Interview mit Konstanze Beckedorf
„Es braucht einen deutlichen ökumenischen Schulterschluss“
Welche Rolle spielt die Kirche in der Großstadtstadtgesellschaft? Trotz hoher Austrittszahlen immer noch eine Bedeutende, meint die Kulturdezernentin der Stadt Hannover, Konstanze Beckedorf.
Auf einem Symposium der Volkswagenstiftung wurde Anfang dieses Jahres die These aufgestellt, dass Kirchen wichtige, öffentliche Orte in den Städten sind. Wie sehen Sie das?
Es ist wenige Wochen her, da wurde über die Kirchenaustritte in den christlichen Kirchen berichtet. Ich nehme für die Landeshauptstadt das Patronat in der evangelisch-lutherischen Marktkirche wahr. Insofern sind diese Zahlen für mich ein wichtiges, ein hautnahes Thema. Angesichts dieser Zahlen muss man sich tatsächlich die Frage stellen, ob Kirche wirklich noch Bedeutung hat.
Und? Hat sie?
Aus meiner Sicht hat sie das – und zwar in besonderem Maße, nicht nur für eine Stadt wie Hannover, sondern für die ganze Gesellschaft. Kirchen sind auch im 21. Jahrhundert Orte des Zusammenhalts, verbunden mit einem hohen sozialen Anspruch. Religion kann Menschen auch und gerade in Krisensituationen Halt geben. Das haben wir trotz aller Schwierigkeiten in der Corona-Pandemie gesehen. Religion und Kirche haben immer noch starke Wurzeln in der Gesellschaft.
Woran machen Sie das fest?
Kirchen sind im Bild einer Stadt stets sehr präsent. Das gilt auch für Hannover. Sie sind deshalb aus meiner Sicht wichtige Orte für gesellschaftspolitische Diskussionen. Menschen kommen zusammen, gehen ihrer Religion nach, tauschen sich aus zu den Fragen, die eine Stadt oder ihren Stadtteil bewegen. Das macht Kirche allein als Ort wichtig. Wir merken das manchmal erst, wenn eine Kirche nicht mehr da ist, weil sie entwidmet oder sogar abgerissen wurde. Und mit dem fehlenden Ort geht auch das Gespräch über die Stadtgesellschaft verloren. Deshalb halte ich Kirchen nach wie vor für unverzichtbar.
Städte entwickeln sich. Stadtteile verändern ihr Gesicht, neue Stadtteile werden geplant und gebaut. Sind Kirchen da so etwas wie Ankerpunkte?
Sie haben eine besondere Funktion – für die Religion, aber natürlich auch für das Leben im Stadtteil. Es sind Orte der Besinnung, der Ruhe, der Kontemplation, der Auseinandersetzung mit dem Glauben, die aber nie auf die Konfession allein beschränkt ist. Denn Kirchen sind auch Orte für Kunst und Kultur, für soziale und politische Fragen. Das war mir persönlich nicht immer so klar. Als junge Kirchgängerin habe ich mir bei Predigten, die sehr politisch wurden, gesagt: Das ist doch nicht der Auftrag von Kirche. Bis mir dann irgendwann mal klar wurde: Gerade in der Religion steckt ganz viel Politisches und es ist sehr wohl der Auftrag von Kirche Position zu beziehen zu politischen Themen.
Sie haben gesagt, dass Sie für die Stadt Hannover das Patronat in der Marktkirche wahrnehmen. Das zeigt die enge Verbundenheit zwischen der Stadt und der evangelischen Kirche. Ist Hannover eine zutiefst evangelische Stadt? Oder nehmen Sie auch katholische Duftmarken wahr?
Ganz ehrlich: In Hannover gibt es nicht nur evangelische, nicht nur katholische, sondern multireligiöse Duftmarken. Hier leben Menschen aus 180 Nationen mit an die 100 unterschiedlichen Sprachen zusammen. Als ich noch Sozialdezernentin war, haben wir das mal ermittelt. Diese unterschiedlichen Nationen werden auch durch so vielfältige Religionen und Religionsgemeinschaften dokumentiert, dass ich mich nicht mehr darauf beschränken möchte, hier in den Kategorien evangelisch und katholisch zu denken.
