St. Aegidien in Braunscheig

Dem Himmel entgegen

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Aufragendes Gewölbe, schlankes Säulen, lichtdurchflutetes Kirchenschiff – die Klosterkirche St. Aegidien in Braunschweig ist ein Meisterwerk der Gotik im nördlichen Harzvorland. Erbaut wurde sie im Stil französischer Kathedralen.


Wer mit offenen Augen durch die Kirche St. Aegidien geht,
entdeckt auch diese steinernen Verzierungen an den Kapitellen.

Das Raumgefühl ist überwältigend, der Blick folgt dem schlanken Strebewerk zum himmelwärts aufragenden Gewölbe im lichtdurchfluten Kirchenschiff. Die katholische Pfarrkirche St. Aegidien am Südrand der Braunschweiger Innenstadt ist ein Meisterwerk der Gotik im nördlichen Harzvorland. „Damals lebten die meisten Menschen in kleinen dunklen Räumen und oft auch sehr beengt zusammen, dieses riesige Gotteshaus in seiner unglaublichen Schönheit war für sie ein Versprechen für die Zukunft“, sagt Uwe Binder. Der langjährige Küster und Kirchenführer kennt jeden Stein, jede Säule und jedes der hohen Fenster in „seiner“ Kirche. „Keines der Ornamente gleicht den anderen, jedes Maßwerk, jede Fensterrose sieht anders aus. Vermutlich hat man einige der Entwürfe zunächst in den Sand gezeichnet, bevor die Steinmetze an die Arbeit gingen.“

Erste Blüte erlebte das Kloster im 12. Jahrhundert

Die Errichtung der mächtigen Klosterkirche St. Aegidien in Braunschweig zeigt, wie bedeutend das ehemalige Benediktinerkloster in der Stadt der Welfen im Mittelalter war. Bereits um 1115 gründete Markgräfin Getrud von Sachsen den Benediktinerkonvent. „Das Klos­ter erlebte im 12. Jahrhundert seine erste Blüte. Es stand unter dem Schutz von Kaiser Lothar von Süpplingenburg, zu den Förderern gehörte auch Herzog Heinrich der Löwe. Teile der Klosterräume, die an die heutige Kirche St. Aegidien angrenzen, stammen noch aus der Gründungszeit, sie zählen zu den ältesten Gebäuden der Stadt“, erläuterte der Historiker und emeritierte Leiter der Abteilung Mittelalter am Braunschweigischen Landesmuseum Hans-Jürgen Derda. Um 1200 wurde der heilige Auctor zum Schutzpatron der Stadt. Seine Reliquien werden nach wie vor im Chor der Klosterkirche verwahrt, die schlichte Grabplatte hat Herzog Anton Ulrich zu Beginn des 18. Jahrhunderts gestiftet.

Die ursprüngliche Klosterkirche brannte jedoch 1278 nieder, man entschied sich für einen Neubau des Gotteshauses im Stil der französischen Gotik. Die Bauarbeiten gingen zügig voran. „Aber wir können sehen, dass es bald zu einer Planänderung kam.“ Uwe Binder steht im Querhaus und blickt ins Kirchenschiff. „Der Chor im Osten wurde noch nach dem Schema einer Basilika errichtet, das Langhaus hat man dann als Hallenkirche gebaut. Wir haben hier mehrere Bauphasen, erst mit der Schlussweihe von 1478 war der Kirchenraum dann vollendet.“ Binder freut sich, dass sein Nachfolger Matthias Bührig die Tradition der Kirchenführungen fortsetzen wird.

Das gewaltige Hallendach, ein Meis­terwerk spätmittelalterlicher Zimmermannskunst, wurde Angang des 16. Jahrhunderts, also knapp 40 Jahre später, errichtet, das haben aktuelle Untersuchungen am hölzernen Dachstuhl gezeigt. Möglicherweise gab es zuvor ein Provisorium. Der Westbau hingegen blieb ein Fragment – und wurde Anfang des 19. Jahrhunderts abgebrochen, in den 1950er-Jahren wurde dann das Westportal angebaut. Bis heute hat das gewaltige Gotteshaus jedoch keinen Glockenturm. „Geplant waren zwei hohe Türme, jeweils mit einer Höhe von weit mehr als hundert Metern. Aber das Gelände war ungeeignet, die Türme wären viel zu schwer geworden. Aber es gab einmal einen Nordturm, der war etwa 35 Meter hoch. Man sieht draußen noch die Mauerreste“.
 


