Schwerpunkt zum Tod von Papst Franziskus

Ein Diener Gottes

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Gedenkkerzen Papst Franziskus
Nachweis

. Foto:     Jean-Matthieu Gautier/KNA

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Viele angezündete Votiv- und Gedenkkerzen neben einem Bild des verstorbenen Papst Franziskus

Franziskus hat sich eingemischt: für Frieden in der Welt, für den Umwelt- und Klimaschutz und für eine Kirche, die bei den Schwachen und Ausgegrenzten ist. Theologinnen, Journalisten und Vatikan-Experten erinnern an die vielen Facetten seiner Amtszeit.


Er suchte das Gespräch mit der Politik

Papst Franziskus hat von Beginn seines Pontifikates an deutlich gemacht, dass die Kirche die Räume von Selbstzufriedenheit und Selbstbezogenheit verlassen und an den Peripherien dieser Welt ihren Auftrag neu verstehen müsse. Das war der rote Faden seiner Reisen: der Welt die wunden Punkte zu zeigen, die Mauern und die Orte brutaler Vernachlässigung der Menschlichkeit. Er schuf Bilder, die eindringliche Botschaften setzen: der Kranz im Gedenken an die ertrunkenen Flüchtlinge, den er bei Lampedusa in das Mittelmeer warf; die Mauer in Bethlehem, die er berührte und dazu die Wagenkolonne anhalten ließ; Begegnungen mit Rohingyas und Indigenen, die verfolgt und bis heute Opfer von Gewalt sind; schließlich das Pestkreuz auf dem regennassen Petersplatz, vor dem er in der Zeit der weltweit grassierenden Pandemie alleine steht, betend und später segnend – urbi et orbi, die Stadt und den Erdkreis. Es sind Bilder, die weit über das Pontifikat hinaus wirken werden.

Kein Frieden ohne Frieden der Religionen

Anette Schawan
Anette Schawan. Foto: Laurence Chaperon

Die zentralen Dokumente dieses Papstes entstanden nicht hinter verschlossenen Türen im Vatikan. Er suchte das Gespräch mit der Wissenschaft und der Politik. Er verstand unter der Kunst des Politischen auch, die notwendige Demut vor den Fakten zu respektieren und selbst zu praktizieren. Laudatio sí ist das beste Beispiel dafür. Ottmar Edenhofer, Klimaökonom aus Deutschland, gehörte zu seinen Beratern und nannte den Text den Auftakt zu einem neuen Kapitel der Sozialethik. Die Kernbotschaft: Sauberes Wasser, reine Luft und die natürlichen Ressourcen generell, sie sind Gemeinschaftsgüter. Es kann die Welt nicht fortwährend ignorieren, dass Wohlstand für die einen sich speist aus der Armut der anderen. Diese Botschaft ging über die katholische Welt hinaus und stärkte seine Autorität als moralisches Gewissen weltweit.

Zu den politischen Prioritäten des Pontifikates gehörte die Überzeugung, dass es keinen Frieden der Welt geben wird ohne den Frieden der Religionen. Der Papst hat die Verantwortung der Religionen bei vielen Gelegenheiten eindringlich beschrieben und außerordentliche Begegnungen ermöglicht – zum Beispiel mit dem Großmufti der Al-Azhar-Universität in Kairo, Scheich Ahmad Al-Tayyeb, und mit dem Schiitenführer Ajatollah Ali al-Sistani. Reisen nach Kasachstan, Bahrein, Tirana, die erste Reise eines Papstes in den Irak (Bagdad, Erbil, Mossul) waren ihm trotz aller Anstrengungen wichtig, um die Friedensbereitschaft und die Notwendigkeit für die Religionen, Frieden zu stiften, öffentlich zu machen.

