Obdachlosenseelsorger im Erzbistum Berlin

Der erste seiner Art

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Seit Dezember 2018 gibt es im Erzbistum Berlin eine neue Stelle. Diakon Wolfgang Willsch ist Obdachlosenseelsorger und teilt sogar sein Zuhause mit ihnen. Diese direkte Begegnung ist ihm besonders wichtig.

Diakon Wolfgang Willsch wurde für zwei Jahre zum Obdachlosenseelsorger im Erzbistum ernannt. | Foto: Debora Ruppert
 
Das Bett steht im Flur unter dem Treppenaufgang und ist ordentlich gemacht. Das Kissen aufgeschüttelt, die Decke gefaltet. Die Nische ist für die Besucher, die das Haus betreten, auf den ers- ten Blick nicht ersichtlich. Aber so hat der obdachlose Gast, der erst am Abend seinen Schlafplatz aufsuchen wird, ein wenig Privatsphäre.
„Brot des Lebens“ heißt die katholische Gemeinschaft, die in ihren Räumen in der Nähe des U-Bahnhofs Frankfurter Tor in Berlin-Friedrichshain zehn Obdachlosen im Alter zwischen 20 und 70 Jahren Schlafplätze anbietet. Finanziert wird dies im Rahmen der Berliner Kältehilfe durch das Bezirksamt sowie über Spenden.
Das unscheinbare, zweistöckige Gebäude der Gemeinschaft liegt abseits der lauten Kreuzung etwas versteckt. Zu DDR-Zeiten war es das Zentrum der katholischen Studentengemeinde. Jetzt ist hier Wolfgang Willsch zu Hause. Der 52-Jährige – grauhaarig, Pullover, warme Weste – ist Ständiger Diakon im Zivilberuf und seit Dezember der erste eigens berufene Obdachlosenseelsorger des Erzbistums Berlin. Bis zu 10 000 Menschen leben in der Hauptstadt nach Schätzungen auf der Straße, 2500 davon sind Frauen.
 
Nach dem „einfachen“ Leben streben
Gemeinsam mit seiner Familie, Ordensschwestern und obdachlosen Männern teilt sich Willsch das Haus der Gemeinschaft, die nach einem „einfachen Lebensstil“ strebt. Das Zusammensein mit Menschen am Rande der Gesellschaft hat er bereits als junger Mann bewusst gesucht, wie er erzählt. Sozialarbeiter wollte er nicht werden, obwohl deren Arbeit natürlich wichtig sei. „Da ist man aber der, der hinterm Tisch sitzt. Mir ging es mehr um die Begegnung. Ich wollte dem Leben der Obdachlosen nachspüren.“
Armut spiele in der Bibel, aber auch etwa in der Nikolaus-Geschichte schließlich eine große Rolle, erklärt Willsch. Deshalb wollte er, der „vom Land“ aus Oberschwaben in Süddeutschland kam, auch nach Berlin, in die Großstadt mit ihren vielen Möglichkeiten, aber auch sozialen Problemen.
Seit den 1990er Jahren engagiert sich Willsch für obdachlose Menschen. Die Situation in Berlin hat sich seitdem für sie verändert, wie der Seelsorger immer wieder feststellt. „Es gab damals mehr Nischen für Obdachlose, etwa mehr besetzte Häuser und auch Möglichkeiten für alternative Lebensformen. Mit der Gentrifizierung von Stadtvierteln wird es auch für Obdachlose schwieriger – sie werden weggedrückt.“
Außerdem hätten sich die Obdachlosen selbst verändert. „Die Menschen werden jünger, sie sind psychisch kränker. Und es gibt eine dramatische Zunahme von Obdachlosen aus anderen Ländern Europas“, stellt Willsch fest. Ihm ist in seiner Beziehung zu den Menschen, die auf der Straße leben, vor allem wichtig, langfristig zu wirken, „dranzubleiben“.
 
„Gott spricht eher durch die Bedürftigen“
Bettelei, Alkoholkonsum und verwahrlostes Äußeres schrecken ab. Mit einem Obdachlosen in Kontakt zu treten, ist für viele Menschen daher nicht einfach, weiß auch Willsch. Aber: „Den Blick abzuwenden, ist immer falsch.“ Es sei grundsätzlich wichtig, Menschen am Rande der Gesellschaft wahrzunehmen – auch aus Glaubensgründen. „Gott spricht einen eher durch die Bedürftigen an“, so Willsch.
In seinem Umgang mit Obdachlosen sei die Hauptfrage zunächst das praktische Helfen. Aber die Suche nach Gott, „ist auch da“, so Willsch. Als Obdachlosenseelsorger geht es ihm darum, „Grundtugenden wie Glaube, Liebe, Hoffnung zu stärken“ und Gesprächsräume zu eröffnen.
 
Berührungsängste gar nicht erst entwickeln
Vier Kinder haben Willsch und seine Frau Karin in der Gemeinschaft aufgezogen. Zwei Mal in der Woche essen sie im Gemeinschaftsraum zu Abend. Dann sitzen auch die obdachlosen Männer mit am Tisch. Berührungsängste zu Menschen am Rande der Gesellschaft konnten Willschs Kinder gar nicht erst entwickeln. „Mein Sohn hat als kleines Kind einen schwer alkoholkranken Mann zu seinem besten Freund erklärt“, erzählt Willsch. Der Umgang damit war für ihn als Vater nicht einfach. Aber die Freundschaft ging tief: Als der Mann Jahre später im Sterben lag, wollte er sich von Willschs halbwüchsigem Sohn verabschieden – und rief ihn ans Sterbebett.
 
(kna)