Thüringen nimmt Religionsunterricht in Lehrer-Weiterbildungsprogramm auf
Dem Leben auf den Grund gehen
Religionslehrerin Annett Kirsch ist mit der Biblischen Erzählfigur Miriam ins Heilige Land gereist und hat sie an wichtigen biblischen Orten platziert. Sinnbildlich waren so auch ihre Schüler, denen Miriam vertraut ist, mit in Israel. Foto: Annett Kirsch |
Der Lehrermangel wirkt sich auch beim Religionsunterricht aus. Selbst an Schulen, in denen große Schülergruppen für das Fach Katholische Religion zustande kommen, findet der Unterricht häufig nicht statt. Vor Jahren konnten noch Priester und Gemeindereferenten den Lehrkräftemangel abfangen und mit so genannten Gestellungsverträgen einen Teil des schulischen Religionsunterrichts übernehmen.
Inzwischen gibt es auch in der Kirche Personalnot. Besonders spürbar wird das im Bereich des staatlichen Schulamts Nordthüringen, zu dem auch das katholisch geprägte Eichsfeld gehört. „Von 117 Gestellungsstunden pro Woche, nach denen das dortige Schulamt uns fragte, konnten wir nur 13 abdecken“, sagt Veronika Wenner, Referentin in der Schulabteilung des Bistums Erfurt.
Umso mehr freut sie sich über ein neues Weiterbildungsangebot, das die Schulabteilung gemeinsam mit der Katholischen Fakultät der Universität Erfurt und dem Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (ThILLM) auf den Weg gebracht hat.
Für Lehrer, denen Religion am Herzen liegt
„Es ist gut, dass das ThILLM jetzt wie in anderen Mangelfächern auch in Religion Lehrkräfte nachqualifiziert“, meint sie. Schließlich handele es sich um ein ordentliches Lehrfach. Die Ausbildung von Lehrkräften sei eine wichtige Voraussetzung, um möglichst vielen Schülern den Zugang zum Religionsunterricht zu geben, weiß die Referentin. Mit dem neuen Qualifizierungsangebot könnten Lehrkräfte der Klassenstufen eins bis zehn erreicht werden, die – vielleicht gerade in Zeiten großer kirchlicher Veränderungen – an theologischen Fragen interessiert seien und denen der Religionsunterricht am Herzen liege.
Bei den Weiterqualifizierungsangeboten geht es darum, den Lehrermangel in einzelnen Fächern zu beheben. Den Lehrkräften bieten sie dabei die Möglichkeit, sich persönlich weiterzuentwickeln und den Fächerkanon zu vergrößern, auf den sie sich im Studium festgelegt haben. Im Vergleich zu anderen Weiterqualifizierungsangeboten in Ostdeutschland hält Veronika Wenner den Kurs des ThILLM für sehr niederschwellig. Das Zertifikatsstudium der Universität Erfurt etwa sei mit Beruf und Familie nur schwer vereinbar. Das entsprechende Bachelorstudium der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin sei ebenfalls viel umfangreicher.
Weiterbildung für Religion als Zusatzfach |
Staatliche Lehrkräfte der Primarstufe und Sekundarstufe I (Klasse eins bis zehn), die katholisch sind und eine unbefristete Anstellung im Thüringer Schuldienst haben, können im Schuljahr 2023/2024 an einem Weiterbildungskurs des ThILLM teilnehmen. Die Weiterbildung erstreckt sich berufsbegleitend über insgesamt 240 Unterrichtsstunden, vorwiegend im Selbststudium mit Lehrvideos und kurzen Aufgaben. Im Monat gibt es einen Präsenztag. Im ersten Halbjahr geht es um theologische Grundlagen, im zweiten Halbjahr stehen religionspädagogische Inhalte auf dem Lehrprogramm. Die abschließende Prüfung besteht in einer Lehrprobe mit anschließendem Prüfungsgespräch. Bewerbungsschluss ist der 28. April. Näheres ist in der Schulabteilung des Bistums Erfurt zu erfragen: Schulabteilung@bistum-erfurt.de Anmeldung über die Ausschreibungen des ThILLM: www.schulportal-thueringen.de |
Die Lerninhalte seien aufs Wesentliche konzentriert und hätten einen starken Bezug zur heutigen Lebenswelt, sagt Cordula Schonert-Siebert, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Katholischen Fakultät der Erfurter Universität. Sämtliche Lehrstühle der Fakultät brächten ihre Fachkompetenz in den Kurs mit ein, hebt sie hervor.
