Fastenserie

Durst nach Stille

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Silvester im Salzburger Kapuzinerkloster
Nachweis

Foto: Michael Maldacker

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Eine Oase der Ruhe: Silvester im Salzburger Kapuzinerkloster

Vierzig Tage hat Jesus in der Wüste gefastet und gebetet. Zeiten von Dürre, von Hunger und Durst gibt es aber in jedem Leben. Unsere Fastenserie fragt: Was können sie uns lehren? Teil 3: Wie das Kloster zur Oase wird

Einfach mal raus: Der persönliche Akku ist leer, der Alltag belastet, wichtige Entscheidungen und Weichenstellungen stehen an. Bin ich in meiner Beziehung eigentlich noch glücklich? Was muss sich ändern?

Mit solchen Fragen kamen zum Jahreswechsel junge Menschen zu Impulstagen zu uns ins Kapuzinerkloster nach Salzburg. Elf Menschen auf der Suche nach Stille und alternativer Gemeinschaft konnten wir beherbergen, angefragt hatten doppelt so viele. Ich hatte mit allen Teilnehmenden vorher telefoniert. Die Erwartungen an die Auszeit klangen stets sehr ähnlich: Stille, Rückzug, die Gemeinschaft mit Gleichgesinnten und Ordensleuten. Auszeit eben, eine Oase im Stress des Alltags.

Reden und schweigen – beides kann Durst stillen

Die Idee der Organisatoren, Bruder Julian Pfeiffer und ich, war nicht neu. Ein Jahr zuvor hatten wir schon im Kapuzinerkloster in Münster überlegt und erprobt, welche Fragen die (jungen) Menschen umtreiben. Vielleicht solche: Was bedeutet der Übergang von einem Jahr in das andere an psychischer Verarbeitung? Welche Schwierigkeiten, welches Gelungene bringe ich mit? Was bereitet mit dem Blick auf 2024 jetzt schon Magenschmerzen, was Vorfreude? Und: In welchen Rahmen scheint mir die Reflexion, das Auf-mein-Leben-Blicken möglich zu sein? 

Wir Kapuziner haben uns natürlich gefragt, ob und wie wir Oasen schaffen können, wie wir den Durst jeder und jedes einzelnen Teilnehmenden stillen können, den Flüssigkeitsbedarf auffüllen, das Ausgetrocknetsein der Wüste mildern. 

Uns wurde sehr bald klar, dass wir als Hörende der Sorgen und Nöte einen sehr guten Dienst tun können. Mit unseren Erfahrungen und Ratschlägen sind wir sehr wohldosiert umgegangen. Aber Zuhören, das war immer wieder gewünscht – ausführlich und geduldig. Meine älteren Mitbrüder wurden von den Teilnehmenden besonders häufig angesprochen. Und die Senioren ließen sich gerne darauf ein, hatten stets ein offenes Ohr. 

Weshalb wird Zuhören derart geschätzt? Vermutlich, weil es im Alltag zu kurz kommt. Weil uns viele Menschen viel erzählen, aber selten zuhören. Weil das Bedürfnis, sich Dinge von der Seele zu reden, wichtig ist. Weil die meisten vermutlich lieber sprechen als zuhören. „In diesen Tagen konnte ich mich auf das Wesentliche im Leben konzentrieren und all das finden, was ich in meinem Leben so schmerzlich vermisse: Ruhe, Stille, Ordnung, Struktur, Miteinander, Wertschätzung, Interesse für das Gegenüber“, erzählte eine Teilnehmerin.

Wenn das hörende Ohr fehlt oder man doch nicht alles erzählen will, kann man auch schreiben. Deshalb konnten sich die Teilnehmenden aus knapp 30 Rückblick-Fragen individuell eine Handvoll auswählen, mit denen sie einige Stunden in die Stille gingen, um sie für sich alleine zu beantworten. Das waren Fragen wie: Welche meiner Erlebnisse im Jahr zählen zu den fünf schönsten? Welcher Abschied beziehungsweise welche Trennung ist mir schwergefallen? Womit hatte ich unrecht, wem habe ich Unrecht getan? Was war die größte physische, was die größte psychische Herausforderung in diesem Jahr? 

Hilfreich war dabei auch der Feuer-Effekt: das Loslassen, das Hinter-sich-Lassen der schriftlich festgehaltenen Gedanken, das sichtbare Abrechnen mit dem Belastenden. Hierfür entzündeten wir ein Feuer im Garten, wo die Teilnehmenden die auf Papier festgehaltenen Antworten verbrennen konnten. Der Gedanke war: Vertrauen wir das, was im zu Ende gehenden Jahr schlecht gelaufen ist, dem Herrn an und werfen das Blatt Papier symbolisch in die Flammen. Manche wollten am Feuer einige ihrer Gedanken mit der Gruppe teilen. Auch das Mitteilen tut gut, es stellt den Gegenpunkt zum Alleinsein dar.

Und was kommt, wenn man die Oase verlässt?

Neben den aktiven Möglichkeiten, dem Sprechen und Schreiben, ist auch das Innehalten, die Kontemplation, eine gute Hilfe, in sich hineinzuhören und eigene Quellen anzuzapfen. Wie sehr einen Teilnehmer die Kontemplation, die im Alltag meist viel zu kurz kommt, weiterbrachte, veranschaulichte er, indem der junge Mann Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf zitierte: „Und dann braucht man ja auch noch Zeit, einfach nur da zu sitzen und vor sich hin zu schauen.“

Was bleibt nun, wenn wir die Oase verlassen haben? Wird die Auszeit nachhaltige Früchte tragen? Eine Teilnehmerin aus Franken sagte: „Klarheit ist entstanden, die Verwirrung hinweggefegt.“ Und eine Oasensuchende aus Ostdeutschland freute sich am Ende der Impulstage: „Die Zeit hier hat meine Seele genährt, deshalb kann ich erfüllt nach Hause fahren.“ Ohne Oasen gäbe es in der Wüste kein Leben.
 

Michael Maldacker