25 Jahre katholischer Verband „In Via“

Der Ausbeutung entkommen

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In der Großstadt Berlin geraten immer wieder Frauen und Mädchen in die Fänge skrupelloser Ausbeuter, müssen stehlen, dealen und anschaffen. Seit 25 Jahren helfen ihnen die Beraterinnen vom katholischen Verband „In Via“.

 

Früher war das Prinzip simpel. Als in Zeiten der Industrialisierung auch immer mehr Frauen auf der Suche nach Arbeit in die Städte zogen, war der Bahnhof der Ort, an dem Männer von zweifelhafter Moral Frauen auflauerten, um sie in Ausbeutung und Prostitution zu locken. Heute, im digitalen Zeitalter, ist es anders, wie Margarete Muresan weiß. „Die Anwerbung findet längst im Internet statt. Dubiose Scheinagenturen versprechen jungen Frauen aus ärmeren Ländern gut bezahlte Jobs“, sagt sie.
Seit 2010 arbeitet Muresan als Beraterin für die Berliner Niederlassung von „In Via“, den katholischen Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit, hilft Frauen und Mädchen, die Opfer von Ausbeutung oder Menschenhandel geworden sind, begleiten sie zur Polizei oder zu Gerichtsprozessen. Anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Berliner Beratungsstelle erklärt sie, wie sich ihre Arbeit verändert hat.

Stehlen, Rauschgift, Prostitution
„Am Anfang haben wir uns auf die Arbeitsausbeutung konzentriert“, sagt Muresan. Vor allem Frauen aus Russland und seinen Nachbarländern seien in ausbeuterischen Anstellungen in deutschen Haushälten gelandet. „Die Frauen waren im Haushalt tätig, hatten aber keinen Vertrag und damit keine freien Entscheidungen. Einige von ihnen sind in die Prostitution geraten, andere mussten in ihrem Haushalt sexuell zur Verfügung stehen.“
Seit 2016 seien in Berlin verstärkt Mischformen der Ausbeutung aufgetreten: Die Mädchen wurden nicht nur zum Anschaffen losgeschickt, sondern sollten für zusätzliche Einnahmen auch stehlen und Drogen verkaufen.
Nicht ganz so neu sind die Methoden, mit denen die Zuhälter die Frauen gefügig machen: Sie drohen oder tun ihnen Gewalt an, verschaffen ihnen Rauschgift, um sie in Abhängigkeit zu bringen. Eher neu hingegen sei der Trend, kompromittierende Fotos und Videos aufzunehmen und den Frauen mit Veröffentlichung im Internet zu drohen, auch die Familie der Betroffenen damit zu konfrontieren.

„Loverboy“-Zuhälter täuschen große Liebe vor
Margarete Muresan spricht sich für mehr Aufklärungsarbeit aus, auch in der Schule. Etwa über das „Loverboy“-Phänomen, eine neue Masche, junge Frauen in die Prostitution zu locken. Die Beraterin erzählt von einem Fall. Scheinbar rein zufällig lernt ein junges Mädchen einen jungen Mann kennen. „Er führt sie aus, in angesagte, exklusive Clubs, gibt ihr das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Sie beginnen eine Liebesbeziehung, an deren Anfang noch alles schön ist.“ In Wahrheit jedoch arbeitet der Verführer daran, das Mädchen von Freunden und Familie zu isolieren.
Laut Muresan sind nicht nur Mädchen aus den unteren Schichten betroffen. „Ebenso viele Betroffene kommen aus gutem Hause. Nach Abenteuer, Aufmerksamkeit und Zuneigung sehnen sich ja alle jungen Menschen.“ Irgendwann behauptete der vermeintliche Schwarm, Geldprobleme zu haben. Sie müsse ihm helfen, indem sie für ihn arbeiten geht, er verfüge da über Kontakte. „Nur dieses eine Mal, hieß es zu Beginn. Irgendwann waren es dann bis zu 20 Freier pro Wochenende“, sagt sie. Klick gemacht habe es bei dem Mädchen erst, als es erfuhr, dass sie nicht die einzige war. Sie schaltete die Polizei ein.
Worin unterscheidet sich „In Via“ von anderen Hilfsvereinen wie „Hydra“ oder „Berliner Jungs“? Margarete Muresan erklärt: „Im Laufe der Zeit haben wir festgestellt, dass viele Mädchen, die uns aufsuchten, noch minderjährig sind.“ Bei immerhin 30 von rund 80 Fällen im Jahr 2022 seien Betroffene von Ausbeutung noch unter 18 Jahren gewesen. Die Dunkelziffer ist wesentlich höher, vermutet sie. Allerdings fehlte es bisher noch an Hilfsstrukturen. Dem möchte sie gern Abhilfe schaffen, arbeitet dafür in einer Arbeitsgemeinschaft des Berliner Senats für Bildung mit.

„Exit“ ist kein erklärtes Ziel der Beratung
Verfolgen Margerete Muresan und ihre Kolleginnen als katholische Hilfsorganisation den Ansatz, sexuell ausgebeutete Frauen nicht nur aus ihrer Zwangslage zu befreien, sondern mit ihnen gemeinsam Alternativen zur Prostitution zu finden? Klares jein. „Die Frauen sollen selbst entscheiden, wie es für sie weitergeht. Wir wollen sie nicht bevormunden“, sagt sie. Viele verfügten über keinerlei Ausbildung, seien auf den Verkauf ihres Körpers angewiesen, um Geld zu verdienen. „Wenn diejenige sagt, sie möchte aussteigen, dann schauen wir natürlich, welche Möglichkeiten es gibt.“ Eine Art vordefiniertes Ausstiegs-Fernziel gebe es bei ihrer Arbeit aber nicht.
Und was ist mit einem Prostitutionsverbot wie in Schweden, wo die Annahme von käuflichem Sex schon seit 1998 unter Strafe steht? Schwedische Politiker und Behörden zeigen sich sehr zufrieden mit den Ergebnissen. Wäre das nicht etwas für Deutschland? Muresan schütteln den Kopf. „Wir sind gegen das nordische Modell. Wir wissen nicht, welche Auswirkungen genau es hat“, sagt sie. „Es gibt keine aussagekräftigen Statistiken darüber.“ Die Beraterin vermutet, dass es Prostitution und damit auch Menschenhandel in Schweden weiterhin gibt, nur eben noch mehr im Verborgenen als vorher „Damit ist den Frauen am Ende nicht geholfen“, sagt Muresan.

(schi)