Hallenser Gespräche: Zusammenhang von Kränkung und Erkrankung

Der Glaube kann helfen

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Der Zusammenhang zwischen der Kränkung von Menschen und ihren Erkrankungen war Thema des 16. Hallenser Gesprächs zu Psychotherapie, Religion und Naturwissenschaften.


Oberärztin Dr. Katharina Moritz eröffnet in Vertretung von Chefärztin Dr. Claudia Bahn die 16. Hallenser Gespräche im Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara in Halle. | Foto: Eckhard Pohl


Die beiden Worte „Kränkung“ und „Krankheit“ haben einen sprachgeschichtlichen und einen engen inhaltlichen Zusammenhang. Als Kränkung bezeichnet man die Verletzung eines Menschen in seiner Ehre, in seinen Werten, in seinen Gefühlen und in seiner Selbstachtung. Das Erleben von ständigen Kränkungen führt zu einem erhöhten Kortison-Spiegel, könne zum Beispiel chronische Entzündungen oder Herzrhythmusstörungen zur Folge haben, so Kathrin Moritz, leitende Oberärztin an der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Krankenhauses St. Elisabeth und St. Barbara in Halle. Unverarbeitete Kränkungen würden als tieferer Grund vieler psychischer und auch körperlicher Krankheiten angesehen. Eine Krankheit könne umgekehrt auch als Kränkung erlebt werden.
Welche Faktoren tragen dazu bei, dass Kränkungen zu Krankheiten führen? Welche Auswirkungen haben Kränkungserfahrungen in der Psyche von Menschen, zwischenmenschlich und gesellschaftlich? Fragen, wie sie bei den 16. Hallenser Gesprächen zu Psychotherapie, Religion und Naturwissenschaften am 23./24. Februar im Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara diskutiert wurden. Zu dem interdisziplinären Symposium laden jährlich das katholische Krankenhaus in Halle und die Katholische Akademie des Bistums Magdeburg ein.
Besonders Kränkungen, die einem Menschen vor und während der Geburt oder in seinen ersten Lebensmonaten zugefügt werden, können verheerende Folgen haben. Darauf machte die langjährige Psychologin, Psychoanalytikerin und Traumatherapeutin Renate Hochauf aus Altenburg, aufmerksam. Sie berichtete von Patienten, bei denen sich frühe traumatische Erfahrungen tief in deren menschliche Verfasstheit eingeschrieben haben. Zum Beispiel habe die frühe Erfahrung, vom eigenen Vater nicht gewollt zu sein, bei einem Mann dazu geführt, dass er sich täglich mit dem Kopf in eine an die Decke gehängte Schlinge gestellt und sich gefragt habe, ob er springen soll. Im Rahmen einer dann erfolgreich verlaufenen Therapie habe sich herausgestellt, dass er zu Hause mit Nabelschnur um den Hals geboren wurde und – bis die Mutter jemanden benachrichtigen konnte – eine Stunde unversorgt blieb.

Frühe Traumata Ursache von Erkrankungen
Das Problem, einem solchen Menschen zu helfen, bestehe darin, dass an frühe Traumata mit einem klassischen psychotherapeutischen Gespräch nicht heranzukommen sei, da das Erinnerungsvermögen erst ab eineinhalb Lebensjahren einsetzt, so Dr. Hochauf. Prägungen aufgrund früher Traumatisierungen könnten nur im Spektrum von Imagination (katathymes Bilderleben), Körperarbeit und anderen speziellen psychologischen Herangehensweisen bearbeitet werden, was aber gelingen könne.
Professor Michael Linden aus Berlin kommt von einem anderen Ansatz, der Verhaltenstherapie her, und hat viele Fragen an die Traumatheorie. Linden beobachtet in Forschung und therapeutischer Praxis eine Zunahme von Verbitterungsstörungen bis hin zur völligen Hoffnungslosigkeit. Verbitterung sei wie auch Angst zunächst etwas völlig Normales. Beide Reaktionen könnten aber sehr krankhafte Formen annehmen. Unter Verbitterung versteht Linden eine „komplexe Emotion in Reaktion auf Ungerechtigkeit, Herabwürdigung, Vertrauensbruch“. Menschen erlebten sich gekränkt, wenn innere Überzeugungen, die ihnen wichtig sind, verletzt werden. Dabei komme es sehr auf das individuelle Erleben der jeweiligen Person an.
Linden berichtete von einer Verkäuferin, die bei einer Kontrolle bezichtigt wurde, sie habe etwas mitgehen lassen, was nicht stimmte. Folge: Sie wurde entlassen. Sie entwickelte daraufhin eine krankhafte Verbitterung, aber nicht, wie sich in der Therapie zeigte, wegen des unrechtmäßigen Vorwurfs, sondern darüber, dass sich ihr Chef und ihre Kollegen nicht hinter sie gestellt haben. Das war für sie ein enormer Vertrauensbruch. Geholfen habe ihr schließlich ein Perspektivwechsel, die Einsicht, dass ihre Kollegen auch um ihren Arbeitsplatz bangen mussten.
Linden warnte generell vor falschen therapeutischen Ansätzen. Es liefen wissenschaftliche Untersuchungen zu den Folgen für Patienten, die falsch therapiert worden sind.
Den Zusammenhang zwischen Entwertet-Werden und Gewaltbereitschaft und die Bedeutung von Anerkennung in einer gekränkten Gesellschaft stellte die Philosophin Barbara Strohschein vor Augen. Groll, Scham und Zorn als narzisstische Zustände und wie diese sich äußern, thematisierte Professor Heinz Weiss. Das theologische Thema „Krankheit. Strafaktion eines gekränkten Gottes? Folge der gefallenen Schöpfung? Oder Ausdruck einer sich entwickelnden Welt?“ wurde wegen Erkrankung von Professorin Regina Radlbeck-Ossmann nicht behandelt.

Das Gebet kann den Horizont zu weiten
Ihren, den theologischen Part des Hallenser Gesprächs, übernahm in der Podiumsdiskussion Dr. Friederike Maier, Leiterin des Fachbereichs Pastoral im Bistum Magdeburg. Die Theologin brachte das Gebet als einen möglichen Aspekt der inneren Klärung und Unabhängigkeit in Situationen erlebter Kränkung ein. Dagegen wandte Professor Linden ein, im Gebet wolle sich der Beter an einen strafenden Gott wenden. Und Professor Weiss interpretierte das Gebet für andere als einen Ausdruck von Macht und Unterdrückung. Doch für Maier kann das Gebet helfen, einen erweiterten Blick auf eine Situation zu bekommen, aufzuatmen, sogar anderen zu vergeben und neue Gedanken zu denken. Gerade das falle gekränkten Menschen, die oft um sich selbst kreisten, schwer. Zudem könne der Glaube an einen „mich liebenden Gott, dem ich mich anvertrauen kann, ein Stück unabhängig von menschlicher Zuwendung und auch Kränkung“ machen. Hinsichtlich der Diskussion um die gekränkte, auch wütende Gesellschaft hierzulande, verwies die Theologin darauf, dass die Erfahrung, selbst etwas dagegen tun und ein Stück gegensteuern zu können, ein wesentlicher Aspekt sein könne, nicht in ein Ohnmachtsgefühl zu verfallen.

Von Eckhard Pohl