Eine besondere Trauerbegleitung
Den Sarg gemeinsam zimmern
Eric Wrede ist Bestatter – aber anders als andere. Bei ihm ist die Beerdigung nur ein Teil der Trauerbegleitung und seine Angebote sind durchaus ungewöhnlich. Davon wird er auf dem Katholikentag in Stuttgart erzählen.
Der Berliner Bestatter Eric Wrede lädt die Trauernden zum aktiven Mitmachen ein. Bild: Oliver Gierens |
Eric Wrede ist ein geduldiger, ruhiger Mensch. In einer Seitenstraße im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg, wo die Hauswände mit Graffitti besprüht sind, lässt er sich in seinem Institut „lebensnah Bestattungen“ nicht in Hektik versetzen, kocht erstmal einen ordentlichen Kaffee und wartet geduldig, als sein Gesprächspartner ein dringendes Handygespräch annimmt. Wrede will anders sein als andere Bestatter – das wird schon in seinem Laden deutlich. Da sind keine hochglanzpolierten, schweren Särge ausgestellt. Im Regal an der Wand steht mehrfach dieselbe, schlichte Holzurne – aber jeweils ganz individuell gestaltet, sodass sie doch jedesmal ganz anders aussieht. An dem großen Tisch sind die gepolsterten Stühle so tief, dass die Besucher regelrecht darin versinken. Es ist eine Atmosphäre, in der man ankommen, sich fallen lassen kann.
Oft wird Wrede, der auch in Leipzig eine Niederlassung hat, als „alternativer“ Bestatter bezeichnet – doch diesen Begriff lehnt er für sich ab. „Ich will sehr bedürfnisorientiert arbeiten“, beschreibt er seine Herangehensweise. Die Bestattung ist dabei nur ein Element einer umfassenden Trauerbegleitung, ein „Puzzleteil im Trauerprozess“, wie Wrede seinen Ansatz beschreibt. So bietet er seinen Kunden Rituale an, die bei uns noch weitgehend unbekannt oder vielfach längst vergessen sind. Zum Beispiel die Hausaufbahrung: Früher gang und gäbe, heute weitgehend vergessen. Gerade in Corona-Zeiten, in denen Menschen wegen Besuchsverboten oft einsam sterben mussten, sei eine Aufbahrung zu Hause, die rechtlich durchaus zulässig ist, für viele Angehörige zum Abschiednehmen wichtig gewesen, berichtet Wrede. Auch die bei Muslimen weit verbreitete Tradition, den Verstorbenen gemeinsam zu waschen und für die Beerdigung einzukleiden, bietet Wrede seinen Kunden an. „Der haptische Faktor ist wichtig. Ein Toter fühlt sich anders an – und bei den Menschen kommt die Information an, dass da jemand gestorben ist.“
Weder Geld noch Intellekt helfen
Wrede animiert die Angehörigen eines Verstorbenen, Dinge selbst zu gestalten. So hat er nur zwei schlichte Urnen in seinem Angebot, eine aus Kohle, die andere aus Holz. Oft rät er seinen Kunden, zum Beispiel den Sarg gemeinsam zu zimmern. Der muss dann nicht unbedingt besonders schön oder edel aussehen, aber er bekommt auf diese Weise eine ganz persönliche Note. „Verlustmomente sind oft Ohnmachtsmomente“, sagt der Bestattungsunternehmer. Den Tod könne man nicht mit Intellekt oder mit Geld bewältigen – umso mehr seien gemeinsame Rituale hilfreich.
Dazu gehöre auch das gemeinsame Singen. Das sei überhaupt „eine der entspannendsten Sachen, die es gibt“. Gerade auf einer Trauerfeier, wo alle Besucher überfordert und angespannt seien, hole der gemeinsame Gesang die Menschen ab. Dabei seien es heute – gerade in multireligiösen Städten wie Berlin – oft nicht mehr christliche Lieder, die auf Trauerfeiern erklängen. Die früher meist selbstverständlichen religiösen Elemente sind auf dem Rückzug. Auch wenn sich Wrede selbst eher als Atheist bezeichnet, sagt er: „Religiöse Menschen trauern anders.“ Die innere Gewissheit, der Glaube an ein Leben nach dem Tod schenke gläubigen Menschen Hoffnung, lasse sie nach dem Tod eines nahen Angehörigen weniger tief in ein Loch fallen. Und christliche Rituale spielten durchaus noch eine Rolle. Gerade Extremsituationen wie der Tod eines nahestehenden Menschen führten einen zurück an die „Ursubstanz“, meint Wrede. Auch Trauernde, die viele Jahre nicht in der Kirche waren, wünschten sich oftmals dennoch ein christliches Begräbnis.
Auch die Kirchen haben in Wredes Augen dazugelernt: In Berlin gebe es viele Geistliche, vor allem junge, die „Welten miteinander vereinen“, die beispielsweise auch den Angehörigen Raum geben, auf der Trauerfeier zu sprechen. Und die Kirchen seien offener geworden für Menschen, die weniger religiös sind. „Vielleicht“, meint Wrede, „sind das gerade die Sternstunden der Kirchen“. So engagiert er sich seit vielen Jahren gemeinsam mit der evangelischen Kirche in Berlin und der Stephanus-Stiftung, die einen Kinderhospizdienst betreibt, im Projekt „Kindertrauer Berlin“. Es soll Kinder unterstützen, die gerade jemanden verloren haben oder verlieren werden. Kirchen, sagt der Bestatter, seien für ihn ein Schutzraum.
Das Thema Tod öffentlich thematisieren
Es ist gerade dieser offene, unbefangene Umgang mit dem Thema Tod, der offenbar für viele Menschen etwas Entwaffnendes hat. Regelmäßig spricht Wrede in einem Podcast des Berliner Senders Radio1 mit Prominenten über den Tod – mit durchaus gutem Zuspruch. Auch ein Buch hat er geschrieben – mit dem bezeichnenden Titel „The End: Das Buch zum Tod“. Darin appelliert er unter anderem, alle wichtigen Dinge rechtzeitig vor dem eigenen Ableben zu regeln und hat sein eigenes Testament im Buch mit abgedruckt. Darin enthalten sind auch drei Musikwünsche für seine Beerdigung.
Doch diese Musikauswahl ändere sich ohnehin regelmäßig, gesteht Wrede. Dass er den Fokus gerade auf Musik legt, ist kein Zufall: Er arbeitete früher in dieser Branche, unter anderem als Manager für Marius Müller-Westernhagen. Warum er diesen Job an den Nagel hängte, um Bestatter zu werden, wird er sicherlich auf dem Katholikentag in Stuttgart erzählen. Dort wird er am 27. Mai um 14 Uhr in der Liederhalle auf dem Podium „Am Ende: Religion egal?“ einen Impuls halten. Ebenfalls mit dabei: Professor Dietrich Grönemeyer, bekannter Arzt und Bruder des Sängers Herbert Grönemeyer – womit wir wieder bei der Musik wären.
Von Oliver Gierens