Corona hält die Welt in Atem

Erst das Virus, nun der Hunger

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Corona hält die Welt in Atem: Seelsorger, die in unserer Region tätig waren und jetzt im Ausland arbeiten, schildern die Situation, die sie zurzeit in ihrem Alltag erleben. Die Briefe kommen von Pfarrer Brack aus Brasilien, Pater Pflüger aus Uganda und Pfarrer Kudla aus Togo.

Besonders betroffen von der Corona-Pandemie ist Brasilien. Die vielen Toten müssen in Massengräbern beigesetzt werden.    Foto: imago images/Fotoarena
 
Pfarrer Arnold Brack schreibt: Brasilien leidet und trauert! 50 000 Tote und eine Million Infizierte! Mir kommt Brasilien vor wie ein riesengroßes Krankenhaus mit Friedhöfen: überfüllte Krankenhäuser, Patienten in Rollstühlen, für die jede Hilfe zu spät kommt, überarbeitete Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger, Kühlcontainer für die Leichen und Riesenbagger, die die Särge oder Plastehüllen zuschütten. Die meisten auf der Straße, denen ich begegne, haben ihr Gesicht mit einer Maske verhüllt, leider nicht alle.
Die wirtschaftlichen Folgen sind nicht auszudenken. Seit etwa 30 Jahren lebe und wirke ich an den Rändern der Großstädte São Paulo, Rio de Janeiro und Salvador. Seitdem hier die kleinen Geschäfte schließen mussten und die Tagelöhner ihre Waren nicht mehr verkaufen können, überschreiten so manche die Armutsgrenze und fallen ins Elend. Unglücklicherweise gibt es Verbrecher – leider auch Politiker –, die sich an der Krankheit und am Tod weiterhin bereichern!
 
... greife auf meinen Spargroschen und auf Spenden zurück
Ich habe alle Kindergärten schließen müssen. Wöchentlich teilen wir 1200 Mittagessen an fünf Stellen aus. 15 Helfer sind aktiv, besonders Vander, mein Hausmeister, der mir in diesen Wochen der Isolierung zum Freund geworden ist. Noch kann ich 40 Lebensmittelpakete für die Allerärmsten, auch in meiner früheren Pfarrei Sâo Pedro, austeilen. Natürlich brauche ich Geld dafür, jedoch weder die deutsche noch die brasilianische Bankenbürokratie hilft in diesen dringenden Notfällen. So greife ich auf meinen Spargroschen für Notzeiten und auf die Hilfe meiner Gemeinden, Sternsinger und Missionsfreunde zurück.
In den Fürbitten der Gottesdienste beten wir das Gebet gegen das Coronavirus: „Herr Jesus, Arzt der Ärzte, du hast die Kranken mit Liebe geheilt. Sieh unsere Furcht vor Ansteckung, die uns gefangen hält. Befreie uns von dem Übel der Pandemie ...“ Ich bitte Sie, liebe Leser, um Ihr Gebet für die Angesteckten und Toten in der Favela „Morro do Alemão“ in Rio de Janeiro. Seit der Zeit, als ich Pfarrer der deutschen Gemeinde in Rio war, betreue ich einen Kindergarten. Auch die Schwester meiner Kindergärtnerin Viviane, die auf einer Intensivstation gearbeitet hat, ist neulich an dieser Krankheit verstorben. „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen! Wer ist, der uns Hilfe bringt, dass wir Gnad erlangen? Das bist du, Herr, alleine!“
 
Jesuitenpater Frido Pflüger, langjähriger Direktor des Benno-Gymnasiums Dresden, schreibt aus Uganda: Wir haben jetzt fünf Wochen des strengen „Lockdown“ hinter uns, alles ist geschlossen außer den Lebensmittelgeschäften und Pharmazien. Nächtliche Ausgangssperre (was auch die Kriminalität verringert), keine öffentlichen und privaten Verkehrsmittel (jeder ist noch dort, wo er vor fünf Wochen war, Fortbewegung allein zu Fuß). Kirchen, Moscheen und Tempel geschlossen. Fabriken und Baustellen können weiterarbeiten, wenn die Beschäftigten dort schlafen und versorgt werden können.
Die Maßnahmen werden einigermaßen von den Leuten eingehalten, obwohl sie sehr negative Konsequenzen für die Mehrheit der Bevölkerung haben. Denn diese lebt ja von der Hand in den Mund. Nur wenige Menschen haben eine Anstellung (etwa ein Viertel), und der informelle Arbeitsmarkt (Verkauf auf der Straße, Marktstände, kleine Geschäfte, Salons, Nähereien, Autoreparatur usw.) ist jetzt völlig geschlossen. Da die wenigsten also noch etwas verdienen können, beginnen die Menschen zu hungern, ja auch zu verhungern. Die Regierung hat zwar angefangen, in Kampala Lebensmittel zu verteilen, aber sehr unkoordiniert, und am zweiten Tag wurden auch schon drei ranghohe Beamte verhaftet, wegen Korruption.
 
