Im Hospiz in Bremervörde ist der Tod allgegenwärtig

Ein Haus voller Leben. Trotzdem!

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Angst und Schmerzen nehmen, noch einen Wunsch erfüllen, Zeit haben für ein Gespräch, das Unausweichliche nicht verdrängen. Auch wenn im Hospiz in Bremervörde der Tod gegenwärtig ist, ist es kein trauriges Haus.


Im Garten sind als Zeichen der Erinnerung und Trauer Steine ausgelegt, gestaltet von den Angehörigen.

Es ist eine Atmosphäre zum Wohlfühlen. Nichts erinnert an die kühle und sterile Atmosphäre in einem Krankenhaus. „Das Hospiz ist das Zuhause unserer Gäste“, sagt Sabine Eckstein. Die 56-Jährige leitet das Hospiz seit seiner Eröffnung. Elf schwerkranke Menschen erhalten hier die Pflege, medizinische Versorgung und soziale Unterstützung, die für ein selbstbestimmtes und würdevolles Leben bis zuletzt nötig ist. Ein Team von 15 Pflegekräften kümmert sich um die Gäste. Niedergelassene Palliativmediziner, Hausärzte, Seelsorger und Ehrenamtliche komplettieren die Betreuung. 2013 wurde das Haus vom Kirchenkreis Bremervörde-Zeven errichtet. Auch die katholische Heilig-Geist-Gemeinde Stade, zu der Bremervörde gehört, ist eingebunden.
 


Anni Tiedemann ist dankbar, dass sich Pflegerin Katrin Buck Zeit nehmen kann für ein Gespräch.

Gerade sind Plätze frei, denn in kurzer Zeit haben sich fünf Gäste auf ihren letzten Weg gemacht. Lange werden die Zimmer, die alle über einen eigenen mit dem Bett befahrbaren Balkon verfügen, nicht unbelegt bleiben. Die Nachfrage ist groß. 780 Gäste hat das Hospiz seit seiner Eröffnung betreut und begleitet. Die Zeit, die sie im Hospiz bleiben, ist sehr unterschiedlich. „Von einer halben Stunde bis 15 Monate“, sagt Sabine Eckstein. Es ist nicht selten, dass die Gäste im Hospiz noch einmal aufleben. Hier dürfen sie loslassen, sind befreit von Krankenhausaufenthalten, leben in einer familiären Gemeinschaft und müssen nicht leiden. Einige Bewohner konnten sogar noch einmal nach Hause, weil sich ihr Zustand stabilisiert hatte. Die Leiterin erinnert sich an eine krebskranke Mutter mit einem achtjährigen Sohn, die vor einigen Jahren kurz vor Weihnachten doch noch einmal nach Hause zurückkehren und mit der Familie das Fest im vertrauten Umfeld feiern konnte. Verstorben ist die Frau dann zu Hause – auch dort palliativmedizinisch betreut.
 


Irmgard, Gast im Tageshospiz, blättert im Eingangsbereich durch das Erinnerungsbuch.

Die Palliativmedizin ist ein wichtiger Baustein im Hospiz: Denn die Gäste sollen ihre letzten Tage und Wochen möglichst „symptomfrei“ sein – also frei von Atemnot, Schmerzen, Angst oder anderen Beschwerden. Es ist auch dieser Punkt, der für die Gäste entscheidend ist. „Dass ich keine Schmerzen mehr habe, ist das Wichtigste“, sagt Anni Tiedemann (85). Gegen ihren Lungentumor lässt sich nichts mehr tun. „Es ist, wie es ist – es ist mein Schicksal und ich nehme es an“, sagt sie. „Wenn mein Tag kommt, bin ich bereit. Wehren kann ich mich ja doch nicht“, sagt sie und schluckt die aufsteigenden Tränen hinunter. Pflegerin Katrin Buck streichelt ihre Hand. „Und so lange sind wir für dich da.“ Anni Tiedemann nickt dankbar. „Ja, es geht mir gut hier“, sagt sie. „Hier wird mir jeder Wunsch von den Lippen abgelesen“, so die 85-Jährige und ihre Augen leuchten auf.
 


Der Raum der Stille ist ein Rückzugsort für Hospizgäste und Angehörige

Wünsche erfüllen ist dem Hospiz-Team wichtig. Bei dem einen ist es das Ausschlafen am Morgen, beim anderen wird noch einmal der Friseur ins Haus bestellt oder ein lange nicht gesehener Angehöriger zum Besuch eingeladen. „Wir stellen uns ganz individuell auf jeden Gast ein“, sagt Sabine Eckstein. Die meisten Gäste bewegen ähnliche Themen: Was wird aus meiner Familie? Was muss ich noch erledigen, wo komme ich hin? „So vielfältig wie die Gäste sind, so vielfältig sind ihre Anliegen“, so Sabine Eckstein. Ein guter Schlüssel an Personal, aufgestockt durch Ehrenamtliche und Seelsorger fangen den Gesprächsbedarf auf. Auch bei der täglichen Pflege bleibt Raum für das Gespräch. „Wir haben hier keine Zeitnot, müssen nicht von Zimmer zu Zimmer hetzen.“ Es bleibt Raum, die Menschen kennenzulernen, die ihre letze Zeit im Hospiz verbringen, Bedürfnisse zu erkennen und ihnen nachzukommen. „Hier wird nichts auf die lange Bank geschoben“, sagt die Hospizleiterin.

Doch natürlich gibt es sie auch, die schweren Momente im Haus. Der Tod gehört hier zum Leben dazu und doch ist er nie alltäglich. Wenn sich ein Gast auf seinen letzten Weg macht, ist die Anteilnahme unter den anderen Bewohnern groß. „Letztlich erinnert der Tod daran, was auf jeden unserer Gäste zukommt“, sagt Sabine Eckstein. Nach dem Abschied wird im Eingangsbereich eine Kerze angezündet. Der Leuchter hat elf Kerzen, für jeden der Gäste eine. Daneben steht der Erinnerungstisch, auf ihm liegen Kondolenzbücher, die an all die Menschen erinnern, die hier gelebt haben.

Auch für den letzten Weg gibt es ein Ritual. Wenn der Bestatter kommt, bilden die Pflegekräfte ein Spalier, um den Verstprbemem durch den Haupteingang hinauszugeleiten. „Die Menschen sollen gehen, wie sie gekommen sind“, sagt Sabine Eckstein. Rituale wie diese sind auch für die Mitarbeiter wichtig. Viele haben früher in Pflegebereichen gearbeitet, wo zu wenig Zeit ist, um Menschen einen würdevollen Abschied zu bereiten – das jetzt tun zu können, ist für sie sehr wichtig. Es sind bei aller Trauer Momente, die dem Weg am Ende ein bisschen von seiner Last nehmen und den Tagen, die bleiben, Leben verleihen.

Martina Albert