Caritas International zum Hungerproblem

"Deutschland sollte noch mehr tun"

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Ein Kind in Kenia trinkt verschmutztes Wasser aus einem Eimer, um in der Dürre zu überleben
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Foto: imago/ZUMA Wire

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Eine Folge der Erderhitzung: Ein Kind in Kenia trinkt schmutziges Wasser, um in der Dürre zu überleben.

Bis 2020 hat der Hunger weltweit bemerkenswert abgenommen. Seitdem nimmt er drastisch zu, vor allem durch die Erderhitzung. Oliver Müller, der Leiter von Caritas International, sagt, wie sich das Problem lindern ließe.

Viele Menschen, sagt Oliver Müller, fühlten sich von der Erderhitzung bisher nicht wirklich berührt. Dabei herrscht auch in Deutschland schon Wassermangel. „Wir müssen verstehen: Der Klimawandel betrifft jeden. Und jeder muss etwas dagegen tun“, sagt Müller. In anderen Weltregionen, so der Leiter von Caritas International, führt der Klimawandel längst zu existenzieller Not: „Er verschärft das Hungerproblem massiv.“ 
 

Vor drei Jahren haben 670 Millionen Menschen weltweit an Hunger und Unterernährung gelitten, jetzt sind es 820 Millionen. Müller sieht dafür drei Gründe: Corona, Kriege – und eben den Klimawandel. „In Ostafrika hat er besonders drastisch zugeschlagen“, sagt er. Äthiopien, Kenia und Somalia leiden unter der schwersten Dürre seit 40 Jahren. Dort sind vier Regenzeiten hintereinander ausgefallen. Ernten verdorren, Tiere verenden, Menschen verlieren ihre Lebensgrundlagen. Eltern schicken Kinder zur Arbeit statt zur Schule  – und verheiraten zwölfjährige Töchter, um eine Esserin weniger in der Familie zu haben.
 

Wie sich das Hungerproblem lindern ließe? Müller sagt: durch entschlossene Nothilfe und durch einen konsequenten Kampf gegen die Erderhitzung und ihre Auswirkungen. An beidem mangelt es. Müller sagt, 2023 brauche das UN-Nothilfebüro 49,6 Milliarden Euro für humanitäre Hilfe. Es sei traurig, dass die Weltgemeinschaft nicht in der Lage ist, diese Summe aufzubringen. 2022 hätten die Geberländer nur gut die Hälfte des benötigten Geldes zusammengebracht. Deutschland sei nach den USA der zweitgrößte Geber humanitärer Hilfe: „Ich befürchte aber, dass wegen des Ukraine-Kriegs und vieler anderer Herausforderungen Geld für die Not- und Entwicklungshilfe gekürzt wird. Deutschland muss sein Engagement aufrechterhalten – und sollte noch mehr tun.“
 

Komplexer ist das Ziel, die Klimakrise aufzuhalten. Aber es ist notwendig, betont Müller: „Je mehr sich die Erde erhitzt, desto schlimmer werden die Auswirkungen sein.“ Die Menschen in Afrika hätten quasi nichts zum Problem beigetragen, die in Deutschland viel mehr: „Wir haben eine Verantwortung. Es geht nicht schnell genug momentan.“
 

„Hunger treibt Gesellschaften in den Abgrund“
 

Klar ist: Ostafrika wird weiter mit der Klimakrise leben müssen. Damit das gelingt, brauchen die Menschen Hilfe. Etwa die Kleinbauern, die in der Sahelzone 80 Prozent der Ernährung produzieren, sagt Müller: „Es gibt viele Wege, auch in Zeiten des Klimawandels landwirtschaftliche Produktion zu sichern – durch einfache, aber effektive Bewässerungssysteme oder die Aussaat geeigneter Pflanzen.“ Deutschland müsse diese Wege unterstützen: „Wir fordern vom Auswärtigen Amt mehr Geld für vorausschauende humanitäre Hilfe.“ 
 

Wenn eine Dürre da sei, sei es wichtig, Familien und Kleinbauern schnell zu unterstützen – damit sie nicht ihre Existenzgrundlage verlieren: „Je früher den Menschen geholfen wird, desto früher kommen sie wieder auf eigene Füße. Im Moment fehlen die Mittel dafür.“ Dann kommt der Hunger. Müller sagt: „Hunger destabilisiert Gesellschaften und treibt sie in den Abgrund.“ Davor will er sie bewahren.

Andreas Lesch