Der Druck auf Christen in China wächst
Eine Kirche im Geheimen
Foto: kna/ Gilles Sabrie
Wer in China einen Gottesdienst besucht, kann in große Schwierigkeiten geraten. Denn nicht zuvor genehmigte Messen, Andachten und religiöse Versammlungen sind im ganzen Land verboten. „Es ist nicht so, dass die Teilnehmer sofort von der Polizei abgeholt und eingesperrt werden. Aber die Behörden haben ein Auge auf sie“, sagt Wolfgang Huber. Er ist Vorstandsvorsitzender des China-Zentrums in St. Augustin, das in engem Kontakt mit katholischen Gemeinden, Priestern und Bischöfen in China steht. „Der Besuch eines Gottesdienstes kann weitreichende Konsequenzen für sie haben.“
Die Beziehungen zwischen dem chinesischen Staat und der katholischen Kirche waren schon immer schwierig. Doch seit einigen Monaten wird der Druck auf die christlichen Gemeinden stetig größer. „Der chinesische Staat versucht, das religiöse Leben außerhalb des von ihm regierten und kontrollierten Rahmens auszuschalten“, sagt Huber. Die Behörden kontrollieren die sogenannte Untergrundkirche schärfer als zuvor und gehen rigoroser gegen Gemeindemitglieder, Priester und Bischöfe vor. „Manche Priester und Bischöfe werden verschleppt. Wir haben dann über Wochen keinen Kontakt zu ihnen“, sagt Huber. „Oft werden sie gezwungen, Erklärungen zum Prinzip der Unabhängigkeit zu unterschreiben – also zur offiziellen Kirche zu wechseln.“
Die katholische Kirche in China ist gespalten: Es gibt die Patriotische Vereinigung, den regimenahen und staatlich zugelassenen Teil der katholischen Kirche – und es gibt die Untergrundkirche, in der sich die Katholiken in kleinen Gemeinschaften organisieren und im Geheimen Gottesdienste feiern und Katechesen anbieten. Diese Gruppe ist romtreu und eng mit dem Papst verbunden. „Die Christen in der Untergrundkirche versuchen, sich der staatlichen Kontrolle zu entziehen“, sagt Huber.
Aus staatlicher Sicht ist die Untergrundkirche illegal. Ihre Gottesdienste, Katechesen und ihre Jugendarbeit sind in China nicht erlaubt. „Früher wurde das öfter toleriert. Nach dem Motto: Da machen wir jetzt kein Aufhebens drum“, sagt Huber. „Jetzt hat sich das deutlich verändert.“ Den Anhängern der Untergrundkirche drohen immer öfter Repressalien.
Auch der Chef wird informiert
Gemeindemitglieder, die Räume für Gottesdienste zur Verfügung stellen, werden mit Geldstrafen sanktioniert. Gottesdienstbesucher werden von den Behörden beobachtet und gemeldet. „Es kann durchaus passieren, dass ihr Vorgesetzter sie zum Gespräch lädt und ausfragt, was sie in der Gemeinde machen“, sagt Huber. Auch der Verlust des Arbeitsplatzes sei möglich. Der Druck auf die Untergrundkirche sei so gewachsen, dass heute manch alte Diözese vor der Auflösung stehe, weil die Mehrheit der Priester und Gläubigen sich habe registrieren lassen.
Wie groß die Untergrundkirche tatsächlich noch ist, lässt sich nicht verlässlich sagen. Nach Schätzungen von Experten sind rund zehn Millionen der knapp 1,4 Milliarden Einwohner Chinas Katholiken; die Behörden verzeichnen offiziell lediglich gut sechs Millionen.
„Die Priester und Bischöfe in China werden daran gemessen, dass sie möglichst unpolitisch sind“, sagt Huber. Der Staat wolle Einflüsse von außen strikt beschränken, um Staatspräsident Xi Jinping als obersten, uneingeschränkten Führer zu stärken. Die katholische Kirche stehe schon deshalb unter Generalverdacht, weil sie weltweit und nicht nur national organisiert sei.
Die Gemeinden der Untergrundkirche suchen kreative Wege, um mit der staatlichen Repression zu leben. Sie bilden, ausgehend von den Gemeinden, verschiedene Interessensgruppen – etwa Musikkapellen oder caritative Gruppen, die sich um alleinstehende, ältere Menschen kümmern. „Die Menschen schauen, wo sie gemeinsame Interessen haben. Sie musizieren vielleicht gern – und können sich nebenbei über ihr Leben und ihren Glauben austauschen“, sagt Huber.
Was kann der Vatikan tun, um die chinesischen Katholiken vor dem Staat zu schützen? „Sein Einfluss ist begrenzt“, sagt Huber. Seit 2018 gibt es ein Geheimabkommen zwischen der chinesischen Regierung und dem Vatikan zur Ernennung von Bischöfen. Kritiker wie der ehemalige Hongkonger Kardinal Joseph Zen Ze-kiun werfen dem Vatikan Naivität vor, weil er dem Staat ein Mitspracherecht genehmigt.
Glauben ohne Dauerkonflikt
Huber hingegen sagt: „Der Papst setzt in der Beziehung zu China ganz auf den Dialog.“ Franziskus wolle die Gemeinschaft der chinesischen Bischöfe und der Gläubigen stärken: „Er sagt immer wieder, dass die Gläubigen gleichzeitig katholisch und authentisch chinesisch sein sollen. Sie sollen nicht in einem Dauerkonflikt mit ihrem Staat stehen.“
Der Dialog zwischen dem Vatikan und China könne aber nur erfolgreich sein, wenn er ehrlich geführt werde und wenn auch die Situation der Untergrundkirche immer wieder offen diskutiert würde, sagt Huber: „Diese Gesprächsebene haben wir noch nicht erreicht. Und solange das so ist, können wir in Europa nur immer wieder auf die Situation unserer Glaubensgeschwister aufmerksam machen und für sie beten.“ Dieses Gebet kommt an – das spürt Huber immer wieder im Gespräch mit chinesischen Christen: „Sie nehmen wahr: Wir sind nicht allein, wir sind nicht abgehängt, wir sind Teil dieser Weltkirche.“