Ein Buch des Schreckens

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Prälat Moll
Nachweis

Stefan Branahl

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Das Bistum Hildesheim hat wie alle anderen Diözesen einen eigenen Ordner mit Unterlagen über ermordete Glaubenszeugen. Prälat Moll sammelt darin die Unterlagen über Märtyrer des 20. Jahrhunderts

Von wegen nur Geschichte des frühen Christentums! Nie gab es mehr Märtyrer als im 20. Jahrhundert. Der Kölner Prälat Helmut Moll gibt den bisher meist unbekannten Glaubenszeugen auch im Bistum Hildesheim eine Stimme.

Von Stefan Branahl
Märtyrer, Menschen also, die für ihren Glauben in den Tod gegangen sind, kennen wir aus der Zeit der frühen Christen. Aber heute gibt es so etwas doch nicht mehr – oder doch? Prälat Helmut Moll kennt die Antwort, und sie ist überraschend: „Das 20. Jahrhundert hat mehr Märtyrer hervorgebracht als alle Jahrhunderte zuvor“, sagt er.
Der Kölner Theologe muss es wissen, er gilt als Fachmann für dieses Thema. Vor mittlerweile 30 Jahren haben ihn die deutschen katholischen Bischöfe damit beauftragt, auf Wunsch des damaligen Papstes: Im Blick auf das Heilige Jahr 2000 wollte Johannes Paul II. einen weltweiten Überblick über eben diese Glaubenszeugen und forderte Bischofskonferenzen, Diözesen und Orden auf, deren Lebens- und Leidensgeschichte zu recherchieren. Prälat Moll hat das für Deutschland koordiniert und ein so genanntes Martyrologium veröffentlicht – zwei dicke Bände – mit derzeit rund 1000 Biographien. Rund 80 sind für die aktuelle achte Auflage neu hinzugekommen.
Auch das Bistum Hildeheim ist in diesem Martyrologium mit dem Titel „Zeugen für Christus“ vertreten, zahlenmäßig zwar nicht so stark wie andere Diözesen, aber doch mit mehr Namen als bisher bekannt (siehe Seite 16). Darunter ist beispielsweise die in Holzminden an der Weser geborene Marianne Hertz. Die zum katholischen Glauben konvertierte Jüdin wurde am 30. September 1942 im Konzentrationslager Auschwitz ermordet. Ihre im Martyrologium veröffentlichte Lebensgeschichte hat Thomas Scharf-Wrede verfasst. Der Leiter des Hildesheimer Bistumsarchivs ist einer von vielen Autoren für dieses gleichermaßen umfangreiche wie bedrückende Werk. Zwar hat Helmut Moll selbst etliche Biografien verfasst – „aber allein könnte ich diese Aufgabe nicht stemmen“, sagt er. Und darum hat er nicht nur in jedem deutschen Bistum Ansprechpartner, sondern ein Netz von weiteren Fachleuten, mit denen er zusammenarbeitet. An sie kann er delegieren, denn seit Erscheinen der ersten Auflage kommen immer wieder Angehörige, Zeitzeugen oder Pfarrgemeinden mit neuen Vorschlägen auf ihn zu.
Ist vor Ort dann alles Material zusammengetragen worden, prüft der Kölner Prälat, ob eine von vier definierten Vorraussetzungen für die Aufnahme ins Martyrologium erfüllt sind. Laut Moll zählen etwa 400 zu den Opfern des NS-Regimes: „Pries-ter, Schwestern und Laien starben, weil der Glaube an Christus stärker war als die Ideologie des Nationalsozialismus.“ Als zweite Gruppe nennt er die Märtyrer des Kommunismus. „Das sind vor allem die Donauschwaben und die katholischen Missionare, die in Osteuropa tätig gewesen sind.“ Dann gibt es die sogenannten Reinheits-Märtyrer. Hinter diesem abstrakten Begriff versteckt sich, was zehntausende Frauen in den ehemals deutschen Ostgebieten erlitten haben: „Sie wurden geschändet und der Würde ihres Leibes beraubt, viele kamen dabei ums Leben.“ Und dann, zuletzt, gibt es eine große Zahl von Missionsmärtyrern, Ordensleute also, die bei ihrem Einsatz für das Evangelum getötet wurden – vor allem in China, Korea und Papua-Neuguinea. Über all diese Schicksale hat Moll ungezählte Schilderungen in seinem umfangreichen Archiv, das einen ganzen Raum einnimmt.
Im Sommer wird Helmut Moll 90, aber trotz des Alters sitzt er täglich von morgens bis abends am Schreibtisch und arbeitet am Thema, das für ihn zu einer Lebensaufgabe geworden ist und ihm keine Ruhe lässt. Unermüdlich geht er neuen Hinweisen nach, prüft eingereichte Biographien, schreibt, redigiert, hält Vorträge in Schulen und Gemeinden, ist unterwegs. Was treibt ihn an? Es ist auch das Schicksal von Menschen, von denen bisher viel zu wenig Notiz genommen wird. „In den Geschichtsbüchern wird meistens über die Sieger geschrieben, kaum über die Verlierer, die am meisten gelitten haben.“
Seine Aufgabe sieht Moll längst noch nicht abgeschlossen. „Auch in unserer Zeit werden Christen wegen ihres Glaubens verfolgt – nicht als Einzelfälle, sondern als weltweit größte Gruppe. Das nimmt allerdings kaum jemand zur Kenntnis. Und darum ist es wichtig, dass immer wieder darauf hingeweisen wird. Aber selbst in der Kirche und ihren Medien ist das viel zu selten ein Thema.“

„Zeugen für Christus – das deutsche Martyrologium“, zwei Bände in aktualisierter, achter Auflage, ist für 99 Euro über den Buch-
handel zu beziehen.