Wie sehr diese Priorität bedeutsam ist, wurde allen klar, als der russische Präsident Putin mit öffentlicher Rückendeckung der russischen Orthodoxie den Angriffskrieg auf die Ukraine startete. Wer es bis dahin nicht wissen wollte, konnte nun spätestens erkennen, was unheilvolle Beziehungen zwischen Religion und Politik auslösen können. Papst Franziskus stand der Weltkirche vor, die ein Unikat ist: präsent auf den fünf Kontinenten und dort in Bildung, Wissenschaft, Medizin, Gesundheitsversorgung, Pflege, Kunst und Kultur wirksam – mitten in den Gesellschaften, auch in der Verantwortung großer Ordenstraditionen; vor allem aber ein Unikat, weil nicht Mitglied in einem politischen Bündnis und deshalb ohne Bündnispflichten. Auch das prägt die Politik und Diplomatie der Weltkirche. Er hat in den Jahren seines Pontifikates auch ermutigen wollen, dieses Alleinstellungsmerkmal der Weltkirche und das damit verbundene Potential wirksamer in den Dienst einer Menschheit zu stellen, die ihre Zuversicht in die Zukunft angesichts des Rückfalls in Krieg, Gewalt und Zerstörung einbüßt. Seine Kunst des Politischen trägt prophetische Züge.

// Annette Schavan  |  Deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl von 2014 bis 2018
 

Papst Franziskus Fußwaschung
Mit seinen Taten, etwa bei der Fußwaschung von Inhaftierten am Gründonnerstag, zeigte Franziskus, wie er sich die Kirche wünscht. Foto: kna/Vatican Media/Romano Siciliani

Er wollte die Kirche erneuern

Der erste Papst, der kein Europäer war. Der erste Papst, der den globalen Süden besser kannte als alle seine Vorgänger. Er wusste um die Schattenseiten des Lebens aus eigener Erfahrung. Und genau diese Schattenseiten machte er zum Gegenstand seiner beiden (Sozial-)Enzykliken (Laudato sí 2015 und Fratelli tutti 2020). Auch seine Regierungserklärung Evangelii gaudium (2013) ist sozialethisch hoch relevant. Franziskus übt deutliche Kritik an konkreten Zuständen und hat dabei immer eine ethische Zentralperspektive: die Sorge um die Würde eines jeden einzelnen Menschen sowie um das Leben im gemeinsamen Haus. 

Wildfeueer
Ursula Nothelle-Wildfeuer. Foto: kna/Harald Oppitz

Unvergessen gleich am ersten Gründonnerstag seines Pontifikats die Fußwaschung im Gefängnis und die Reise im Sommer 2013 auf die Insel Lampedusa. Das Wort von der „Schande“ gilt noch heute. Für Franziskus hängt die Plausibilität des Glaubens nicht allein an Glaubenssätzen, sondern vor allem an der erlebten Wirklichkeit: In diesem Geist wollte Papst Franziskus die Kirche erneuern. Kirche muss selbst leben, was sie nach außen verkündigt: die gleiche Würde aller, die Sorge um die Armen und um die am Rande der Gesellschaft. Eine „arme Kirche für die Armen“ beobachtet Armut nicht von außen, sondern ist mit den Menschen in ihren Ängsten und Nöten unterwegs. 

Kirche macht sich berühr- und nahbar, das meint seine Rede von der „verbeulten Kirche“. Diese Kirche muss glaubwürdig werden: Auch innerkirchlich sollen die Maßstäbe gelten, für die sich Kirche in der Gesellschaft stark macht, zum Beispiel für Demokratie, Partizipation, Subsidiarität. Papst Franziskus hat das Prinzip der Synodalität als Ausdruck eines neuen Geistes der Kirche betont und in den Sitzungen der Weltsynode thematisiert. Damit wurde eine unhintergehbare ekklesiologische Neuausrichtung initiiert, die sein Nachfolger fortsetzen muss. 

Zentral ist auch der Wert der Barmherzigkeit: Ein ganzes Jahr hat er dieser Grundhaltung gewidmet, die auf den ersten Blick etwas aus der Mode zu sein schien. Franziskus hat Barmherzigkeit nie nur als Verhaltensweise zwischen zwei Menschen, sondern als Grundlage gesellschaftlichen Miteinanders gesehen. Der leidende Mensch am Wegesrand ist ausgeschlossen – das gilt in persönlichen Beziehungen, aber eben auch in Strukturen und Institutionen. Offensichtlich besteht für Franziskus ein untrennbarer Zusammenhang zwischen den Werten der Barmherzigkeit und der sozialen Gerechtigkeit. 

