Christian Weisner hat "Wir sind Kirche" mitgegründet
Der Mann von der Basis
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Kiloweise Post hat Christian Weisner einst zum Kirchenvolks-Begehren bekommen. Für Veränderungen in der Kirche wirbt er nach wie vor.
Am Anfang von „Wir sind Kirche“ stand nicht die Diskussion um Frauenweihe, Zölibat oder Pille. Sondern ein Missbrauchsskandal. „Im Frühjahr 1995 wurden von mehreren Betroffenen Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen gegen den Wiener Kardinal Gröer erhoben“, sagt Christian Weisner. „Daraufhin startete in Österreich das Kirchenvolks-Begehren für Reformen in der Kirche.“
Weisner, heute 74, lebte damals in Hannover und war in der „Initiative Kirche von unten“ aktiv. „Ich bin von Jugend an von einer sehr konzilsgemäßen Kirche geprägt“, sagt er. Aufgewachsen in der Diaspora in Kiel, feierte er noch Messen in der Turnhalle. „Später wurde dann in unserem Stadtteil Mettenhof eines der ersten Ökumenischen Zentren gebaut“, sagt er. „Die katholische und die evangelische Gemeinde teilen sich dort bis heute Kirche und Gemeindehaus.“ Im Studium der Stadtplanung in Dortmund engagierte sich Weisner in der Studentengemeinde. „Da war ein Franziskaner, der uns viel Eigenverantwortung gab.“ Als es ihn beruflich nach Hannover verschlug, machte er in einer Basisgemeinde mit.
Dann kamen der Gröer-Fall und das Kirchenvolks-Begehren in Österreich. „Als ich in der Hannoverschen Allgemeinen las, welchen Erfolg es dort hat, dachte ich gleich, dass das auch etwas für uns ist“, erinnert sich Weisner. Er machte sich mit Gleichgesinnten und unterstützt von prominenten Theologen wie Hans Küng daran, es für Deutschland zu übernehmen – nicht ahnend, welch ein innerkirchliches Gewitter das auslösen würde. „Wir haben binnen acht Wochen über 1,8 Millionen Unterschriften gesammelt“, sagt er. „Dass 16 der 27 deutschen Diözesen verboten haben, Unterschriftenlisten auf kirchlichem Gelände auszulegen, war letztendlich eine kostenfreie Werbung für uns.“
Das Kirchenvolks-Begehren sollte keine Eintagsfliege bleiben, darum wurde im Januar 1996 „Wir sind Kirche“ gegründet – Weisner war vorne dabei. „Wir sind kein Verein und auch keine Konkurrenz zum Zentralkomitee der deutschen Katholiken“, sagt er. „Wir wollten immer eine Bewegung sein, die die Kirche von der Basis her durchdringen und verändern kann.“
Weisner war immer klar, dass so etwas ein Langzeit-Projekt ist. „Wir haben nie nachgelassen“, sagt er. Seit 1996 war „Wir sind Kirche“ auf jedem Katholiken- und Kirchentag vertreten, hielt bei jeder Versammlung der Deutschen Bischofskonferenz Mahnwachen ab. Warum das alles? „In Canon 212 §3 steht, dass die Gläubigen das Recht und bisweilen sogar die Pflicht haben, ihre Meinung in dem, was das Wohl der Kirche angeht, den geistlichen Hirten mitzuteilen“, zitiert Weisner das Kirchenrecht. „Das haben wir gemacht und machen es immer noch.“
Ihm ist wichtig, „wir“ zu sagen: „Von Anfang an waren wir ein Team, ein großes Netzwerk mit vielen Unterstützerinnen und Unterstützern. Das macht unsere Kraft aus.“ Aber auch großer persönlicher Einsatz war gefragt. „Ich habe immer gesagt, wenn ich Reformen fordere, muss ich mich auch selbst in Bewegung setzten“, sagt Weisner. Das ging so weit, dass er irgendwann seine Arbeitszeit reduzieren musste, um das Ehrenamt zu schaffen. Seine Frau, eine Religionslehrerin, hat ihn unterstützt. „‚Wir sind Kirche‘ war auch im Urlaub immer mit dabei“, sagt Weisner. „Das hat meine Frau mir aber nie vorgehalten, sondern immer gesagt: Danke für dein Engagement.“
Dieses Engagement hatte durchaus Erfolg. Wurde „Wir sind Kirche“ früher von den Bischöfen geradezu bekämpft, sind heute viele Positionen mehrheitsfähig. „Zu Beginn hieß es, unsere Aktionen seien keine geeignete Methode und kein geeigneter Beitrag zur Klärung theologischer Fragen“, sagt Weisner. „Kardinal Lehmann hat mich damals als Chefideologe tituliert und uns in Gesprächen jede Kompetenz abgesprochen.“ Auch das Zentralkomitee der Katholiken (ZdK) ging auf Distanz.
„Heute wissen wir: Ihr hattet recht“
Doch es gab Wendepunkte, insbesondere den „deutschen Missbrauchsschock im Jahr 2010“, sagt Weisner. „Bis dahin haben die Bischöfe versucht, Missbrauch als bedauerliche Einzelfälle abzutun und damit auch unsere Reformforderungen als unnötig oder übertrieben darzustellen. Danach ging das nicht mehr.“ Themen wie Macht in der Kirche, Sexualität und die Rolle der Frau kamen auf die Agenda des Synodalen Weges. „Wir haben immer dasselbe gesagt“, betont Weisner. „Inzwischen sagen es auch viele andere.“ Ihn und seine Mitstreiter stärkt es, heute zu hören: „Früher haben wir euch abgelehnt. Heute wissen wir: Ihr hattet recht.“
Zufrieden sind sie aber nicht, auch nicht stolz auf das Erreichte. Weisner sagt: „Eher ist es traurig, dass es so lange gedauert hat und sich noch immer so viele dem Rettungsweg verweigern.“ Aber ein wenig Optimismus ist bei ihm schon zu spüren. „Papst Franziskus war ein Systemsprenger und die Synode in Rom ein Weltereignis, das weitergehen wird“, sagt er und erzählt, dass Ende Oktober erstmals Vertreter von „Wir sind Kirche International“ zu einer Tagung in Rom eingeladen sind. Es geht um synodale Teams und partizipative Gremien aus aller Welt. Auch ein Treffen mit Papst Leo steht auf dem Programm. Christian Weisner freut sich schon darauf und denkt an eines nicht: ans Aufhören.