Physiker Peter Glas widmete sich als Künstler religiösen Themen
„Das fiel mir einfach zu!“
„Angelus Novus“(nach Paul Klee) – Peter Glas zeigt den Engel, der sich nicht vom Menschen vereinnahmen und zähmen lässt. |
Es klingt wie ein Märchen: Da fällt einem plötzlich etwas Unglaubliches in den Schoß. Doch dann verschwindet es, schnell und komplett. Das erlebte Peter Glas (81). Wenige Jahre hat er ausdrucksstarke Metallskulpturen geschaffen, über 50 an der Zahl, dann war - mitten in einer Arbeit - eine große Leere in ihm.
Als ich ihn im Herbst 2020 in seiner seit drei Jahren verwaisten Werkstatt in Berlin traf, erschien er mir wie ein entkräfteter Mann, der seiner Illusionen, der Lebensfreude beraubt war. Nachdem ich einige seiner Skulpturen mit ihm besichtigt hatte, packte mich Trauer ob dieses Wandels.
Die Werke von Peter Glas entstanden zu biblischen und mythischen Themen oder zu aktuellen gesellschaftlichen Fragen. Nach dem Anstoß für sein spätes Kunstschaffen gefragt, schien er etwas verlegen: „Ich fühlte es wie einen göttlichen Wink, dass ich jetzt Figuren aus Eisen machen muss!“. Er hätte auch den Eindruck gehabt, dass er sich sehr beeilen müsse, denn er würde nicht lange Zeit dafür haben.
„Meine Figuren sind Transportvehikel meiner Weltanschauung“
Das ist erstaunlich, denn Peter Glas ist nicht religiös. Der promovierte Physiker steht fest auf wissenschaftlichem Boden. Er forschte an der Akademie der Wissenschaften in Berlin und später am neu gegründeten „Max-Born-Institut“ in Adlershof. Kunstinteresse, vor allem für Malerei, hatten er und seine Frau, mit der er in Lichtenberg lebt, schon lange. Doch über „ein bisschen am Auto oder an der Hütte pfriemeln“ gingen seine handwerklichen Einsätze nie hinaus.
Mit dem Ruhestand 2005 fiel er in ein tiefes Loch. 2010, in seinem Garten in Berlin-Müggelheim, traf ihn dieser ungeahnte Blitz: Er nahm ein Stück Eisen, formte daraus eine Figur mit grimmigem Gesicht und simpel-kegelförmigen, schwarz gestrichenen Zementkörper. Der „Griesgram“(2013) war geboren, Inkarnation seiner damaligen Seelenverfassung.
Peter Glas bei seinem angefangenen „Ikarus“ – kaum Emotionen, keine Inspiration mehr am einstigen Platz seiner kreativen Arbeit. Fotos: Andrea von Fournier |
Glas‘ Frau Evelyn, Hobby-Keramikerin, war überrascht: „Ach, das sieht ja gut aus!“, befand sie. Eine große Aufmunterung für ihn. Sofort besorgte sie ihm ein handlicheres Schweißgerät. Von der Garage am Gartenhaus trennte er eine Werkstatt ab. Baustahl, rostend, wurde sein bevorzugter Werkstoff, dazu Spachtel, Farbe, manchmal Holz. Oder Keramik, wenn er mit seiner Frau zusammen arbeitete. Ihm, der niemals zuvor Metall bearbeitete, sei „einfach alles zugefallen“, er habe nichts dafür getan. Fehlende Kenntnis, wie man etwas professionell macht, führte zu erstaunlichen Wirkungen seiner Objekte. Die Inspirationen? „Bei allem muss jemand meine Hand geführt haben“, ist er sicher.
Als Kern seiner Arbeit bezeichnet er die Gestaltung und Haltung von Kopf, Gesicht, Händen und Armen, der Torso sei nur Verbindungselement. So wie bei Giacometti (1901-1966). Doch anders als bei Giacometti steht bei Peter Glas die Skulptur nie für sich selbst: „Meine Figuren sind Transportvehikel meiner Weltanschauung“, sagt er, bei ihm sei der Inhalt der Auftraggeber. Glas will dem Betrachter den Sinn suggerieren, der ihn angetrieben hat, diese Figur zu schaffen.