Die Sorge um die Menschen trieb ihn an

Konstitutiv damit verbunden ist die Geschwisterlichkeit als Fundament einer gerechteren Gesellschaft. Sie meint die tatsächliche Anerkennung der gleichen Würde jedes Einzelnen und die Aufgabe, die Kluft zwischen Arm und Reich, Frauen und Männern sowie Freien und Sklaven zu überwinden. Geschwisterlichkeit meint Pluralität, sodass ein gesellschaftlicher Zusammenhalt möglich ist, in dem gilt: „Man kann von jedem etwas lernen, niemand ist nutzlos, niemand ist entbehrlich.“

Schließlich ist die Sorge um das gemeinsame Haus das zentrale Thema seiner ersten Sozialenzyklika Laudato sí. Angesichts der drohenden Umweltkatastrophe formuliert er seinen eigenen Ansatz einer integralen Ökologie. Franziskus sieht die ökologische und soziale Dimension als zwei Seiten der gleichen Medaille, um über Engführungen und Vereinseitigungen hinaus den Blick für das Ganze offen zu halten. 

Auch das Urteil des Papstes über den Kapitalismus hallt nach: „Diese Wirtschaft tötet“ (Evangelii Gaudium 53). Die Stoßrichtung ist wiederum die Sorge um die Menschen: Ein noch so geringer Verlust an der Börse scheint einen höheren Stellenwert zu haben als der Verlust eines Lebens in Würde und der Teilhabe an der Gesellschaft. Angesichts der „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ und der „Vergötterung des Geldes“ schrieb er allen Wirtschaftsakteuren die Forderung nach einer gerechten, menschenwürdigen Ordnung ins Stammbuch. 

Was bleibt von Papst Franziskus? Ganz sicher die Sehnsucht nach einer sozial gerechteren Welt und sein Engagement dafür. Seine Botschaft kann eine Leitschnur sein für all diejenigen, die sich für Gerechtigkeit und Frieden einsetzen – weit über die katholische Kirche hinaus.

// Ursula Nothelle-Wildfeuer  | Professorin für Praktische Theologie  an der Universität Freiburg
 

Er wollte alle einbeziehen

Myriam Wijlens
Myriam Wijlens. Foto: Anthony Tynan-Kelly

Vom Pontifikat von Papst Franziskus wird vor allem eines in die Geschichte eingehen: Mit der Synode über Synodalität hat er eine neue Phase der Rezeption des II. Vatikanums eingeleitet. Während das Konzil neben alten Lehren neue hinzufügte, ohne sie immer miteinander in Einklang zu bringen, eröffnete der Papst mit der Synode den Weg zu einer umfassenden Erneuerung, die zugleich zutiefst im Konzil verwurzelt ist. Mittels des synodalen Prozesses wurden die bestehenden konziliaren Lehren neu konfiguriert. Ziel war es, die Kernaufgabe der Kirche, nämlich missionarisch zu sein, zu optimieren. 

War die alte Lehre von Begriffen wie Hierarchie, Weihe, Gehorsam, Universalkirche geprägt, hat die Synode bereits im Konzil vorhandene Konzepte in den Vordergrund gerückt: Taufe, Gleichheit in Würde, Glaubenssinn, Mitverantwortung, Zuhören, Dialog, Kontext, Ortskirche. Bemerkenswert ist, dass Franziskus der Synode erlaubte, zugleich Lern- und Verkündigungsort zu sein: In gegenseitiger Wechselwirkung wurde praktiziert und reflektiert. Lernen durch Zuhören und Handeln lautete die Devise. Alle Getauften erhielten Gelegenheit, sich an dem Prozess zu beteiligen, weil, wie Franziskus betonte, alle etwas zu sagen und beizutragen haben. Die Synode betonte ihrerseits, was sie auch erlebte: Der Heilige Geist wirkt in der Gemeinschaft und nicht nur bei den Geweihten. Die aus der Taufe hervorgehende Gleichheit in Würde impliziert eine Mitverantwortung aller für die Sendung der Kirche. 

Welch ein Novum!

Franziskus hatte bereits zuvor für Frauen das Richteramt gestärkt sowie im Rahmen der Kurienreform klargestellt, dass sie auch Dikasterien leiten können. Bald folgten die ersten Ernennungen. Somit hat Papst Franziskus die von der Synode gewünschten Türen für Frauen geöffnet, auch in Bistümern in Leitungspositionen sowie in Entscheidungsfindungsgremien und Prozessen eingesetzt zu werden. In der Synode wurde zugehört und diskutiert: Statt in exklusiv episkopal besetzten Gremien zu beraten, ermöglichte Papst Franziskus, dass die kontinentalen Sitzungen ekklesial waren. Das hatte Auswirkungen auf die Synode in Rom: neben Bischöfen hatten auch Frauen und männliche Laien sowie Priester und Diakone Stimmrecht. Welch ein Novum! Die Ortskirche sowohl prozessmäßig als auch theologisch ins Zentrum zu rücken, machte bewusst, dass Kirche nicht ohne Kontext gedacht werden kann. 

