Weihnachtsmusical aus 3000 Kehlen
„Das macht einfach Gänsehaut“
Foto: Stiftung Creative Kirche
Herr Falk, nach Ihren Chormusicals „Die Zehn Gebote“ und „Martin Luther“ haben Sie nun ein Weihnachtsmusical komponiert. Warum dieses Thema? Weil die Geschichte so schön ist?
Tatsächlich hat Michael Kunze, der Libretto und Texte geschrieben hat, schon vor vielen Jahren gesagt: „Lass uns ein Weihnachtsstück machen.“ Aber ich liebe Bachs Weihnachtsoratorium. Auch deshalb habe ich mich da lange nicht rangetraut.
Dann aber irgendwann schon.
Michael Kunze war einfach sehr überzeugend. Und dann habe ich auch den Bedarf gesehen. Ein richtig gospeliges, poppiges Weihnachtsmusical oder -oratorium gibt es so noch nicht.
Wie nah dran ist die Story an der biblischen Vorlage?
„Bethlehem“ erzählt zwar die Weihnachtsgeschichte nach Lukas und Matthäus, ist aber in der Umsetzung kein klassisches Krippenspiel. Michael Kunze ist ein begnadeter Geschichtenerzähler und hat sich etwa die Freiheit genommen, eine Figur dazu zu erfinden, Mamba, die Beraterin von König Herodes. Und den Kindermord von Betlehem, der ja sowieso historisch nicht belegt ist, haben wir so nicht erzählt; das wollten wir Familien mit Kindern nun wirklich nicht zumuten.
Gibt es sonst noch Unterschiede zur bekannten Geschichte?
Der auffälligste Unterschied ist vielleicht, dass wir immer wieder Bezüge zum Hier und Jetzt herstellen wollen. Unsere Protagonisten wird man als zeitlose Figuren erkennen, die dem Zuhörer viele aktuelle Interpretationen ermöglichen. Deshalb startet die Geschichte auch im heutigen Betlehem und taucht von dort ein in den „Brunnen der Vergangenheit“, wie es gleich im ersten Lied heißt. Jeder, der in jüngerer Zeit mal in Betlehem war, kennt die Mauer dort und die von Soldaten hochgesicherten Übergänge. Damit steigen wir ein, und das zweite Lied „Menschen in Not“ bildet den Übergang zwischen Heute und Damals. So wie heute Menschen Unterkunft suchen und Kinder in Unsicherheit und Armut zur Welt bringen, so war es damals auch bei Maria und Josef. Aber die zentrale Geschichte ist natürlich schon die biblische.
Auch wenn Betlehem nicht im Gaza-Streifen liegt: Angesichts der jüngsten Ereignisse hat das schon eine bedrückende Aktualität.
Eine Aktualität, die uns mit dem Angriff auf Israel am 7. Oktober total erschüttert hat. Aber der Nahe Osten ist ja seit Jahrzehnten ein Hexenkessel, der nicht zur Ruhe kommt. Es ist die Wiege dreier Religionen, die sich alle den Frieden auf die Fahnen geschrieben haben, und trotzdem gibt es immer wieder Krieg und Gewalt. Gerade deshalb ist die Weihnachtsbotschaft so wichtig.
Welche Botschaft genau?
Die Botschaft der Engel auf dem Feld: „Friede den Menschen auf Erden!“ Wir können den Frieden natürlich nicht machen, aber wenn ein Chor aus 3000 Menschen diesen Frieden fordernd heraussingt, dann entfaltet das trotzdem eine gewisse Wucht. Zumindest für alle die, die in der Halle dabei sein werden.
Diese 3000 Menschen: Was sind das für Leute?
Gesangsbegeisterte Leute von 8 bis 80 – nein, die älteste Sängerin ist schon 85. Wir haben Rollstuhlfahrer dabei, Menschen aller sozialen Schichten und Konfessionen, ganze Familien von Oma bis Enkelkind, Menschen von Hamburg bis Baden-Württemberg.
Wie wird aus so vielen verschiedenen Menschen ein Chor?
Das ist eine Herausforderung, keine Frage. Zumal es dieses Mal mehr Einzelsängerinnen und -sänger gibt und weniger bestehende Chöre, die sich gemeinsam vorbereiten.
Das müssen Sie erklären.
Als wir 2009 das erste Mal ein Chor-Musical gemacht haben, waren es meist schon bestehende Chöre, die sich angemeldet und die Lieder gemeinsam geprobt haben. Auch bei „Bethlehem“ gibt es das noch, zum Beispiel der Chor einer katholischen Schule in Recklinghausen, ein Kirchenchor aus dem Bergischen Land oder ein Gospelchor aus Iserlohn.
Aber weniger als früher?
