Ausstellung in der Burg Dankwarderode

Ein Kästchen voller Geheimnisse

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In der Burg Dankwarderode präsentiert das Herzog-Anton-Ulrich-Museum in Braunschweig seine mittelalterliche Kunstsammlung. Im Hauptgebäude in der Museumstraße sind rund 4000 historische Kunstwerke zu sehen, viele von ihnen greifen biblische Themen auf.


Ein rätselhaftes Kästchen: Vielleicht diente es dem
Transport von Hostien, doch gesichert ist das nicht.

Es ist ein seltsames kleines Kästchen in Hausform mit Walmdach, knapp dreizehn mal dreizehn Zentimeter hoch wie breit, auf der Unterseite findet sich eine geheimnisvolle Runeninschrift. „Das ist ein tolles Stück“, schwärmt die Kunsthistorikerin Regine Marth und verweist auf das feine Flechtwerk aus geschnitzten Walrosszahnplatten. „Hier finden wir viele Hinweise auf christliche Motive, die wir auch aus der angelsächsischen Buchmalerei kennen“. Das sogenannte Gandersheimer Runenkästchen aus der Zeit um 800 gehörte zum Bestand des traditionsreichen Gandersheimer Frauenstifts, dem „Familienstift“ der ottonischen Kaiser. Das Kästchen wird heute in der Burg Dankwarderode in Braunschweig gezeigt, dort ist die Mittelaltersammlung des Herzog-Anton-Ulrich-Museums untergebracht, das Haus gehört zu den ältesten und bedeutendsten Kunstmuseen Deutschlands.

Tierdarstellungen verweisen auf die Schöpfungsgeschichte

Regine Marth leitet die Mittelalterabteilung, das Kästchen aus Walrosszahn gehört zu ihren Lieblingsobjekten. „Interessant sind auch die Tierdarstellungen, die in verschlüsselter Form auf die Schöpfungsgeschichte verweisen, zu sehen sind Lebewesen, die im Wasser, auf der Erde und in der Luft leben. Dazu kommen der Lebensbaum und die im Flechtwerk verborgenen Kreuze als Zeichen für Christus.“
 


Adam und Eva: So blickt Lucas Cranach
der Ältere im 16. Jahrhundert auf den
Sündenfall. Im Herzog-Anton-Ulrich-
Museum finden sich zu dem Thema
unterschiedliche Varianten.

Ein ungewöhnliches Behältnis, man weiß auch nicht genau, wozu es verwendet worden ist. „Vermutlich trugen es die Priester um den Hals, als eine Art Mini-Container für die Hostien,“ erläutert die Kunsthistorikerin. In der Burg Dankwarderode auf dem Burgplatz neben dem Braunschweiger Dom St. Blasien ist nicht nur der mächtige bronzene Löwe, das Wappentier und Herrschaftszeichen Herzog Heinrichs des Löwen, im Original zu sehen, hier sind neben Kreuzen, Altären und liturgischen Stoffen auch Teile des Welfenschatzes ausgestellt, darunter das berühmte Armreliquiar des heiligen Blasius aus dem 11. Jahrhundert.

Beeindruckend ist auch der rote Prunkmantel von Kaiser Otto IV., einem Sohn Heinrichs des Löwen, er ist der einzige Welfe, der die Kaiserwürde erlangt hat, auch wenn dies nur von kurzer Dauer war. Diesen Mantel aus byzantinischer Purpurseide trug der Kaiser bei seiner Krönung durch Papst Innozenz III. im Jahr 1209. Ein erlesenes Gewand mit kostbarer Goldstickerei, am oberen Rand, der ursprünglichen Vorderkante des Mantels, sind Christus als Weltenherrscher und Maria als Himmelskönigin abgebildet, ihnen zugeordnet sind kniende Engel mit Weihrauchfässern.

„Das ist eine außerordentliche Arbeit, schlicht und edel“, so die Kunsthistorikerin. „Die Leoparden, die hier eingestickt sind, symbolisieren die Wappentiere des englischen Königshauses, mit dem Kaiser Otto IV. über seine Mutter Mathilde verwandt ist. Die Sterne und Halbmode verweisen auf den Kosmos“. Dieser Stoff wurde später auch liturgisch verwendet. „Kaiser Otto IV. verfügte in seinem Tes­tament, dass der Mantel nach seinem Tod dem Bendediktinerkloster St. Aegidien in Braunschweig übergeben werden sollte“, ergänzt der Historiker und ehemalige Leiter der Mittelalterabteilung des Braunschweigischen Landesmuseums Hans-Jürgen Derda. „Dort wurde der Prunkmantel später als Altardecke genutzt.“

 


Reich verziert ist das Armreliquiar des
heiligen Blasius aus dem 11. Jahrhundert.

