Bernd Richter spricht über sein Leben als Priester
Durchhalten – wie in der Ehe!
Für seinen Balkon-Garten von sechs mal eineinhalb Meter hinter dem Haus, mit Blick auf den Turm der Kathedrale St. Jakobus, hat Prälat Bernd Richter, seit er im Ruhestand ist, mehr Zeit. Ebenso für die Blumenkästen vor dem Haus, über die hinaus er seine ehemalige Arbeitsstätte direkt im Blick hat: das Bischöfliche Ordinariat. Fotos: Raphael Schmidt |
Prälat Bernd Richter war Ordinariatsrat, Konsistorialassesor und Pro-Synodalrichter, Ständiger Vertreter des Generalvikars, Bußkanoniker, Polizeidekan in Sachsen, Pfarrer – um nur einiges zu nennen. Im folgenden Gespräch schaut er zurück auf sein halbes Jahrhundert als Priester.
Wie sind Sie Priester geworden?
Eigentlich ist der TAG DES HERRN mit Schuld daran, denn er hat in den 1950er Jahren regelmäßig dazu aufgerufen, dass junge Männer mit abgeschlossener Berufsausbildung, die Priester werden wollen, ins Norbertuswerk nach Magdeburg zum Abitur gehen. Ich war damals 17 Jahre und sagte mir: Wenn es im nächsten Jahr nochmals im TAG DES HERRN stehen sollte, dann denke ich gesteigert drüber nach. 1959, in der Januar-Ausgabe, stand es. Ich hatte gerade die Handelsschule als Großhandelskaufmann abgeschlossen und ging zu meinem Pfarrer in Görlitz, das war Josef Hoffmann (der Ältere). Er schickte mich zum damaligen Theologenreferenten Prälat Emanuel Tinschert. Ich sollte mich in Magdeburg bewerben, kam als Fazit bei diesem Gespräch heraus. Als ich einige Wochen später zur Aufnahmeprüfung fuhr, setzte sich in Hoyerswerda ein anderer junger Mann mit ins Abteil. Wir kamen ins Gespräch und stellten nach kurzer Zeit fest, dass wir dasselbe Ziel hatten. Es war Hubertus Zomack. Von diesem Zeitpunkt an gab es eine Verbindung mit ihm, die sehr eng war.
War für Sie damals zweifelsfrei klar, dass Sie Priester werden?
Ich habe mir damals gesagt, das ist mein Weg. Zweifel bestanden da keine, zumal mir das Studium Freude gemacht hat.
Priester sind sie geworden, um Seelsorger zu sein. Als Kirchenrechtler mussten Sie sich mit Paragrafen beschäftigen. War dabei Platz für Seelsorge?
Im Amt als Kirchenrechtler habe ich mich immer als Priester, als Seelsorger gesehen, im Dienst für die Menschen, nicht als Beamter der Kirche. Das Anliegen des Kirchenrechtes ist es nicht, uns in Ketten zu legen. Die vorgegebenen Normen sollen Spielräume geben für das Handeln, das Jesus von uns verlangt. Petrus schreibt im 1. Thess. 12 ff. „Tritt auf, sei es gelegen oder ungelegen, mahne, rüge, weise zurecht in aller Geduld und Lehrweisheit.“ Geduld, gepaart mit Barmherzigkeit sind die Schlüsselworte, auf die es ankommt. Wir Menschen sind zerbrechliche Gefäße und keiner ist frei von Schuld. Priester sollen nicht beschuldigen, sondern aufbauen und ermutigen. Jesus sprach vom Inhalt, vom Sinn des Gesetzes, das befolgt werden soll, nicht vom Buchstaben, also den reinen Paragrafen. Und so sah ich es auch als meine Aufgabe an, zu sehen, wie der Sakramentenempfang weiterhin aussehen kann. Ehepaare die sich trennen, dürfen weiterhin zu Sakramenten gehen, aber keine neue Ehe eingehen. Kirchenrecht ist als Hilfe zu sehen, nicht als Bestrafung. Kirchenrechtler prüfen beispielsweise, ob eine Ehe rechtlich zustande gekommen ist. Es gibt Gründe, beispielsweise Vortäuschung des Ehe-Willens, der von Anfang an nicht da war. Oder bei den Kindern, wenn Paare versprechen, sie zu taufen und katholisch zu erziehen. Mir wurde gesagt: Ja, das haben wir versprochen, doch da halten wir uns nicht dran. Es gilt der Satz aus 2 Korinther 5, 20: „An Christi Statt walten wir des Amtes, als wenn Gott selbst durch uns mahnt, wir bitten an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!“
Welche Auswege haben Sie in solchen Fällen aufgezeigt?
