Angebot der Taizé-Brüder vor allem für junge Menschen
„Das Wesentliche leben“
Gebet der Brüder und junger Menschen aus verschiedenen Ländern der Erde in der Versöhnungskirche von Taizé. Fotos: Communauté de Taizé |
Seit gut 75 Jahren gibt es die Gemeinschaft von Taizé. Heute gehören dem ökumenischen Männerorden 100 Brüder aus 25 Ländern an. Pro Jahr kommen rund 100 000 vor allem junge Menschen auch aus Ostdeutschland in das Dorf in Süd-Burgund. In diesem Jahr sind es Corona-bedingt weniger.
Ihre Gemeinschaft, Frère John, ist in allen Erdteilen vertreten. Jedes Jahr kommen Tausende junger Leute nach Taizé, um mit Ihnen, den Brüdern, zu beten und über das Leben nachzudenken. Was ist das Geheimnis ihrer Communauté?
Wir haben kein Geheimnis, zumindest keins, das wir kennen. Wir versuchen, das Wesentliche des Evangeliums Jesu Christi zu leben und es mit anderen zu teilen: Gebet, Nachdenken über das Wort Gottes und seine Bedeutung für unseren Alltag, gemeinsames Leben unter ganz verschiedenen Leuten. Offensichtlich zieht so ein Angebot viele Jugendliche an.
Was geschieht mit den jungen Leuten, die zu Ihnen kommen?
Für viele ist es ganz neu. Nicht alle sind sofort überzeugt, einige haben zumindest am Anfang wenig Interesse daran. Aber weil das Leben in Taizé so einfach ist und die Jugendlichen mit Gleichaltrigen aus vielen Ländern und Herkünften zusammen sind, entdecken die meisten im Lauf der Woche eine neue Art, zusammen zu leben.
Was geben Sie als Brüder den Menschen mit auf ihren Weg zurück in den Alltag? Und warum?
Es ist sehr wichtig, dass eine solche Erfahrung nicht ein isoliertes Ereignis bleibt, dann hätte es nicht viel Bedeutung. Also stellen wir ihnen Fragen: Was hat euch in diesen Tagen am meisten berührt? Und wie könnt ihr etwas davon zu Hause leben? Freilich ohne das Leben in Taizé zu kopieren, was unmöglich und sinnlos wäre.
Wie sind Ihre spirituellen Erfahrungen als Brüder in andere Lebenssituationen übertragbar?
Es ist nur möglich, wenn man mit der ersten von den zwei gerade erwähnten Fragen beginnt: Was hat mich persönlich in Taizé angesprochen? Nachträglich kann und soll man sich fragen: Was ist in dieser Richtung in meinem Alltag möglich. Auf diese Weise beginnt der Prozess von innen; er ist nicht ein bloßes Nachahmen. Zum Beispiel, die Stille: Fast niemand kann zu Hause dreimal am Tag beten wie in Taizé, mit zehn Minuten Stille. Aber kann ich nicht jeden Morgen zehn Minuten in Stille verbringen, in meinem Zimmer, eventuell mit einer Kerze und einer Ikone?
Was kann Christen helfen, aus möglicher Lethargie und Gleichgültigkeit gegenüber Gott und den Menschen herauszufinden?
Vielleicht, dass wir uns daran erinnern, was für ein großes, ja einzigartiges Geschenk wir als Christen empfangen haben: Gerade in unserer menschlichen Schwachheit und Unvollkommenheit ist uns eine tiefe Verbundenheit, eine Kommunion, mit einem Gott der Liebe gewährt. Und das macht es möglich, Zeugen der Gemeinschaft und des Friedens unter den Menschen zu sein. Wir können ein solches Geschenk nicht für uns behalten; wir sind gerufen, es so klar wie möglich zu leben, damit es für andere ausstrahlt.
Was könnte Christen, die hier in den oft kleinen Gemeinden Ostdeutschlands leben, in ihrem Glauben bestärken?
Unser Gründer, Frère Roger, pflegte zu sagen: „Persönlich habe ich immer in der Gewissheit gelebt, dass eine kleine Anzahl von Frauen und Männern, die über die Erde verstreut sind und die versuchen, inneres Leben und menschliche Solidarität in sich zu vereinbaren, den Lauf der Geschichte verändern und die Welt neu erfinden können.“ Und Jesus gebraucht das Bild vom Sauerteig. Eine kleine Gemeinde kann eine große Ausstrahlung haben, wenn sie versucht, das Wesentliche des Evangeliums zu leben, ohne sich in zu viele andere Sachen zu verlieren.
