Porträt des Schriftstellers Erich Maria Remarque
Ein Funke Leben im Grauen des Krieges
Imago/Everett Collection
Das Schicksal des deutschen Soldaten Paul Bäumer im Ersten Weltkrieg hat Millionen Menschen weltweit bewegt. „Er fiel im Oktober 1918, an einem Tage, der so ruhig und still war an der ganzen Front, dass der Heeresbericht sich nur auf den Satz beschränkte, im Westen sei nichts Neues zu melden“, schreibt Erich Maria Remarque (1898–1970) lapidar am Ende seines Antikriegsromans „Im Westen nichts Neues“. Der junge Bäumer hatte das Sterben auf den Schlachtfeldern und in den Schützengräben eigentlich schon hinter sich gelassen. Als 18-Jähriger war er gleich zu Beginn des Krieges von der Schulbank weg und freiwillig in den Krieg gezogen. Die Realität der Granaten, die Arme, Beine und Bäuche von Freund und Feind zerfetzten, holte ihn und seine Kameraden schnell ein. Als einer der letzten stirbt Bäumer kurz vor dem Waffenstillstand. Der Versuchung, die Geschichte am Ende zum Guten zu wenden, widersteht Remarque in all seinen Romanen.
„Die Menschen ständig an die Schrecken erinnern“
Er schreibe immer wieder über Krieg, Krisenzeiten und Verfolgung, weil er es für notwendig erachte, „die Menschen ständig an diese Schrecken zu erinnern“, sagte er in einem seiner letzten Interviews Ende 1969. Er erzähle von einer Generation, „die durch den Krieg zerstört wurde, obwohl sie den Granaten entkommen ist“.
Remarques Bücher sind durch alle Zeiten und auch heute vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine brennend aktuell. Ein Indiz dafür sind die vier Oscars für die neueste deutsche Verfilmung von „Im Westen nichts Neues“ von Edward Berger, darunter die Auszeichnung als „Bester Internationaler Film“.
Seine Helden seien wie Paul Bäumer immer auch Opfer gewesen, erläutert Sven Jürgensen, Leiter des Erich-Maria-Remarque-Friedenszentrums in Osnabrück. Das gelte nicht nur für sein bekanntestes Werk, das 1928 erschien und ihn schlagartig weltberühmt machte. Bis heute wurden davon bis zu 40 Millionen Exemplare in mehr als 60 Sprachen aufgelegt.
Auch in Remarques folgenden Romanen wie „Der Weg zurück“, „Drei Kameraden“, „Arc de Triomphe“ oder „Der schwarze Obelisk“ sterben die Hauptfiguren, werden in ihrer Liebe auseinandergerissen, bleiben als gebrochene Menschen zurück.
Remarque selbst erlebte das Grauen an der Front im Ersten Weltkrieg als junger Soldat, wurde aber bereits nach sechs Wochen verwundet und verbrachte lange Zeit im Lazarett. Im Mai 1933 verbrannten die Nazis seine Bücher, er selbst hatte Deutschland schon 1931 verlassen. Im Exil in der Schweiz und den USA fand er schnell neue Heimat und Wohlstand.
Der ehemalige Volksschullehrer und Journalist war ein guter Zuhörer, Beobachter und Rechercheur. „Er hat wie ein Seismograf die Verwerfungen seiner Zeit wahrgenommen“, sagt Jürgensen. Vor allem aus den Schilderungen seiner Kameraden im Lazarett speiste sich „Im Westen nichts Neues“. Für den KZ-Roman „Der Funke Leben“ dienten ihm Berichte in Zeitungen und der Literatur als Inspiration.
Der frühe Ruhm ermöglichte dem sportlich-elegant daherkommenden, groß gewachsenen Mann ein ausschweifendes Leben. Er reiste, sammelte in seiner Villa am Lago Maggiore Kunstwerke, hatte Affären mit Marlene Dietrich und Greta Garbo, war mehrfach verheiratet. „Er hat das Leben genossen“, sagt Jürgensen. Damit habe er bewusst dem Klischee widersprochen, dass ein guter Schriftsteller mittellos am Rand der Gesellschaft leben müsse.
Umso höher sei die literarische Kraft seiner Werke zu bewerten, urteilt Jürgensen. Remarque konzentriere sich ganz auf die Personen, beschreibe sie mit Wärme und Empathie. „Das macht die Bücher für alle Welt lesbar und allgemeingültig.“
Ein Pazifist, der sich nicht vereinnahmen ließ
Remarque habe lange als unpolitisch gegolten, sagt die Osnabrücker Literaturwissenschaftlerin Claudia Junk vom Remarque-Friedenszentrum. Er sei zwar erklärter Pazifist gewesen, habe sich aber nie von einer Partei oder Organisation vereinnahmen lassen.
Erst als sie und ihr Team im Friedenszentrum kürzlich die zahlreichen Interviews ausgewertet hätten, die er im Ausland gegeben habe, hätten sie einen durchaus politisch denkenden Menschen entdeckt, sagt Junk. Im März 1939 warnte Remarque im „Brooklyn Daily Eagle“ vor einem „Krieg in Europa, der schließlich die ganze Welt verwickeln wird“. Im April 1942 rief er im „Examiner“ in San Francisco zum Kampf gegen den „Hitlerismus“ auf.
Vermutlich, weil er aus einfachen Verhältnissen stammte, war sich der Autor trotz des Ruhms seines schriftstellerischen Könnens nie ganz gewiss. In Interviews äußerte er diese Zweifel mitunter. Aus seinen Tagebucheinträgen werde deutlich, dass er sich oft nur schwer auf das Schreiben konzentrieren konnte, berichtet Jürgensen. Er hatte ein Alkohol-Problem, litt zeitweise unter Depressionen.
Ihm mache auch zu schaffen, dass er mit dem Schreiben den Zweiten Weltkrieg nicht habe verhindern können, räumte Remarque im September 1939 in einem Interview ein: „In den letzten Jahren hatte ich gehofft, dass ‚Im Westen‘ einen Beitrag zur Erreichung des großen Ziels der Menschheit – dem Frieden – leisten würde, aber es ist jetzt offensichtlich, dass ich zu viel verlangt habe.“