Anstoss 18/19

Christus – Punkt

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Mai. Der Wonnemonat. Erstmals im Jahr, und auch erst dann, wenn die Mutter das Wetter für wirklich warm genug befunden hatte, lösten Kniestrümpfe die bis dahin zu tragenden Strumpfhosen ab.


Zugleich war der Mai in unserer Familie auch der geburtstagsträchtigste, also feierträchtigste Monat.  Mal abgesehen vom Muttertag, der alljährlich beim Blick in den Garten mit der bitteren Feststellung begann, dass das Tulpenbeet über Nacht bis auf zirka fünf Zentimeter hochragende Blumenstängel abgemäht worden war. Auf Verdacht hin war klar, wer die Übeltäter waren: Nachbars Jungen, deren Mutter wahrscheinlich angesichts der herrlichen Tulpensträuße ihrer Sprösslinge Tränen der Rührung in den Augen standen.
Mai, der Monat, in dem hinten in der Kirche, gleich neben dem Gabentisch, die kleinen graugrünen Büchlein lagen, die für die nun stattfindenden Maiandachten unabkömmlich waren. Mit den Gebeten und Litaneien, die für mich als Kind kein Ende zu nehmen schienen, konnte ich nicht viel anfangen. Warum war die Gottesmutter ein Turm? Was hatte sie mit dem Meer zu tun? Es vergingen etliche Jahre, bis ich verstand, was es mit der Königin der Apostel auf sich hat. Dass sie, genaugenommen, eine von uns ist. Tauschen hätte ich mit ihr nicht wollen. Allein schon, wenn ich mir gedanklich die Geburt Jesu vorstelle. Es ist ja nicht so, dass eine Geburt schmerzarm und klinisch rein vonstattengeht und die nun frischgebackene Mutter scharf darauf ist, wenig später selig lächelnd überraschenden Besuch von ihr völlig Fremden zu empfangen.
Ich kann ihr nachfühlen, wie schlimm es für sie war, als ihr noch minderjähriges Kind in einer Menschenmenge ausbüxte und sie sich tagelang wohl die größten Sorgen machte. Ganz zu schweigen von vielen anderen Stationen in ihrem Leben. Doch um was ich sie beneide: sie wusste, was Gott von ihr konkret wollte, wozu er sie berufen  hatte. Immerhin hatte er ihr einen Engel geschickt.

Manchmal möchte ich konkret wissen, was Gott von mir will. Vielleicht reicht der Blick auf Maria. Sie war eine, die immer, also nicht nur in der Schwangerschaft, Christus in sich trug. Trag mit deinem Leben Christus in die Welt. Punkt. Den Rest macht er.
 
Andrea Wilke, Erfurt