Nur zwölf Intensivbetten für ganz Uganda
In Uganda jetzt lebt die Mehrheit der Bevölkerung vom jeweils täglichen Verdienst, besitzt also kein regelmäßiges Einkommen, hat keinen Besitz oder Ersparnisse, es gibt keine Arbeitslosenunterstützung, nur wenige haben eine Krankenversicherung, und es gibt ja auch nur zwölf Intensivversorgungsbetten im Land. Die Hälfte der Bevölkerung sind Kinder, also unter 18 Jahre alt. In den Slumgebieten und teilweise auch in den Flüchtlingssettlements wohnen die Menschen dicht gedrängt zusammen, und social distancing ist kaum möglich.
 
Pfarrer Ronald Kudla schreibt aus Solla in Togo: Zwei Phänome halten zur Zeit die Menschheit in Atem: das Coronavirus und der Rassismus. Beide ähneln sich ein wenig in ihrer Ansteckungsgefahr und in ihrer Herausforderung an die menschliche Intelligenz.
Man sollte Corona nicht auf die leichte Schulter nehmen. Die Krankheit tötet und die Zahlen der Toten sind unvorstellbar. Welches Leid, welche Erschütterung menschlicher Sicherheiten, welche Angst muss das hervorrufen!
Auch in Afrika gibt es viel Angst, zum Beispiel Angst vor Hunger, Malaria oder menschlicher Bosheit, der Magie des Bösen, die man hier nicht unterschätzt. Auch das Coronavirus machte zunächst viel Angst, diese ist aber in den tropischen Ländern angesichts der wenig alarmierenden Zahlen mittlerweile einer routinierten Nüchternheit gewichen. In Togo gelten zwar noch viele der strengen Bestimmungen, aber die Leute geben sich gelassen.
Als einer, der die Statistiken der Krankheit aufmerksam verfolgt, muss ich zunächst feststellen, dass keiner der ursprünglichen Unglückspropheten bisher Recht behalten hat. Weder jene Experten der mächtigen Afrika-Kommission bei der UNO, die Ende März bis zu zwei Millionen Tote voraussagten, noch jene, welche im französischen Radio RFI Ende Mai angesichts schnell steigender Tageswerte im Senegal und an der Elfenbeinküste noch einmal dramatisieren wollten.
Nun zum Rassismus: Ich muss sagen, dass ich das Wort nicht sehr glücklich finde. Polizeiwillkür gibt es auch bei uns. In Togo wurde zum Beispiel bei der Durchsetzung der Ausgangssperre wegen Corona jemand zu Tode geprügelt. Hier in Afrika kann man das nicht auf Rassismus schieben.
Ich hatte den Eindruck, dass bei der Behandlung Afrikas angesichts von Corona wenig Einfühlungsvermögen in unsere Situation zu spüren war, und ich wurde das ungute Gefühl nicht los, dass da das im Spiel war, was schlechthin als Rassismus bezeichnet wird. Schon die Prognosen von den Millionen Toten auf Grund der sanitären Lage des Kontinentes, produzierten in mir Widerwillen. Das klang wie die einfache Formel: Schreckliches Coronavirus, erbärmliches Afrika gleich Fiasko. Die real existierenden Afrikaner mit ihrer Kultur, ihren Vitalkräften, ihrer Lebensfreude, ihrem Heilwissen und ihrem Glauben kamen da gar nicht vor, nur die Idee: Ihr seid nicht wie wir, also muss es bei euch ganz schlimm werden.
 
Wir in Afrika leben in Staub und Schlamm, aber wir leben!
Manchmal ist Rassismus nicht  beabsichtigt. Er spielt sich einfach so ab. Oder er rutscht rein, wenn  zwei Welten aufeinander prallen: Die eine, in der alles perfekt,  alles lupenrein sein muss, wo auf Gesetz, Abschottung und Isolierung gesetzt wird – und die andere, wo Fehler gemacht werden dürfen aber auch viel gelingt, wo Mittel angewendet werden, die auch nicht unfehlbar sind, aber helfen, vor allem den Mut nicht sinken zu lassen. Wir hier in Afrika, wir leben mit Staub, Schlamm und mit allen möglichen Krankheiten. Aber wir leben!
Vielleicht hat gerade das uns geholfen, wirksam gegen die Seuche anzukämpfen, dass wir nicht in Panik geraten, wenn mal was nicht nach unserem Plan verläuft, weil wir unsere Kraft kennen. Vereinfacht gesagt, die einen bauen auf Schutzwall, die andern auf innere Kraft.
Ich fand jedenfalls viele Diskussionen über Afrika in der Corona-Krise herablassend. Rassismus ist nicht nur, wenn irgendwo in den USA ein Schwarzer erschossen wird. Das ist auch, wenn ein ganzer Kontinent nicht ernst genommen wird. Eigentlich müssten jene alles wissenden europäischen Experten nach Afrika reisen und fragen, wie wir das hier machen. Denn die Fakten sind deutlich und sprechen für uns. Der Kontinent mit 17 Prozent der Welt-Bevölkerung hat nur etwas mehr als ein Prozent der Corona-Toten.
Es gibt vielleicht eine andere Klugheit, eine Klugheit die in unserem Leben liegt, in unserer Einfachheit, unserer Vertrautheit mit schlimmsten Bedingungen und in der Fähigkeit zu Glauben, im Wissen, dass Gott uns nicht verlässt. Das ist unser Immunsystem. Ich bin überzeugt: Von Afrika kann man lernen – auch in Zeiten der COVID19. Aber nur, wenn man etwas Hochmut ablegt und nicht in die Rassismus-Falle tappt, die überall lauert.