Seltenes Hobby

„Dieser Sound ist der helle Wahnsinn!“

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Jonas Rennspieß (17), Hendrik Hopfenblatt (fast 16) und Jörn Bergmann (15) haben ein Hobby, das bei jungen Menschen wohl eher keiner vermuten würde. Sie sammeln Glocken, beziehungsweise Glockengeläute.


Ausleuchten, Mikrofone aufbauen, Gehörschutz aufsetzen und Kamera oder Handy in Position bringen. Dann können die Glocken in Bewegung gesetzt werden.

Über 200 Geläute haben die drei bislang besucht, dabei Fotos und Videos der Glocken gemacht und den Glockenklang aufgenommen – von den ersten Schwingungen des Anläutens bis zu den letzten Bewegungen des Abläutens.
Doch Jugend und Glocken – passt das zusammen? Auf den ersten Blick vielleicht nicht, auf den zweiten schon. Denn die drei behalten die Töne, Fotos und Videos nicht für sich, sondern stellen sie als Youtube-Videos ins Netz – und das wiederum liegt voll im Trend der Jugend. Außerdem gibt es seit rund einem Monat die Plattform www.createsoundscape.de, dabei soll eine klingende Läutekarte Deutschlands geschaffen werden. „Dieses Projekt wurde vom Beratungsausschuss für das Deutsche Glockenwesen (BA) mitinitiiert“, sagt Andreas Philipp, Glockensachverständiger im Bistum Hildesheim und Mitglied im BA.

Der Anblick der Glocken macht erst einmal sprachlos

Zusammen mit den drei Jugendlichen besucht Philipp die Glocken im Hildesheimer Mariendom. Und: Der Anblick der 12 Glocken des Geläuts in den beiden übereinanderliegenden Glockenstuben lässt die drei Glockenfans kurz sprachlos innehalten. „Mensch, das ist sie, die Canta Bona, dass ich das einmal erleben darf“, sagt Hendrik mit Blick auf die mit 8686 Kilo größte Glocke des Domgeläutes. Unterdessen tätschelt Jörn liebevoll die Godehardglocke mit 2287 Kilo, die viertgrößte Glocke hier: „Die ist so groß wie die größte Glocke meiner Heimatkirche und hier gibt es gleich noch drei größere. Wahnsinn!“
 


Die Canta Bona, die größte Glocke des Domes, zieht die jungen Glockenexperten in ihren Bann: (von links) Jörn Bergmann, Hendrik Hopfenblatt und Jonas Rennspieß.

Aufnahmegeräte werden aufgebaut, Videoaufnahmen gemacht und jede Menge Fotos geschossen. Domorganist Dr. Stefan Mahr begleitet die jungen Leute zusammen mit Philipp in den Glockenstuhl. „Allein hier oben, das geht nicht. Und da die Jugendlichen alle noch nicht volljährig sind, brauchen sie auch eine Einverständniserklärung ihrer Eltern“, darauf weist Mahr hin. Er ist begeistert vom Enthusiasmus der drei für die Glocken und staunt über ihr Fachwissen. „Soviel Interesse für Glocken habe ich selten bei jungen Leuten erlebt. Und das sollte man fördern“, betont Mahr.

Schon früh mit dem Glockenvirus infiziert

Die drei Jugendlichen haben sich schon früh mit dem Glockenvirus infiziert im Alter von zwei, drei Jahren: Jonas in Mechtshausen bei den Großeltern, Jörn in Sulingen in seiner Heimatkirche und Hendrik hat es im Urlaub in Kroatien erwischt. „Da stand eine alte Kirche und wenn es läutete konnte man oben im Kirchturm die Glocke schwingen sehen. Das hat mich total fasziniert“, sagt der junge Glockenexperte. Doch erst vor ein paar Jahren wurde das Interesse zum Hobby und sie begannen jeder für sich, Glockengeläute zu sammeln. Durch ihr gemeinsames Hobby lernten sie sich und schließlich auch Andreas Philipp kennen. Fragt man sie nach ihrem Berufswunsch, dann kommt unisono: „Glockensachverständiger!“
Einzeln, in Gruppen – zum Beispiel in einem Trauermotiv – und schließlich als Vollgeläut ertönen die Glocken des Doms. Und die Begeisterung der jungen Experten kennt kaum noch Grenzen. Nach dem Vollgeläut als Höhepunkt bringt es Hendrik Hopfenblatt auf den Punkt: „Der Sound ist der helle Wahnsinn!“ und Jonas Rennspieß meint: „Das Geläut ist der Hildesheimer Kathedralkirche würdig.“ Und Jörn Bergmann findet: „Eines der größten Geläute hier im Norden so zu erleben wie wir hier im Glockenturm, das ist einmalig.“ Den drei Jugendlichen ist bewusst, dass ihr Besuch mit den Ton- und Filmaufnahmen eine große Ausnahme ist. „Denn normalerweise ist das Betreten des Glockenturmes für Besucher, zumal wenn die Glocken läuten, verboten“, erklärt Mahr.

Mehr zu den Glocken im Hildesheimer Dom gibt es nun auf den Youtube-Kanälen der drei jungen Glockenexperten. Sie heißen: „Petersglocke“, „Angelusglocke“ und „Glockenhenry“. Und demnächst wird das Hildesheimer Domgeläut dann auch auf  der akustischen Läutekarte von Deutschland zu hören sein: www.createsoundscape.de

Edmund Deppe