Eine Ehe, wie vorgenannt beschrieben, wird annuliert, denn sie ist kirchenrechtlich nicht zustandegekommen. Das zu den Paragrafen. Darüber hinaus sehe ich dabei die Verletzungen, das Leid, das damit einhergeht. Der Versöhnungs-Aspekt ist ein Mittel, das die Kirche bereithält.
Sie meinen das Bußsakrament?
Ja, es hilft, sich ungeschminkt zu betrachten, mit allen positiven wie negativen Seiten. Güte kann auch missbraucht werden, kann ins Gegenteil kippen. Barmherzigkeit kann zu Unbarmherzigkeit führen, wenn man sich des Zieles nicht bewusst ist. Selbstreflektion kann in die Irre führen, darum braucht es einen Beichtvater, der ermutigt und hilft. Eine Frau war seit 35 Jahren nicht mehr zur Beichte gegangen. Der Tod ihres Sohnes hat es dann mit sich gebracht, dass sie beichten kam. Es ist eine spürbare Last von ihrer Seele gefallen. Sie hat danach zu einer Freundin gesagt: „Er hat mir Mut gemacht.“ Ermutigen, neue Wege zu suchen, sie zu sehen, sie zu gehen und verdeutlichen, welche Hilfe es gibt, sind dabei Aufgaben der Priester. Der Beichtstuhl ist kein Folterinstrument. Psychologen haben den Nachteil, dass sie nicht lossprechen von Sünden. Es ist erleichternd, bei der Heiligen Beichte alles aufgehoben zu wissen, in der Barmherzigkeit Gottes. Es ist befreiend zu wissen, die Schuld hat Christus für uns getragen – mir ist verziehen. Als Priester handeln wir in Persona Christi. Jesus hat seinen Jüngern die Vollmacht erteilt: Denen ihr die Sünden vergebt, denen sind sie vergeben und denen ihr sie nicht vergebt, denen sind sie nicht vergeben. In der Folge der Apostel gibt der Ortsbischof nach der Priesterweihe diese Vollmacht an sie weiter.
Schuld nicht zu vergeben: Haben Sie davon schon mal Gebrauch gemacht?
Das ist tatsächlich vorgekommen, dass ich jemanden nach Hause geschickt habe. Es fehlte an der Voraussetzung, um die Absolution erteilen zu dürfen.
Sie waren Ständiger Stellvertreter des Generalvikars. Was ist der Unterschied zum Vertreter?
Als ständiger Vertreter konnte und durfte ich die Amtsgeschäfte des Generalvikars nicht nur in seiner Abwesenheit ausüben, sondern in Vollmacht auch dann, wenn Generalvikar Hubertus Zomack neben mir saß.
Domkapitular Bernd Richter während der Fronleichnamsfeier in Zgorzelec-Görlitz im Jahr 2018. |
Was war Ihr schönstes Erlebnis als Priester?
Selbstverständlich meine Priesterweihe und Primiz. Eine prägende Erinnerung war für mich die Reise mit Bischof Bernhard Huhn nach Rom zu Papst Johannes Paul II.. Er ist eine beeindruckende Persönlichkeit gewesen. Im Nachhinein ist es für mich etwas Besonders, einem Heiligen die Hand gegeben zu haben. Auch der Tag in Trebnitz, als Wolfgang Ipolt zwei Tage vor seiner Bischofsweihe am Grab der heiligen Hedwig und vor dem Domkapitel den Amtseid abgelegt hat, war beeindruckend.
Und Ihr schlimmstes Erlebnis?
Das war, als vor vielen Jahren mein Freund das Priesteramt aufgegeben hat. Seitdem bete ich monatlich das Brevier für ihn.
Verständnis für Ökumene haben Sie aufgrund ihrer eigenen Familie, Ihr Bruder war evangelisch. Stichwort: Kommunion. Wie gehen Sie damit um?
Eine evangelische Ehefrau sagte auf meine Frage, wieso sie zur Kommunion gehen möchte: Ich will, wie mein Mann, den Leib Christi empfangen. Aufgrund ihrer Auffassung habe ich ihr das gereicht, was sie sich wünschte.
Haben Sie jemals bereut, Priester geworden zu sein?
Zu keiner Zeit!
Welchen Rat geben Sie jungen Leuten hinsichtlich Berufungen?
Die Freude am Glauben erspüren und sehen, ob sie groß genug ist, anderen davon mitzuteilen. Es braucht Mut, diesen Weg zu gehen. Eignung, Neigung und die Annahme durch die Kirche gehören zusammen. Auch in jeder Ehe müssen die Partner durchhalten, können nicht vor Problemen weglaufen. Für alle gilt: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt, damit ihr hingeht und Frucht bringt und dass diese Frucht bleibt“ (Johannes 15, 16 f.).
Fragen: Raphael Schmidt