Die einen lieben ihn, die anderen rümpfen die Nase: Weihrauch. Besonders in katholischen Kathedralen wird das wertvolle Harz jedes Jahr kiloweise verbraucht. Doch jetzt steigen die Preise.

Dem Himmel näher

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„Lourdes Gold, Dreikönig, Pontifikal“: Die Namen der Weihrauchmischungen hören sich katholisch an. Blumig, intensiv, gemischt mit Lavendel, Rosen, anderen Harzen, und die Luxusvariante, der reine Weihrauch.

Von einfarbig bis bunt: Beim Händler gibt es verschiedene Weihrauchsorten mit schillernden Namen. – Fotos: Almut Lüder

Von Almut Lüder

Je nach Vorliebe streut der Priester das grobkörnige Gummiharz auf die glühende Kohle im Weihrauchfass. Es schmilzt, verdampft, entfaltet intensiven Duft. Der Messdiener schwenkt das rauchende Gefäß Richtung Eucharistie, Priester, Gläubige. Ein Ritual, das auf das 16. Jahrhundert zurückgeht. Sünde und Schuld sollen vergehen – ein Zeichen für die Gegenwart Gottes. Die Verbindung zwischen Erde und Himmel.


„Wie Weihrauch, wie das Opfer am Abend“
Einige Gemeinden wie St. Canisius in Berlin-Charlottenburg singen dazu aus dem Gotteslob:  „Herr, mein Beten steige zu dir auf, wie Weihrauch, wie das Opfer am Abend, wenn ich meine Hände erhebe.“ Für die Katholikin Andrea-Maria Schmitz ist Weihrauch wichtiger Bestandteil der Liturgie: „Wir verbinden mit ihm den Geist Gottes. Weihrauch spricht den Geruchssinn an, erinnert an unsere Kindheit und große Festtage.“
Gehört der alte Brauch in Messen, Pontifikalämtern, an den hohen Feiertagen bald der Vergangenheit an? In den Niederlanden prognostizieren Forscher nach einer Studie, dass sich die Weihrauchernte in den nächsten 20 Jahren halbieren werde. Ursache dafür sei, dass es bei 75 Prozent der Bestände in den letzten Jahrzehnten keine Regeneration der Bäume mehr gegeben habe. Junge Bäume haben aufgrund zunehmender Viehzucht keine Chance nachzuwachsen, hinzu kommen Brände und nicht fachgerechte Ernten.
Die Hauptanbaugebiete der Weihrauchbäume sind in Somalia, Eritrea, Äthiopien, Sudan. Dort müssen sie sich mit kargem Böden begnügen. Die Ernte beginnt Ende März. Dafür werden die Stämme angeritzt. Die klebrig-milchige Flüssigkeit tritt aus, die, an der Luft getrocknet, das Harz ergibt. Der Vorgang wird bis Oktober mehrfach wiederholt. Je nach Alter und Größe des Baumes lässt sich bis zu zehn Kilo pro Saison ernten. Die Qualität des Harzes steigert sich mit fortgeschrittener Ernte,
Bis nach Afrika kann Piotr    Tazbir nicht reisen. Seit 20 Jahren ist er Küster an der St. Hedwigs-Kathedrale in Berlin und besucht gelegentlich den Weihrauchbaum im  Botanischen Garten der Hauptstadt. Er erinnert sich: „Als ich ihn zum ersten Mal sah, war ich fast ein bisschen enttäuscht, weil er so unscheinbar aussieht.“ Dennoch kennt er natürlich den Wert des Harzes. Wie einen Schatz behandelt er die sechs Sorten in der Sakristei der Kirche St. Joseph, wohin die Hedwigs-Kathedrale für die Dauer ihres Umbaus umgezogen ist. Was nicht sofort gebraucht wird, lagert im Keller. Weihrauch müsse man aufbewahren „wie Rotwein“ – bei 16 Grad Celsius, in einem Raum ohne Tageslicht und bei geringer Feuchtigkeit.
Piotr Tazbir macht die Nachricht über den zurückgehenden Weihrauch nicht unruhig. Er bezieht ihn übers Internet und findet ihn nach wie vor erschwinglich. Etwa zehn Kilo im Jahr verbraucht seine Kirche, so viel wie einer der Spitzenbäume im Jahr hergibt. Dabei geht allein ein Kilo in den gesamten Weihnachtstagen drauf. Im Kölner Dom werden pro Jahr etwa 30 Kilo Weihrauch verbraucht, im Mainzer Dom sind es vier bis fünf Kilo und im Münchner Liebfrauendom rund zwölf Kilo.


Ein kostbares Geschenk aus Abu Dhabi
Der gebürtige Pole Tazbir hat seine speziellen Bezugsquellen. Wie ein kleiner Krimi hört sich die Geschichte an über den Mann aus Abu Dhabi, der vor ein paar Jahren neben der St. Hedwigs-Kathedrale im Fünf-Sterne-Hotel übernachtete. Mitte 30 sei er gewesen, „adrett, europäisch gekleidet“. Er kam zu ihm in die Sakristei, schenkte ihm einen Karton mit reinem, hellen Weihrauch. Piotr Tazbir wusste zuerst nicht, was er davon halten sollte. Bis ihm klar war: Höchste Qualität. „So schnell, wie er kam, so schnell war er wieder weg“, schildert Tazbir das Ende der Geschichte. Er setzt diesen Schatz ohne Mindesthaltbarkeitsdatum bis heute sehr sparsam ein.
Einmal war er sogar Schnäppchenjäger auf dem Flohmarkt an der Museumsinsel. Ein Händler von Halb-Edelsteinen wusste nicht, dass er eben auch Weihrauch im Angebot hatte. Tazbir zog hochzufrieden mit seinem günstigen Nachschub ab.
Einen Blick in den Handel: In Berlin gibt es Kirchenbedarf Baumann. Der Inhaber, Matthias Bergold, hat 20 Sorten Weihrauch im Angebot. „Für jede Nase etwas.“ Die Preise für einige Sorten seien erheblich gestiegen, bestätigt er.   


Unsere Winter sind viel zu kalt für die Bäume
Und wenn der Weihrauch tatsächlich eines Tages knapp werden sollte, ist der Klimawandel nicht auch für etwas gut? Weihrauchbäume im Tiergarten? Die Pressesprecherin des Botanischen Gartens, Gesche Hohlstein, sieht dafür keine Chance. Bei ihnen stehe der Baum im Großen Tropenhaus, unsere Winter seien viel zu kalt.

Berlins Domküster Piotr Tazbir reinigt ein Weihrauchfass.

So sehr Weihrauch für viele Katholiken dazu gehört, so sehr lässt er viele Katholiken die Nase rümpfen. Er polarisiert. Was muss sich Piotr Tazbir nach den Messen anhören? Zu viel, zu blumig. An ein Lob erinnert sich der Mesner hingegen gerne, als Ostern eine Katholikin strahlte, sie habe sich dem Himmel näher gefühlt.
Piotr Tazbir rät Empfindlichen, sich in die hinteren Kirchenreihen zu setzen. Und nur erfahrene Messdiener sollten Weihrauchfässer schwenken. Auf dass niemand einen Hustenanfall kriegt oder gar schwächelt. Für den nächsten Einsatz muss der Küster das silberne Gefäß noch reinigen. Mit einem Lösungsmittel und einer Zahnbürste kratzt er die Reste von den Innenwänden ab. Dann ist er gewappnet. Er weiß: Erzbischof Heiner Koch liebt „Lourdes Gold“. Und wenn diese Sorte beim nächsten Fest zum Einsatz kommt, soll es auch ein Fest für die Sinne sein.