Alle tragen Verantwortung

Das wiederum erfordert Dezentralisierung, ein Thema, das Franziskus bereits kurz nach seiner Wahl in Evangelii Gaudium (2013) unterstrichen hatte. Die Mitverantwortung aller wird verbunden mit dem Ruf, dass die Kirche ihre Entscheidungen transparenter gestalten muss und nicht nur den Oberen, sondern auch anderen Gläubigen gegenüber Rechenschaft abzulegen ist. Dazu sollen nun, auch im Kontext der Dezentralisierung, Verfahren für die Ortskirchen durch die Bischofskonferenzen entwickelt werden. Transparenz und Rechenschaft waren bereits 2019 Thema der von Franziskus einberufenen Sitzung mit Präsidenten von Bischofskonferenzen über das fehlende Handeln von Kirchenleitungen in Bezug auf Missbrauchsvorwürfe.

Franziskus hat sich die Ergebnisse der Synode zu eigen gemacht und das Schlussdokument dem, wie er sagte, „Heiligen“ Volk Gottes zur Umsetzung zurückgegeben. Damit hat er zugleich das petrinische Amt im ganzen Gefüge neu konfiguriert, was immense Implikationen für die Ökumene hat.

Papst Franziskus, der Pontifex, der Brückenbauer. Er hat die Kirche bewegt als Diener der Diener Gottes.

// Myriam Wijlens  | Professorin für Kirchenrecht an der Universität Erfurt und Teilnehmerin der Weltsynode
 

Papst Franziskus im Gespräch
Kein Blatt vor dem Mund: In Pressekonferenzen war Papst Franziskus für griffige Worte bekannt. Bei der Beurteilung des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine fehlte ihm oft die Klarheit. Foto: kna/Vatican Media/Romano Siciliani

Er redete gerne locker daher

Franziskus’ spontane Einlassungen bei einem Videogespräch mit russischen Jugendlichen im August 2023 hätten fast zu einer Kirchenspaltung führen können. Sie sollten als „Erben des großen Russlands“ ihre Herkunft nicht vergessen, so der Papst, und nannte Peter den Großen und Katharina II. Mit dem Verweis sorgte er nicht nur in der Ukraine für Empörung und Kritik. Aus Kiew hieß es gar, der Papst habe den russischen Imperialismus inklusive des Angriffs vom Februar 2022 gutgeheißen. Die kurz darauf in Rom versammelten Bischöfe der ukrainisch-katholischen Kirche müssen Franziskus ihre Wut und Enttäuschung zu spüren gegeben haben. Schon vorher war der Papst zurückgerudert. Die Äußerungen zu Russland seien „nicht glücklich“ gewesen.

Roland Juchem
Roland Juchem. Foto: privat

Schon früh im Pontifikat des Argentiniers deutete sich an, dass er gerne locker daherredet. Einer Gruppe lateinamerikanischer Ordensleute soll er 2013 gesagt haben: „Vielleicht wird ein Brief der Glaubenskongregation bei euch eintreffen, in dem es heißt, dass ihr dies oder jenes gesagt hättet.“ Die Ordensleute sollten sich aber keine Sorgen machen: „Erklärt, wo ihr meint, erklären zu müssen, aber macht weiter.“ Ein Papst, der seine wichtigste und ehrwürdigste Behörde nicht ernst nimmt? Nicht nur derem damaligen Leiter, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, stieß das sauer auf. Er dementierte die Aussage der Ordensleute, Franziskus nicht.