Blick in den gotischen Innenraum von St. Aegidien.

Umso eindrucksvoller ist der noch im 13. Jahrhundert vollendete Chor im Innern der Kirche. Mit seinem hohen Mittelschiff und den schmalen Seitenschiffen weist der Umgangschor die typischen Merkmale gotischer Kirchenbaukunst auf: Die aufragenden Wände mit ihren Arkaden, die hohen Obergadenfenster und das Triforium, ein Umgang, der seinerzeit vermutlich auch einen Zugang in die oberen Räume des Klosters bot, orientieren sich deutlich an der Baukunst französischer Kathedralen. Charakteris­tisch ist auch das Kreuzrippengewölbe im Hochchor. Doch in St. Aegidien gibt es auch Übergangsformen, so sind die Köpfe der Säulen, die Kapitelle, mit Pflanzen und Dämonen verziert, eine Bildsprache, die noch der Romanik entspricht, während die Architektur bereits gotisch ist.

Himmel und Erde rücken architektonisch zusammen

Die Gotik war im Mittelalter zugleich Ausdruck einer neuen Theologie und Glaubenssprache jenseits des Alltags. Das Gotteshaus als Abglanz des Himmels: Denn mit ihrer wirkungsvollen Architektur und den ursprünglich farbig leuchtenden Fenstern nahmen die Baumeister der Gotik Maß am Himmlischen Jerusalem – Diesseits und Jenseits sollten auch architektonisch zusammen rücken. In den aufragenden Gotteshäusern spiegeln sich aber auch die Machtansprüche ihrer Auftraggeber  – der Bischöfe, Fürs­ten, der Orden oder der selbstbewussten Stadtbürger.

Das Kloster St. Aegidien war ein Ort der Bildung und im Mittelalter auch ein Treffpunkt der Braunschweiger Stadtgesellschaft. Im Zuge der Reformation schlossen sich die Mönche der neuen Lehre an und das Kloster wurde aufgehoben. Die Klosterkirche diente als evangelische Pfarrkirche, später als Garnisonskirche. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde die Kirche profaniert und als Militärdepot, Konzertsaal und Gefängnis genutzt. 1902 übernahm das „Vaterländische Museum“, das spätere Braunschweigische Landesmuseum, Kirche und Kloster als Ausstellungsräume, heute hat eine Außenstelle des Museums mit der Sammlung zur Jüdischen Geschichte ihren Sitz in den angrenzenden Klosterräumen. Die Gebäude wurden im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt.

Ein Gotteshaus mit wechselvoller Geschichte: Seit 1948 werden in der Kirche St. Aegidien wieder katholische Gottesdienste gefeiert. In den 1970er-Jahren gab es umfangreiche Renovierungsarbeiten im Außen- und Innenbereich, auch der Altarbereich wurde neu gestaltet. Zeitgenössisch ist der Taufstein aus weißem Marmor, den der Künstler Carl Konstantin Weber 2008 geschaffen hat – das Becken symbolisiert ein Fischernetz und erinnert an die Geschichte im Neuen Testament, in der Jesus vier seiner Apos­tel zu Menschenfischern macht.    

Die Kirche St. Aegidien in Braunschweig ist verlässlich geöffnet. Es werden auch Führungen angeboten.

Infos unter www.staegidien.de

Karin Dzionara
 

Stilelemente

Daran erkennen Sie eine Kirche im Stil der Gotik:

  • Spitzbögen
  • Kunstvolles Strebewerk
  • Hohe Maßwerk-Fenster
  • Kreuzrippen-Gewölbe