Etwas schaffen für die im Leben zu kurz Gekommenen
Seine Ideen formulierte der Künstler jeweils in einem Text, der entstand, bevor er die Figur oder Gruppe arbeitete. Manchmal stand er in der Nacht auf, nahm einen Stift und beschrieb die Arbeit, die dann folgte. Über seine Protagonisten las er in der Bibel oder der Mythologie. Peter Glas wollte zunächst etwas für die, die im Leben zu kurz gekommen sind, schaffen. Die Märchenfigur „Mädchen mit den Schwefelhölzchen“, eine alternde Frau, die nie Zeit für Haustiere fand und endlich einen Fisch hat, Judas oder der aufsässige Engel Luzifer, den Gott verbannte, gehören dazu.
Im Garten mahnt der „Fukushima-Engel“ aus Schrott. |
Mit seinen Werkzeugen formte er berührende, traurige, leere, ängstliche, ins Weite blickende Gesichter, ringende, bittende oder abwehrende Hände, die den Zuschauer fesseln, ergreifen, Fragen aufwerfen. „Seelenfänger“ (2016), „Verkündigung“ (2014), „Luzi-fair“ (2014), „Abraham und Isaak auf dem Rückweg vom Opferberg“ (2017), „Wendehals“ (2014) entstanden. Auch „eine Frau von heute (multi tasking)“ (2017), „verlass‘ mich, Melancholie“ (2015) oder eine gleichförmig-starre „Formation der DDR-Kampfgruppen“ (2013) gehören zu seinem Portfolio.
Ab 2014 stellte Peter Glas aus, zunächst in Lassan in Mecklenburg-Vorpommern, dann in Brandenburg und Berlin. Das war nie geplant. Eine Figurengruppe steht seit langem dauerhaft in der Dahlewitzer Kirche. Spannende Gespräche im „Pfarrhaustreff“ zur Künstler-Sicht unter anderem auf Judas sind Christen der Evangelischen Gemeinde Diedersdorf angenehm im Gedächtnis geblieben.
„Mir ist wohl der Kamm geschwollen“, meint Peter Glas, es wäre ihm nach den Ausstellungen wie Hiob ergangen: Er wurde krank, Inspiration und Lust an der Arbeit verflogen. Das hört sich an, als wäre er temporär eine Hülle gewesen, in der eine Botschaft war. Nun ist die Hülle leer, ausgeschüttet in Skulpturen für die Sehenden.
Ehemalige Mitarbeiter wollen das Werk für die Öffentlichkeit erhalten
Peter Glas hat, nicht ohne Bitterkeit, seinen Frieden damit gemacht. Im Schraubstock steckte der begonnene „Ikarus“, über dessen Flügel hing schlaff der Schlauch des Schweißgerätes, wie es der Künstler 2017 aus der Hand legte. Das Ehepaar musste das Wochenendgrundstück zum Jahresende räumen. Peter Glas hatte keine Kraft, dagegen zu kämpfen, wollte alles, wie es lag, aufgeben.
Martin Naumann, ein Christ aus Dahlewitz, und André Schirrmacher von der Evangelischen Gemeinde Niederlehme, eilten ihrem geschätzten früheren Chef zu Hilfe. Sie schafften die Objekte ins Brandenburgische. Es soll Ausstellungen in verschiedenen Kirchen geben. Dazu werden Peter Glas` Begleittexte vervielfältigt und in die notwendige Form gebracht.
Außerdem erfuhren die beiden kürzlich, dass ihr ehemaliger Vorgesetzter auch Gedichte geschrieben hat. „Das ist spannend, vielleicht steht das miteinander in Beziehung“, möchte Martin Naumann in Erfahrung bringen. Die beiden streben eine langfristige Lösung für die Skulpturen-Sammlung an, beispielsweise eine Stiftung, die sie unter ihre Fittiche nimmt.
Peter Glas ist betrübt, weil er das alles nicht mehr selbst schultern kann. „Aber schön wäre es, wenn die Sachen zusammen blieben und gezeigt würden“, findet er.