Bei seiner Chile-Reise Anfang 2018 wurde Franziskus ungehalten, als ihn eine Reporterin nach dem damaligen Bischof von Osorno, Juan Barros, fragte: „Es gibt keinen einzigen Beweis gegen ihn, das ist alles Verleumdung. Ist das klar?“ Barros wurde vorgeworfen, bei sexuellen Vergehen des damals längst verurteilten Priesters Fernando Karadima zugegen gewesen zu sein; Barros bestritt dies. Kurz darauf musste Franziskus dann doch seinen Sonderermittler in Sachen Missbrauch, Erzbischof Charles Scicluna, nach Chile schicken. Drei Monate später bot Chiles komplette Bischofskonferenz dem Papst ihre Demission an.

Vor allem in Europa dürften Franziskus’ spontane Vergleiche einer Abtreibung mit einem Auftragsmord – so bei einer Generalaudienz im 2018 – sowie sein „Erziehungstipp“, Kindern allenfalls einen Klaps auf den Hintern zu geben, aber nicht ins Gesicht zu schlagen, vereinzelt in Erinnerung sein.

Franziskus sorgte oft für Wirbel

Noch kontroverser war es, als Franziskus sich für staatliche Regelungen für homosexuelle Paare aussprach, ganz im Gegensatz zu früheren Aussagen der Glaubenskongregation. Einer Segnung homosexueller Partnerschaften erteilte diese zunächst eine Absage. Im Dezember 2023 machte sie eine Kehrtwende – mit „Fiducia supplicans“, der Segensanweisung des neuen Glaubenspräfekten und Papstfreundes Victor Fernandez.

Einerseits kam Bergoglios oft spontane, sprachlich-griffige Art sehr gut an: kuriale Krankheiten, Kirche als Feldlazarett, Hirten mit dem Geruch ihrer Schafe ... Da wusste der Pfarrer Papst, wie er sich verständlich machen konnte. Andererseits schien er seine Rolle als Kirchenoberhaupt und seine Redeweise durcheinander zu werfen. Der mediale Fallout päpstlicher Pressekonferenzen über den Wolken ließ etliche vatikanische Mitarbeiter Deckung suchen. Allerdings: Zu Zeiten von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. traute sich kaum ein Journalist, dem Papst kritische Fragen zu stellen. Entsprechend harmlos fielen die Antworten aus.

„Hagan lio“ – macht Wirbel, haut rein –, war ein Schlagwort, mit dem Franziskus Jugendliche aufforderte, ihren Anliegen Gehör zu verschaffen. Das tat er selber auch: einen etwas gröberen Brocken ins Wasser der Medienwelt werfen und schauen, welche Wellen er schlägt. Oft mahnte er Christen, sich im Dienst des Evangeliums auch die Hände schmutzig zu machen. Er selbst wurde dabei mitunter zum Papst, der sich den Mund verbrannte.

// Roland Juchem  |  Redakteur der Katholischen Nachrichtenagentur und ehemaliger Vatikankorrespondent


Er geißelte Gewalt gegen Frauen

Papst Franziskus hat als Kirchenoberhaupt beim Thema Frauen für Entwicklungen gesorgt, die vor ihm schwer denkbar zu sein schienen. Das gilt sowohl für die Parteinahme der Kirche für Frauen in der Welt wie auch in der Kirche selbst.

Gudrun Sailer
Gudrun Sailer. Foto: kna/Stefanie Stahlhofen

Zunächst: Auf einer das Christentum übersteigenden globalen Ebene war Franziskus der erste Papst, der Gewalt gegen Frauen geißelte, unmissverständlich und in drastischer Wortwahl. Gefolterte, misshandelte und missbrauchte Frauen sind eine Wirklichkeit, der er schon in Argentinien begegnete und später, als Papst, oft auf Reisen. Den Kampf gegen Menschenhandel, dessen hauptsächliche Opfer Frauen und Kinder sind, machte er zu einem frühen Schwerpunkt seines Pontifikats. Das Buch der in Deutschland lebenden irakischen Jesidin und Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad veranlasste ihn 2021 zu einem Besuch im Irak, wo nie zuvor ein Papst gewesen war. Murad war von Terroristen des sogenannten „Islamischen Staats“ versklavt worden. In Peru kritisierte Papst Franziskus 2018 die massive Gewalt gegen Frauen auf seinem Heimatkontinent. Und bei der Neujahrsmesse 2020 im Vatikan predigte er: „Jede Gewalt an der Frau ist eine Schändung Gottes, der von einer Frau geboren wurde.“

