen und Zeichnen kommt ihr bei der Dokumentation der Funde sehr entgegen. Die Corona-Zeit nutzt sie auch, um Funde zu beschreiben und zu zeichnen, die ins Amt geschickt werden. Gern würde sie mal einen Schatz entdecken: Keine Münzen, sondern etwas sehr Privates wie eine Fibel, die einst Gewänder verschloss.

Von Andrea von Fournier