Herzog Anton Ulrich war Kunstsammler und Konvertit

Im Mittelalter erlebt auch das höfische Leben eine Blütephase. Vor Kurzem erst wurde der Bildteppich mit Szenen aus der Gawan-Episode aus dem Gralsroman „Parzival“ von Wolfram von Eschenburg restauriert und ist jetzt in der Burg Dankwarderode zu sehen, er stammt aus dem Heiligkreuzkloster in Braunschweig und ist im Klosterstich gearbeitet. Die Stickerinnen müssen sehr belesen gewesen sein, sonst hätten sie die Romanszenen nicht so detailreich ins Bild setzen können. Der Teppich diente vor allem bei festlichen Anlässen als Wandschmuck in den Sälen der Klöster.

Bildung und Repräsentation, beides gehörte auch zu den Anliegen des leidenschaftlichen Kunstsammlers Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, der 1709 zum katholischen Glauben konvertiert ist, ob aus politischen Erwägungen, aus Gewissensgründen oder einer Mischung aus beidem, bleibt Spekulation. Der Kunstliebhaber stellte seine Schätze zunächst in seinem Lustschloss Salzdahlum zur Schau, er ist der Impulsgeber des Herzog-Anton-Ulrich-Museums, das  als „Kunst- und Naturalienkabinett“ im 18. Jahrhundert als eines der ersten Museen in Deutschland eröffnet wurde. Heute besitzt das Museum rund 4000 Kunstwerke aus drei Jahrtausenden, den Schwerpunkt bildet die Kunst des 16. bis 18. Jahrhunderts. Die reiche Sammlung umfasst hochkarätige Werke aus Europa, darunter Gemälde von Al­brecht Dürer, Rembrandt oder Peter Paul Rubens.

Immer wieder tauchen biblische Motive auf

Immer wieder tauchen neben mythologischen auch biblische Themen und Motive auf, eine ganze Raumflucht in der Gemäldegalerie ist dem Thema „Alltag und Glaube“ gewidmet, dazu gehört das berühmte Gemälde des „Großen Gastmahls“ aus dem 16. Jahrhundert oder auch Peter Paul Rubens „Judith mit dem Haupt des Holofernes“. In den verschiedenen Themeninseln gibt es zahlreiche Beispiele. Unter der Rubrik „Himmlischer Glanz“ etwa sind prachtvolle Bildtafeln und Altäre mit florentinischer Malerei des 15. Jahrhunderts zu sehen, glanzvolle Zeugnisse des Glaubens vor dem Beginn der Neuzeit. Im Kapitel „Reformation und Neubesinnung“ mit Werken von Hans Holbein oder Lukas Cranach dem Älteren geht es um religiöse und politische Umwälzungen. Der Humanismus entwickelte sich zum neuen Leitbild, dabei wurde das Ideal der Antike und deren mythologisches Erbe wiederentdeckt.

Doch auch die Geschichten aus der Bibel wurden von den Künstlern immer wieder variiert und neu in Szene gesetzt, so etwa der Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradies. Im Herzog-Anton-Ulrich-Museum finden sich unterschiedliche Varianten, darunter das Gemäldepaar Adam und Eva von Lucas Cranach dem Älteren.

In der Skulpturensammlung im 2. Ober­geschoss des Hauses tauchen die beiden biblischen Figuren ebenfalls wieder auf – nicht nur auf farbig glasierter italienischer Keramik, sondern auch aus Holz, wie die beiden Holzskulpturen des Bildhauers Leonhard Kern aus der Zeit des 30-jährigen Krieges. Zwei nackte Menschen, deren abstrahierender Stil beinah modern anmutet: „Diese Figuren könnten fast von Aristide Maillol stammen“, betont die Kunsthistorikerin Regine Marth. „Ich mag sie sehr, auch, weil sie im Ausdruck so unterschiedlich sind“. Der Mann, Adam, ist hier eher abwartend dargestellt, als halte er am Alten fest. Die Frau, Eva, hingegen ist viel dynamischer. Zwar laufen ihr die Tränen über das Gesicht, weil sie das Paradies verlassen muss, zugleich aber strebt sie kraftvoll und energiegeladen der Zukunft entgegen.

Das Herzog-Anton-Ulrich-Museum im Braunschweig ist dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Informationen unter www.3landesmuseen.de.

Karin Dzionara