Ja, tatsächlich. Anders als früher kommen mehr als die Hälfte der Leute als Einzelsängerinnen und -sänger. Die bereiten sich hauptsächlich allein vor, hören zum Beispiel im Auto auf dem Weg zur Arbeit oder beim Joggen die Lieder und lernen so die Stimmen und die Texte. Eine junge Frau hat mir kürzlich erzählt, sie hatte die Musik im Kreißsaal mit, als sie ihr Kind bekommen hat – das fand ich etwas skurril, aber auch sehr zum Thema passend. Und wir hatten auch Online-Proben.
Warum? Und wie funktioniert das?
Eigentlich wollten wir das Musical schon vor Corona auf die Bühne bringen und es hatten sich auch schon viele zum Mitsingen angemeldet. Die wollten wir natürlich nicht verlieren, deshalb die Online-Proben auf Youtube und Facebook. Aber was als Notlösung gedacht war, wurde für uns wirklich ein Anker in der Corona-Zeit. Bei unseren Proben, erst zweimal und später einmal in der Woche, waren zeitweise 30 000 Menschen online. Die wollten natürlich nicht alle im Chor mitsingen, aber die fanden die Proben einfach schön.
Und ist es gelungen, die Sängerinnen und Sänger beim Projekt zu halten?
Tatsächlich hatten wir wirklich Angst, dass die Sängerinnen und Sänger wegbrechen, zumal ja nach Corona das große Chöre-Sterben zu beklagen war. Aber das Gegenteil ist der Fall: Wir haben mehr Anmeldungen als je zuvor.
Wie erklären Sie sich das?
Vielleicht hängt ja beides zusammen. Gerade weil viele Chöre aufgegeben haben, suchen die Leute nach Projekten, in denen sie singen können. Vielleicht auch, weil ihnen wöchentliche Chorproben einfach zu viel sind, aber im Chor zu singen, ihnen trotzdem guttut.
Alleine zu üben und das für mehrstimmige Lieder: Das klingt für mich schwierig. Können das nur halbe Profis?
Nein, gar nicht. Zum einen gibt es Hilfsmittel, zum Beispiel Apps und Hör-Dateien, in denen die eigene Stimme lauter abgemischt ist, so dass man sie einfach durchs Zuhören lernen kann. Zum anderen ist das Musical in relativ kurzer Zeit erlernbar, da es über weite Strecken sehr eingängig ist.
Singen mit vielen: Was ist für Sie der Reiz?
Ich bin selbst ein Chorkind. Meine Mutter hat einen Chor in unserer Kirchengemeinde geleitet, später habe ich zusammen mit meinem Bruder dort einen Jugendgospelchor gegründet. Im Chor zu singen, ein gemeinsamer Klangkörper zu sein, das verbindet, das steckt an. Ich weiß gar nicht, wie viele Ehepaare sich in Chören gefunden haben, ich meine Frau übrigens auch vor 40 Jahren auf einer Chorfreizeit.
Beruflich sind Sie auch als Musiker, Produzent und Komponist im Pop-Segment unterwegs. Hoch erfolgreich mit bekannten Künstlern von Katja Ebstein bis Pur. Wie haben Sie zum Chor zurückgefunden?
Ich wurde im Jahr 2008 eingeladen zum Gospelkirchentag in Hannover. Da war ich plötzlich wieder mittendrin im Chorsingen.
Nun sind Ihre Projektchöre ja etwas ganz Besonderes: Großchöre mit Hunderten, Tausenden Stimmen. Was fasziniert daran?
Das Hörerlebnis. Dass so viele Menschen tatsächlich exakt auf den Punkt zusammen singen. Dass sie eine so große singende Gemeinschaft bilden. Das macht einfach Gänsehaut, das ist ein Highlight. Das geht übrigens auch den Solosängern so, die bei dem Projekt mitmachen, in diesem Jahr zum Beispiel Marie Wegener, die 2017 bei „Deutschland sucht den Superstar“ gewonnen hat und die Rolle der Maria singt. Für sie hat das auch einen musikalischen Reiz.
Kommen solche Leute auch wegen Ihrer Verbindungen in die Pop-Szene?
Eher wegen der Verbindungen meines Sohnes Paul, der in der jungen Szene besser vernetzt ist. Andere aus der Show-Branche kommen einfach zum Konzert. Auch deshalb, weil es sie interessiert, wie solche religiösen Themen rüberkommen. Zumal es ja nicht wenige Künstler gibt, in den USA noch mehr als bei uns, für die die Kirche die erste Bühne war.
Ist es für Sie ein Unterschied, ob Sie von Herzschmerz oder vom Glauben singen?