Nicht gelungen sei es, die Weiterbildung gemeinsam mit der evangelischen Kirche anzubieten. Das geplante Weiterqualifizierungsangebot der evangelischen Kirche sei auf zwei Jahre angelegt und warte noch auf die Genehmigung durch das ThILLM. Bei den Inhalten des katholischen Kurses sei Ökumene aber stets im Blick. „Ökumenische Zusammenarbeit ist uns beim Religionsunterricht sehr wichtig“, betont die Theologin. Besonders sichtbar wird dies in einem Projekt, das im aktuellen Schuljahr an mehreren Modellschulen Thüringens gestartet ist. Dort wird das Fach Religion in konfessionell gemischten Lerngruppen unterrichtet. Innerhalb von vier Jahren soll es in diesen Schulen einen Lehrerwechsel geben, so dass jeder Schüler Lehrkräfte beider Konfessionen erlebt. Die ökumenische Kooperation ist ebenso wie die verstärkte Lehrerqualifizierung ein Weg, mehr Schülern die Teilnahme am Religionsunterricht zu eröffnen. Veronika Wenner beobachtet, dass an etlichen Schulen der Religionsunterricht von zwei auf eine Wochenstunde gekürzt wird und dass ausgebildete Religionslehrer oftmals nicht zum Einsatz kommen, weil sie bevorzugt in anderen Fächern eingesetzt werden. Ihr ist es wichtig, an den Schulen deutlich zu machen, dass der Religionsunterricht einen wichtigen Dienst für die Gesellschaft leistet und sich keinesfalls nur an Kirchenmitglieder richtet.
Sich mit der ganzen Person einbringen
„Es geht darum, existenzielle Fragen zu reflektieren, die den Menschen betreffen und auch Gott“, bestätigt die Erfurter Religionslehrerin Sarah Fischer-Karataş. Zu ihrem aktuellen Abiturkurs gehören 26 Jugendliche, die sich freiwillig dafür entschieden haben, muslimisch, evangelisch, ohne Bekenntnis und katholisch. Nicht nur für die Schüler sei der Unterricht spannend, auch für sie als Lehrerin.
„Es ist wichtig, im Leben eine persönliche Grundhaltung zu entwickeln und sie im Austausch mit anderen zu stärken“, sagt die Grundschullehrerin Annett Kirsch. „Wenn wir als Christen unsere Grundhaltung stärker in die Gesellschaft einbringen würden, hätten wir bestimmte Probleme gerade gar nicht“, ist sie überzeugt. Die Fragen, die Kinder über ihr Leben und über Gott stellen, faszinieren sie immer wieder. Sie freut sich, wenn Kinder entdecken, dass biblische Geschichten etwas mit ihren Fragen, ihrem Leben zu tun haben, wenn sie zum Beispiel erkennen, dass es gut ist, auf Gott zu vertrauen, der ihnen zum richtigen Zeitpunkt hilft, einen guten Weg zu finden. „Als Religionslehrerin versteht ich mich da als Türöffnerin und Verstärkerin“, sagt sie. Gerade ist sie von einer Pilger- und Studienreise aus dem Heiligen Land zurückgekehrt. Sie hat die Biblische Erzählfigur Miriam mitgenommen, die ihre Schüler aus dem Unterricht kennen und sie an wichtigen biblischen Stellen in Szene gesetzt und fotografiert. „Auf diese Weise waren auch die Kinder mit mir dort, wo die biblischen Geschichten entstanden sind“, erzählt sie.
Veronika Wenner begleitet seit einigen Jahren angehende Religionslehrer als Mentorin. In keinem anderen Fach hätten Schüler und Lehrer vergleichbare Möglichkeiten, sich selbst mit ihrer ganzen Person einzubringen, hört sie dabei immer wieder.
Von Dorothee Wanzek