In Franziskus’ Heimatland Argentinien war Machismus lange Zeit unhinterfragter Teil des zwischenmenschlichen Umgangs und bestärkte auch die Kirche in ihrem Klerikalismus. Gelang es Bergoglio, diese Prägung zu überwinden? In weiten Teilen: ja. Seine marianische Frömmigkeit stand dem nicht im Weg. Den Glauben empfing er als Kind von der Großmutter, das formte ihn zeitlebens. Mit Hochachtung sprach er von seinem ersten Chef, einer Frau, in einem Chemielabor in Buenos Aires, von der Psychotherapeutin, die ihn nach den Erfahrungen der Diktatur heilte, von manch anderen. Bergoglio hat nach eigenen Worten viel von Frauen gelernt. Zugleich neigte er dazu, „die Frau“ in der Kirche – wie die Madonnenstatue auf der Säule an der Spanischen Treppe – auf ein Podest zu stellen und sie so auf Abstand zu halten. 

Doch dann gab er Frauen das Wahlrecht in der Bischofssynode, ließ sie bei der Feier der Liturgie (endlich) ins ständige Lektorat zu, schuf ein neues Laienamt, das in seiner Tragweite wohl noch nicht erkannt ist, das des Katecheten nämlich, und modelte seinen eigenen Staat zum Vorbild kirchlicher Teilhabe von Frauen um. Inzwischen tragen im Vatikan Frauen auf der Ebene direkt unter dem Papst Verantwortung für die Weltkirche und den Papststaat. An dieser Stelle wirkten bis vor wenigen Jahren nur Kardinäle und Bischöfe. Franziskus war davon überzeugt, dass ein Miteinander von Frauen und Männern der Kirche nützt. Auch wenn er 2023 zugab, dass ihm eine Klimaänderung in der Kurie nicht geglückt ist.

Mehr Gewicht für Frauen in der Kirche

Von der „Klerikalisierung“ von Frauen hielt Franziskus nichts. Dass er mit diesem Argument auch die Frauenweihe vom Tisch wischte („diese Tür ist zu“), kreideten reformorientierte Getaufte ihm als schief an: Männer als Priester wären dann von Haus aus nicht klerikalistisch? Die Debatte zum Frauendiakonat indessen erklärte er für legitim, indem er zwei Kommissionen einrichtete. Beide scheiterten, vielleicht kam dem Papst das entgegen: Der Frauendiakonat überzeugte ihn nicht, aber er sah, dass die Debatte sein Pontifikat überstieg. Aus Sicht katholischer deutscher Frauenverbände mag Franziskus hinter manchen Reformanliegen zurückgeblieben sein. Doch aufs Große gesehen, gab Franziskus Frauen ein neues Gewicht in der Kirche. Kein Papst vor ihm hat hier mehr Neues gewagt als er. 

// Gudrun Sailer  | Redakteurin bei Vatican News
 

Papst mit Ordensfrauen
Der Papst lachend und scherzend im Kreis von Ordensfrauen. Foto: kna/Vatican Media

Er setzte bis dahin ungesehene Zeichen

Das Problem hatte er von seinen Vorgängern geerbt. Aber der Umgang mit den zahllosen Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch Priester überschattete sein Pontifikat. Aus dem Skandal wurde eine Systemkrise, die zu lösen Papst Franziskus nicht in der Lage war. Er war oft stark in der Diagnose, doch schwach in der Umsetzung von Veränderungen. Seit den 80er Jahren war es dem Vatikan gelungen, die Missbrauchsskandale in einzelnen Ländern wie den USA, Irland oder auch Deutschland weitgehend auf nationaler Ebene abzuhandeln. Spätestens im August 2018 war die Krise im Zentrum der Weltkirche angekommen.

Matthias Katsch
Matthias Katsch. Foto: kna/Julia Steinbrecht

Erstmalig wandte sich ein Papst in einem Brief an alle Katholiken weltweit. „Mit Scham und Reue erkennen wir als kirchliche Gemeinschaft an, dass wir nicht da waren, wo wir hätten sein sollen, dass wir nicht rechtzeitig gehandelt haben, als wir das Ausmaß und die Schwere des Schadens erkannten, der so vielen Leben zugefügt wurde“, schrieb Franziskus. „Wir haben uns nicht um die Kleinen gekümmert, wir haben sie im Stich gelassen.“ 

