Vatikangericht schickt Kardinal Becciu ins Gefängnis

Ein Urteil im Namen des Papstes

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Die Richter Venerando Marano und Giuseppe Pignatone verlesen das Urteil im Strafprozess um den Finanzskandal im Vatikan
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Foto: kna/Romano Siciliani/Vatican Media

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Urteil gefällt: die Richter Venerando Marano und Giuseppe Pignatone

Erstmals ist im Vatikan ein Kurienkardinal von Laienrichtern verurteilt worden. Die Anwälte von Kardinal Becciu haben Berufung angekündigt. Die weltliche Justiz des Papstes übt sich in Rechtsstaatlichkeit.

Als der Vorsitzende Richter Giuseppe Pignatone im vatikanischen Finanzstrafprozess zur Verlesung des langen Urteils schritt, begann er seinen Vortrag mit der Anrufung Gottes. Verkündet wurde das Urteil sodann nicht "im Namen des Volkes" - denn das gibt es im Vatikanstaat nicht als Souverän - sondern "im Namen Seiner Heiligkeit Papst Franziskus".

Doch das waren die einzigen Punkte, in denen sich der Prozess gegen den italienischen Kardinal Angelo Becciu und neun weitere Angeklagte von einem "normalen" Urteil unterschied. An den Wänden des Gerichts hingen ein Konterfei des Staatsoberhauptes, Papst Franziskus, sowie ein Kreuz - so wie das auch in anderen Staates üblich ist. Und ähnlich wie im Nachbarland Italien, dessen Strafgesetzbuch in der Fassung von 1890 der Vatikanstaat im Wesentlichen nutzt, trugen die Richter und die Anwälte Roben mit besonderen Krägen. Ein Hinweis darauf, dass sie hier nicht als Person, sondern als Amtsträger agieren und sprechen.

Der winzige Staat der Vatikanstadt, so die Botschaft der Bilder, ist ein Rechtsstaat. Und das, obwohl er eine Monarchie bleibt und der Papst gleichzeitig Staatsoberhaupt, einziger Gesetzgeber und oberster Richter ist. Zu zeigen, dass es auch unter diesen Bedingungen möglich ist, einen fairen Prozess zu führen, war ein Ziel in diesem Verfahren.

Ordentliche Rechtssprechung im Vatikan

Tatsächlich spricht der Verlauf des zweieinhalb Jahre dauernden Prozesses dafür, dass ordentliche Rechtsprechung auch im Vatikan funktionieren kann. An 86 Verhandlungstagen wurden 69 Zeugen gehört, die Protokolle umfassen mehr als 11.000 Seiten.

Auch die Urteile fallen sehr differenziert und auf den ersten Blick stimmig aus. Ein Angeklagter, der Geistliche Mauro Carlino, wurde vollständig freigesprochen, weil er von den Machenschaften seiner Vorgesetzten nichts mitbekommen hatte. Zwei Angehörige der vatikanischen Finanzaufsicht, darunter der Schweizer Rene Brülhart, kamen mit moderaten Geldstrafen davon, weil sie ihrer Anzeigepflicht nicht nachgekommen waren.

Die einzige Frau unter den Angeklagten, die mit Becciu befreundete "Beraterin" in internationalen Angelegenheiten, Cecilia Marogna, erhielt eine saftige Haftstrafe von drei Jahren und neun Monaten. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass sie gemeinsam mit dem Kardinal einen Betrug organisiert hatte, um 570.000 Euro aus dem Vatikanvermögen auf ihr privates Konto umzuleiten. Angeblich diente das Geld einer Geiselbefreiung im Auftrag des Papstes, tatsächlich, so der Vorwurf der Anklage, kaufte sie sich davon teure Dinge wie Handtaschen und Schmuck.

Dieser gemeinschaftlich organisierte Betrug machte wohl auch den Löwenanteil an der Haftstrafe für Becciu aus. Sie beläuft sich auf fünfeinhalb Jahre. Zusätzlich zu dem Betrug gingen auch noch zwei Unterschlagungen auf seine Kappe. Eine davon, die zum verlustreichen Kauf einer 200 Millionen US-Dollar teuren Immobilie in London führte, war so spektakulär, dass sie oft als der eigentliche Gegenstand des Prozesses genannt wurde.

Tatsächlich erhielten die am Erwerb und verlustreichen Verkauf der Immobilie beteiligten "Vermittler", Finanzberater und Makler mit Gefängnis zwischen fünfeinhalb und siebeneinhalb Jahren die heftigsten Strafen in diesem Verfahren.

Anwälte kündigten Berufung an

Zwar haben die Anwälte der Verurteilten bereits Berufung angekündigt. Und sie haben Chancen, ihren Weg durch die Gerichtsinstanzen so sehr in die Länge zu ziehen, dass die Sache entweder verjährt oder dass hochbetagte Verurteilte wie Becciu (75) am Ende die Haft nicht mehr antreten müssen.

Dennoch scheint es der Vatikan-Justiz gelungen zu sein, ein Exempel zu statuieren. Von einem "Schockzustand" in der römischen Kurie schrieb die römische Vatikan-Korrespondentin Franca Giansoldati am Tag danach. Für alle, die der Papst mit der Verwaltung von Vermögen und Spenden beauftragt hat, ist nun zweifelsfrei geklärt, dass im Vatikan finanzielle Vergehen genauso scharf verfolgt werden wie in Italien. Und dass es selbst für hochrangige Kardinäle keine Ausnahme gibt. Denn Becciu war als "Substitut" immerhin die Nummer zwei im vatikanischen Staatssekretariat.

Zudem hat der Papst aus dem Skandal längst Konsequenzen gezogen: 2020 entzog er dem Staatssekretariat und anderen Unter-Einheiten des Heiligen Stuhls alle Verfügungsgewalt über Vermögenswerte. Seither dürfen nur noch die Güterverwaltung APSA und die Vatikanbank IOR Geld anlegen.

Eine späte Genugtuung ist das Urteil im Prozess für die Anhänger des australischen Kardinals George Pell. Der Anfang dieses Jahres verstorbene konservative Hardliner war von 2014 bis 2019 als Chef des Wirtschaftssekretariats der große Gegenspieler von Becciu und kam ihm frühzeitig auf die Schliche.

kna