Das heißt, eine internationale Stadt braucht einen interreligiösen Dialog?
Ja – und dafür steht Hannover, nicht zuletzt dokumentiert durch das Haus der Religionen: Eine bundesweit immer noch einmalige Einrichtung, die als Ort des Zusammenkommens für alle Religionsgemeinschaften steht und bewusst als Bildungseinrichtung konzipiert ist. Oder ich denke an die Marktkirche, in der immer wieder die führenden Köpfe der jüdischen, der muslimischen Gemeinden und aller religiösen Gemeinschaften das Gespräch und das Gebet suchen. Ein weiteres Beispiel ist das interreligiöse Weihnachtsfest. Aber all das zeigt auch: Evangelische und Katholische Kirche werden als Christenheit wahrgenommen. Es braucht diesen deutlichen ökumenischen Schulterschluss.
Sie haben vor kurzem an einem digitalen Kamingespräch mit Bischof Heiner Wilmer teilgenommen. Im Rahmen seines Pastoralbesuches in Hannover hat er mit Kulturschaffenden zwei Fragestellungen diskutiert. Die eine: die Situation von Künstlern in der Pandemie. Wie haben Sie die Situation wahrgenommen?
Zum einen: Die Kulturschaffenden hat die Pandemie besonders hart getroffen. Natürlich haben auch andere gesellschaftliche und wirtschaftliche Bereiche gelitten. Aber schaut man genau hin, war der Kulturbereich der letzte, der aus dem Lockdown entlassen wurde und er könnte der erste sein, der bei steigender Inzidenz wieder Restriktionen unterliegt. Hier weiter Kulturschaffende zu unterstützen, ist eine wichtige Aufgabe von uns allen, die wir Verantwortung für den gesamten Kunst- und Kulturbetrieb tragen. Nicht zuletzt, weil es noch eine ganze Weile dauern wird, bis wir im Kulturbetrieb wieder von „Normalität“ sprechen können und wir ohne Einschränkungen beispielsweise Konzerte besuchen können. Zum anderen: Die Pandemie hat auch Kreatives ausgelöst, digitale Formate beispielsweise, die ich mir so nicht hätte vorstellen können. Aber diese Formate haben ihre Grenzen.
Der andere Aspekt im Kamingespräch war die Frage der Bedeutung von Kultur über den reinen Unterhaltungswert hinaus …
Genau das war wirklich wichtig: Über Kunst können wir gesellschaftliche Themen diskutieren. Kultur macht solche Auseinandersetzungen über Fragen, die über den Alltag hinausgehen, so bemerkenswert anschaulich. Da werden auch Aspekte thematisiert, die mit der Pandemie schärfer sichtbarer geworden sind: Wie wollen wir zukünftig in dieser Stadt zusammenleben? Wie steht es um den gesellschaftlichen Zusammenhalt?
Und wie steht es aus Ihrer Sicht darum? Tun die Kirchen genug dafür – auch und gerade in der Pandemie?
Zu Ihrer letzten Frage: Ich sage das natürlich mit meiner Brille und mit dem Blick auf meine Kirche, auf die evangelische Kirche. Es hätte sicher mehr sein können. Zeitweise hatte ich den Eindruck, dass man sich nicht auf die Pandemie eingestellt hat. Erst mit der Zeit gab es aktive, kreative Ideen, wie der Kontakt zu den Mitgliedern gehalten werden kann – und darüber hinaus. Deshalb ist die Diskussion, ob und wie die Kirchen ihre Rolle in so einer Krisensituation ausfüllen so wichtig. Schließlich geht es dabei um Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Interview: Rüdiger Wala
Bei dem Abdruck handelt es sich um die gekürzte Fassung eines Interviews, das in kompletter Länge auf der Homepage der Katholischen Kirche der Region Hannover nachzulesen ist:
www.kath-kirche-hannover.de