Was könnte Menschen, denen Gott egal ist, an der christlichen Botschaft begeistern?
Christen zu entdecken, die ihren Glauben mit Freude und Überzeugung leben. Glaubende, die nicht versuchen, sie für sich zu gewinnen, sondern bereit sind, in Solidarität mit ihnen zu leben.
Wie kann man mit Menschen, die nicht an Gott glauben, gut Versöhnung leben?
Ein wichtiges Wort in Taizé ist: zuhören. Wenn wir Kontakt mit anderen Menschen aufnehmen, nicht aus eigennützigen Gründen, sondern in Offenheit, weil wir uns wirklich für sie interessieren und Freundschaft suchen, dann wird alles möglich. Frère Roger sagte oft zu uns, wir sind nicht geistliche Meister, sondern Menschen, die zuhören.
Warum ist so vielen Menschen die Frage nach Gott scheinbar gleichgültig?
Viele Leute haben in der Kindheit ein falsches Bild von Gott bekommen: Gott als harter Richter, immer bereit zu verurteilen. Und die Beispiele von uns Christen, ohne Freude und Liebe, waren nicht immer überzeugend. Menschen wurden von der Kirche verletzt, und haben dann die ganze Fragestellung verdrängt. Es ist auch wahr, dass wir in einer Gesellschaft mit ganz anderen Werten leben: Bequemlichkeit, Sicherheit, Wettbewerb ... Die Frage nach Gott ist oft an den Rand gedrängt. Vielleicht rückt sie heute, in dieser besonderen Zeit des Coronavirus, wieder etwas mehr ins Zentrum.
Ist es an der Zeit, als Christen die konfessionellen Aspekte hinter sich zu lassen, auch im Blick auf die Eucharistiegemeinschaft oder den Religionsunterricht?
Frère John stammt aus Philadelphia (USA). Er ist seit 1974 in Taizé, viel mit Jugendlichen im Gespräch und schreibt Bücher zu biblischen Themen. |
Die Suche nach der Einheit der Christen ist keine Nebensache, kein „Wahlfach“, sie gehört zum Kern des Glaubens. Wie können wir einen Gott der Liebe bezeugen, wenn wir gespalten bleiben? Unser Prior, Frère Alois, sagt oft, wir sollten uns als Christen alle unter dem selben Dach fühlen. Unsere Taufe gibt uns eine gemeinsame Identität. Sicher gibt es Unterschiede, auch Meinungsverschiedenheiten, aber wir müssen versuchen, als Brüder und Schwestern damit umzugehen.
Wie soll diese Einheit ausgedrückt und gefördert werden? Das ist eine andere Frage, die vielleicht in jedem Land ein anderes Gesicht bekommt. Sagen wir prinzipiell, es wäre gut, alles, was gemeinsam getan werden kann, gemeinsam zu tun. Das betrifft natürlich die soziale Arbeit der Kirchen, aber wahrscheinlich auch die Unterrichtung im Glauben. In einigen Orten passiert schon viel in dieser Richtung, und das bereitet weitere Schritte vor.
Wie kann, ja vielleicht wie muss Christsein heute und morgen aussehen?
Ich denke, ihr Christen in Ostdeutschland seid uns vielleicht schon ein Stück voraus. Ihr lebt seit Jahrzehnten in einer Gesellschaft, wo der Glaube gar keine offizielle Unterstützung findet. Christsein heute und morgen wird zunehmend nicht mehr durch gesellschaftliche Institutionen unterstützt und gefördert; es wird immer mehr zu einer Frage der persönlichen Überzeugung werden. Das heißt sicher nicht, dass der Glaube eine individuelle Sache sein soll. Ich träume von einem Netz von kleinen Gemeinden, Freunden von Jesus und deshalb Freunden voneinander, die in Kontakt miteinander bleiben überall in der Welt und die in Solidarität mit allen Menschen leben, vor allem denen, die am Rand der Gesellschaft sind. Wird nicht eine solche Kirche viele Menschen begeistern, vor allem die jüngeren Generationen?
Fragen: Eckhard Pohl