Ich habe immer Musik mit engagierten Texten geschätzt, mit Themen, die mir etwas bedeuten, und das ist ja zum Beispiel mit Pur auch gelungen. Aber bei der Weihnachtsgeschichte ist das für mich als Christ natürlich in besonderem Maße der Fall, das liegt in meiner DNA. Und was dazukommt: Bei so einem Musicalprojekt habe ich auch musikalisch eine viel größere Freiheit, als wenn ich Dreieinhalb-Minuten-Songs für die Pop-Szene mache. Ich kann schon sagen, dass ich mich da musikalisch richtig austobe und das auch genieße.
Wollen Sie mit Ihrem Musical auch Menschen erreichen, die Weihnachten nicht in die Kirche gehen?
Sehr gerne. Ich finde es wichtig, diese zentrale biblische Geschichte auf eine moderne Art zu erzählen und zu inszenieren, neu zu übersetzen, nicht frömmelnd und durchaus auch mit einem gewissen Showcharakter. Aber auf eine Art, die die Bedeutung für heute zeigt. Weihnachten ist ja stark kommerzialisiert und dem wollen wir die christliche Weihnachtsbotschaft entgegensetzen. Den Wunsch nach Frieden, darüber sprachen wir ja schon. Auch die Bedeutung für das eigene Leben. Zum Beispiel das Lied „Die Zukunft gewinnt mit jedem Kind“, das sich bei den Proben für viele zum Lieblingslied entwickelt: Da kann sich jeder einfühlen, der Kinder hat, das ist relevant für heute. Und ich glaube auch, dass die Leute diesen Wunsch haben: diese alten Geschichten neu erzählt zu bekommen.
Gibt es bei dem Weihnachtsmusical eigentlich nur neue Lieder oder erkennt man auch Klassiker wieder?
Ja, natürlich erkennt man manches wieder! Zum Beispiel ist der katholische Klassiker „Maria durch ein Dornwald ging“ ein zentraler Song, von Maria allein gesungen, mit neuem Text. Wiedererkennen kann man auch das „Gloria“ von Bach – ich bin großer Bach-Fan – und den amerikanischen Klassiker „Joy to the World“. Das mache ich sowieso sehr gerne: Zitate von alten Klassikern neu interpretieren.
In diesem Advent bringen Sie das Musical zweimal zur Aufführung. Betreiben Sie nicht sehr viel Aufwand für doch relativ wenig Öffentlichkeit?
Naja, in jede Aufführung passen ungefähr 8000 Zuschauer rein, das sind ja nicht so wenige. Aber, ja, der Aufwand ist tatsächlich sehr groß. Neben Chor und Solisten haben wir ja auch noch ein Orchester, eine Band, Bläser und allein drei Lkws voll Technik. Aber nach den zwei Aufführungen in diesem Jahr geht es ja weiter.
Und wie?
Zum einen planen wir jetzt schon für 2024 mehrere Aufführungen. Und zum anderen ist es uns wichtig, die Musik weiterzugeben in Kirchengemeinden und Chöre. Wir wollen die Lieder nicht für uns behalten, sondern in die Welt setzen. Wir wollen, dass die Musik in die Breite geht und die Songs nachgesungen werden.
Und das klappt?
Das Luther-Musical von 2015 ist über 140-mal aufgeführt worden. Von kleineren und größeren Chören überall in Deutschland, mit kleinerem und größerem Aufwand, mit Playback oder Musikstudierenden, immer so, wie es vor Ort passt. Und was das aktuelle Musical „Bethlehem“ betrifft: Schon jetzt gibt es Anfragen von Gemeinden, ob sie einzelne Lieder aus dem Musical in ihrem diesjährigen Weihnachtsgottesdienst singen dürfen. Sie dürfen und sie müssen dafür auch gar nichts bezahlen.
Apropos bezahlen: Wie finanziert sich das Ganze eigentlich?
Aus ganz verschiedenen Töpfen. Die Sängerinnen und Sänger zahlen einen Chorbeitrag – wie man sonst in Chören ja auch einen Mitgliedsbeitrag zahlt. Dann sind da die Zuschauerinnen und Zuschauer, die Konzertkarten kaufen. Außerdem arbeitet unser Veranstalter, die „Stiftung Creative Kirche“ schon seit langem mit verschiedenen Förderern und Partnern zusammen.
Sie haben jetzt diverse kleinere und größere Proben miterlebt, eine Woche lang mit den Solisten trainiert. Mit welchen Gefühlen gehen Sie kommendes Wochenende in die Premiere?
Ein bisschen aufgeregt bin ich schon, mehr als vor einem eigenen Solokonzert allemal. Aber nach der dreimaligen Verschiebung wegen Covid ist die Vorfreude darüber, dass es endlich losgeht, natürlich sehr groß.