In höchster Not, durch die nicht abreißenden Meldungen aus aller Welt, lud er für Anfang 2019 erstmals die Vorsitzenden aller Bischofskonferenzen zu einem Treffen nach Rom ein, um über sexuellen Kindesmissbrauch zu sprechen. Dieser Krisengipfel markierte aber zugleich auch die Grenze seines Willens zur Veränderung. Die Ursachen für die sexuelle Gewalt durch Priester wurden von einzelnen Bischöfen benannt: der Klerikalismus, die überkommene Sexualmoral, die Bigotterie im Umgang mit Homosexualität, die mangelnde Präsenz von Frauen und generell die Ohnmacht der Laien. Doch an tiefgreifende Lösungsvorschläge wagte man sich nicht. 

Auch Betroffene aus 30 Ländern kamen uneingeladen nach Rom. Von den Beratungen blieben sie ausgesperrt. Ihre Forderung nach einer echten Null-Toleranz-Politik im Umgang mit Missbrauchstätern und deren bischöflichen Beschützern wurde ignoriert. Zu einer Begegnung mit dem Papst kam es nicht.

Stattdessen hielt Franziskus zum Abschluss eine Rede, in der er darauf hinwies, dass sexueller Kindesmissbrauch ein weltweites Problem aller Gesellschaften sei. Statt notwendige Veränderungen anzukündigen, machte er einen Letztverantwortlichen für das Leid der Opfer aus: den Teufel. 

Immer wieder gebrauchte er in seinen Reden und Interviews das problematische Argument, dass man früheres Verhalten von Bischöfen im Umgang mit Missbrauch nicht mit heutigen Maßstäben messen könne. Inwieweit er sich mit dieser Relativierung auch selbst exkulpieren wollte, bleibt offen. Jedenfalls gab es während seiner Amtszeit mehrfach Vorwürfe über sein Verhalten im Umgang mit Missbrauchstätern in seiner Zeit als Bischof in Argentinien.

Mit „Vos estis lux mundi“ schuf Franziskus eine Vorschrift, nach der Bischöfe für ihren Umgang mit sexuellen Missbrauchsvorwürfen zur Verantwortung gezogen werden können. Zugleich bleibt die Anwendung undurchsichtig. Die Praxis der „angebotenen Rücktritte“ belässt es im Unklaren, wann und nach welchen Regeln ein Bischof bestraft wird. Unklar ist sogar, ob das Gesetz überhaupt schon zur Anwendung gekommen ist. So bleiben Willkür und Intransparenz kennzeichnend für den Umgang der Kirche mit Tätern, ihren bischöflichen Beschützern und den Opfern.

Er weckte die Hoffnung auf Veränderung

Persönlich setzte Franziskus bis dahin ungesehene Zeichen. Bei seiner Lateinamerika-Reise Anfang 2018 verteidigte er einen chilenischen Bischof, dem von Betroffenen Täterschutz vorgeworfen wurde. Als ihm wenig später klar wurde, dass er sich geirrt hatte, entschuldigte er sich bei den Betroffenen und lud die drei Wortführer, die er zuvor kritisiert hatte, zu sich in den Vatikan ein, um eine Woche bei ihm zu wohnen. 

Andererseits weigerte er sich in den folgenden Jahren, den systemischen Charakter der sexuellen Gewalt an Kindern, Jugendlichen und vulnerablen Personen anzuerkennen. Statt auf Änderungen von Verfahren und Prozessen zu setzen, betonte er die Bedeutung von persönlicher Haltung. Dass die Gewalt aus dem System heraus erwächst, aus den problematischen Strukturen und Lehren, wollte oder konnte er nicht sehen. Er hat sich sogar an die vielfach toxische Sexualmoral herangewagt. Nach den bleiernen Jahren konnte über die Morallehre in der Kirche wieder diskutiert werden. Doch am Ende beließ er es bei Änderungen in Fußnoten. Er weckte Hoffnung auf Veränderung, um sie zugleich wieder zu enttäuschen.

Somit fällt die Bilanz dieses Pontifikats zwiespältig aus. Das Problembewusstsein für den Schutz von Kindern ist gewachsen. Aber von notwendigen Veränderungen an Strukturen und Lehren ist die Kirche am Ende der Amtszeit von Papst Franziskus noch weit entfernt.

// Matthias Katsch |  Mitglied in der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs

 

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