Für Pastoralreferentin Lissy Eichert ist Kirchenaustritt keine Option
„Den Schatz neu entdecken“
Manche nennen sie die „Priesterin vom Reuter-Kiez“. Die einen sagen es anerkennend, andere kopfschüttelnd. Lissy Eichert, Pastoralreferentin in der Pfarrei Heilige Drei Könige in Nord-Neukölln, lacht: „Das bin ich sicher nicht. Da braucht es dann doch noch…“
Ihre „Kirchenbiografie“ begann „klassisch schwarz“ in einer katholischen Familie im katholischen Sauerland. „Bunt“ wurde es für sie, als sie auf ein Gymnasium der Franziskanerinnen kam. „Dort habe ich Franz von Assisi für mich entdeckt und tatsächlich auch Gott.“ Sie studierte katholische Theologie, gründete mit Kommilitonen eine pallottinische christliche Gemeinschaft, lernte in England die Quäker, eine christliche Reformbewegung, kennen und teilte in Los Angeles das Leben der Catholic Worker (katholische Arbeiter): „Jeden Morgen halb sieben heilige Messe, super katholisch – frei von Hierarchien und Denkverboten, zuweilen anarchistisch und immer sozial engagiert: mit 1000 Essen am Tag für Obdachlose, mit zivilem Ungehorsam, fromm und politisch. Das hat mir imponiert.“
Freiheit des Menschen erlaubt Distanzierung
Freiheit und Dialog sind für sie zentrale Begriffe in der jüdisch-christlichen Tradition. Daher beantwortet sie die Frage, ob man aus der Kirche überhaupt austreten könne, so: „Klar muss ich mich auch von der Institution Kirche distanzieren können. Der Gott der Bibel will die Freiheit des Menschen.“
Um die Kirche Jesu Christi geht es ihr, nicht um eine Institution. Diese Kirche Jesu Christi seien nicht nur die Bischöfe, betont sie, und verweist auf heilige Frauen wie Teresa von Ávila, Hildegard von Bingen oder Gertrud von Helfta: „Die haben nicht um Erlaubnis gebeten, sondern in authentischer geistlicher Autorität gehandelt.“
Wenn aber nun Entscheidungsträger an ihrer Macht kleben, Verantwortung nicht teilen, andere bewusst klein halten – was dann: kämpfen oder resignieren? „Kommt darauf an“, meint Eichert. Manchmal helfe Ignorieren, manchmal brauche es Kampfgeist und Durchhaltevermögen, um nötige Änderungen durchzusetzen. Zum Beispiel im Umgang mit sexualisierter Gewalt oder dem Synodalen Weg.
Bei Fragen von Geschlechtergerechtigkeit und Gleichberechtigung müsse eine unbequeme, aber notwendige Auseinandersetzung geführt werden. „Dabei Rückschläge oder institutionelle Dummheiten zu ertragen, ohne innerlich zu kündigen, kostet Kraft.“ Wenn sie liest, „der Vatikan habe die Sorge, dass die Kirche die Botschaft Gottes aufgibt, wenn sie die Priesterweihe auch Frauen spendet“ (Interview mit Erzbischof Heiner Koch, Tagesspiegel, 24. Dezember 2022), ist sie fassungslos: „Lehnt mich meine Kirche auf Grund meiner Identität ab? Bin ich für Gott nicht richtig? Nein!“
Dass sie im Interesse der Sache und der Menschen Verbote manchmal unterläuft, verwundert kaum. Auch eine „Kirchenfrau“ brauche Gestaltungsfreiheit. „In der Kirche gibt es sogar oft mehr Bewegungs- und Aktionsfreiheit als in anderen Systemen. Ich bin gestaltungsfreier als manche Lehrerin im System Schule oder eine Ärztin im System Krankenhaus, die 50 Prozent ihrer Arbeitszeit damit verbringt, zu dokumentieren, was sie macht.“
Verständnis für Austritte nach Zermürbung
Gleichwohl kann sie Berufskolleginnen verstehen, die aus der Kirche austreten, in der sie sich mit Herzblut engagiert haben: „Irgendwann wird die innere Zerrissenheit so groß, dass der Ausstieg aus dem System als einziger Ausweg empfunden wird.“ Ein Leidensdruck, der zermürbe, weil Berufungen nicht ernst genommen, Raum für Experimente nicht ermöglicht, Entscheidungsbeteiligung aufgrund des Geschlechts versagt würden.
„Aus Solidarität und in der Theorie habe ich auch darüber nachgedacht, der Kirche den Rücken zu kehren, ja. Aber im Grunde stellt sich die Frage für mich nicht. ‚Katholisch‘ bedeutet Universalität. Und in dieser Vielfalt habe ich meinen Glauben entdeckt und erlernt. Darum schlägt mein Herz katholisch. Meine Kirche würde ich nur verlassen, wenn ich dadurch mehr für das Reich Gottes und die Menschen bewirken könnte. Und da bin ich selbstkritisch genug zu wissen, dass es in einem neuen ‚Verein‘ auch menscheln würde.“
Aber wenn es noch mehr kracht im Kirchengebälk? Lissy Eichert schmunzelt: „Für das Wachsen des Reiches Gottes kann es doch sehr hilfreich sein, wenn Morsches einfällt. Mir geht es um das Evangelium, weniger um den Systemerhalt. Meine Erfahrung auch hier im Reuter-Kiez ist: Mit Gott, da geht noch was!“
Sie liebt das Bild vom Schatz im Acker: „Die Institution Kirche ist der Acker, der Schatz das Evangelium. Diesen Schatz sollen wir hüten, jedoch nicht mit dem Acker verwechseln. Wegen dieses Schatzes bleibe ich. Weil ich überzeugt bin, dass der Heilige Geist den Kirchenacker immer wieder umpflügt, damit der Schatz neu entdeckt werden kann.“
Von Juliane Bittner
Mehr zum Thema „Austreten oder Bleiben“: