Was tun, wenn etwas nicht mehr stimmt im Leben?
Flügel hilft bei neuem Anfang
Pfarrer Peter Paul Gregor aus Hoyerswerda spielt an seinem Bechstein-Flügel, der für ihn zum Therapie-Instrument wurde. Foto: Raphael Schmidt |
„Im Sommer passierte etwas Kurioses. Meine Mutter war zu Besuch. Sie sitzt hier und ich fange mal wieder an, Klavier zu spielen. Da rennt sie raus, setzt sich in die Küche. Ich ging ihr hinterher. Sie sagte: Wie kannst du, Sohn eines Kapellmeisters, nur auf solch einem ,Schinken‘ spielen? Das Dumme: Sie hat recht. Ich hatte den ,Schinken‘ nicht mehr wahrgenommen“, sagt Peter Paul Gregor, Pfarrer der Pfarrei Heilige Familie in Hoyerswerda und fragt: „Musste mir eine 90-Jährige das sagen, was ich geahnt habe: Irgendetwas stimmt nicht. Die Harmonie, nicht nur die des Klaviers, ist gestört. So geht es nicht weiter!“, sagt er.
Etwas musste sich ändern in meinem Leben
Die Erkenntnis, dass sich etwas ändern muss im Leben des 64-Jährigen „kam nicht von heute auf morgen. Es war ein Prozess, in dem mir auch klar wurde: Ich habe noch einige Arbeitsjahre vor mir“. Und dies nicht nur als Seelsorger in seiner Pfarrei. Daneben ist er Polizei-Dekan in Sachsen und Dozent an der Polizei-Schule. „Von Zeit zu Zeit sollte man ohnehin in sich gehen und fragen: Ist das, was ich tue, was ich denke, wie ich mich verhalte, wie ich meine Berufung verstehe, noch so in Ordnung? Oder müsste das alles mal auf den Prüfstand? Das ist zunächst etwas völlig Normales. Es ist besser, man geht aus freien Stücken in ein solches Thema als unter Druck, beispielsweise dem von Krankheiten“, sagt er. Der Blick zu seinen Namenspatronen Petrus und Paulus hat es Pfarrer Gregor erleichtert. „In den Paulusbriefen merkt man Zäsuren, kann lesen, wie Paulus sein Leben neu gestaltet hat.“
Pfarrer Gregor merkte sein Unwohlsein erst mit den Worten seiner Mutter am verstimmten Klavier. In den 198er Jahren hatte er es sich besorgt. „Es hat mich seitdem begleitet. Doch ich bin in letzter Zeit um dieses Gerät immer wieder rumgelaufen, aber habe kaum noch gespielt. Selbsttrügerisch hatte ich immer keine Zeit, keine Lust. Erklären konnte ich es mir nicht, weil Klavierspielen immer zu mir gehört hat. Ich dachte, dass es mit meine schweren Virus-Erkrankung im Jahr 1989 zu tun haben könnte, als mich die Ärzte bereits aufgegeben hatten. Damals habe ich die Töne nur noch so wahrnehmen können, wie die Geräusche auf einem Bahnsteig“ resümiert er.
Einen Tag nach dem Besuch der Mutter besuchte er einen Patienten in Dresden. Danach schaute Pfarrer Gregor in seinem Handy nach Klaviergeschäften und fand nicht nur die Eintragung eines Piano-Salons, dank Navigationsgerät stand er kurz danach in dem Geschäft, inmitten von Klavieren und Flügeln. Etwa eineinhalb Stunden spielte er die Instrumente, pendelte zwischen den neuen, optisch wunderschönen im hinteren Bereich des Geschäftes zu einem schwarzen, älteren Modell mit einigen Gebrauchsspuren. „Doch dieser – und nur dieser – sprach beim Spielen meine Seele an. Die schönen Instrumente mit frischem Holz klangen noch zu jung, nicht so voluminös, die Resonanzböden waren noch nicht so ausgeprägt. Sie klangen unreif, nur der ältere nicht“. Mit dem Gedanken, ein solches Instrument zu kaufen, war er nicht hingefahren, sondern wollte, nach den Äußerungen seiner Mutter „mal wieder Klang wahrnehmen von Musikinstumenten, die nicht kaputt waren, wie mein Klavier zuhause“.
Kür geht nur mit Pflicht! | ||
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„Manchmal brauchst du einen Engel, der dich schützt und dich führt. Gott schickt manchmal einen Engel, wenn er deine Sorgen spürt...“, diese Liedzeile kam mir in den Sinn, als ich die Geschichte von Pfarrer Peter Paul Gregor hörte. Nicht jeder geht so offen und ehrlich wie er mit Lebens-Krisen, Tiefpunkten, Ausgebranntsein... um. Maximal hätten sich Besucher über sein neues „Möbelstück“ wundern können. Erklären könnte er es
jederzeit, ohne einen solch tiefen, substanziellen Einblick in sein Inneres zuzulassen. Doch das hat er – um andern beim Leben zu helfen. Ab 2020 wollte er die berufliche Doppelbelastung nicht mehr, doch bei der Polizei ist ein Nachfolger nicht in Sicht. Und so sieht es der Musiker sportlich, wenn er sagt: „Ich vergleiche es mit dem Eiskunstlaufen: Es gibt Pflicht und Kür. Eine Pflicht ohne Kür ist eine Katastrophe. Eine Kür kann nur stattfinden mit Pflicht“. |
Die neuen Instrumente waren allesamt finanziell nicht erschwinglich. Und sein Favorit? „Das ist ein Bechstein aus dem Jahr 1906, er kostet 8000 Euro“, sagte der Verkäufer und erklärte: Wie Sie sehen, er ist nicht mehr neu und außen etwas beschädigt. Außerdem war der Gußrahmen gebrochen, musste erneuert werden und wurde falsch angestrichen. Das ist nur für Fachleute sichtbar, wenn überhaupt“, so der Verkäufer. Pfarrer Gregor ging plötzlich durch den Kopf: „Wenn du etwas ändern willst, dann brauchst du einen Schnitt, eine Zäsur. Und wenn du die damit begründest, dass der ,Schinken‘ weg kommt und dafür der Flügel in die Wohnung, dann ist das ein sichtbarer Schritt, ein Neubeginn“. Nun spielt er mindestens eine halbe Stunde täglich an seinem Flügel und sagt: „Ich muss das etwas begründen. Wir sind kognitive Menschen und wollen alles erkennen, alles begründen. Wir brauchen für alles eine Causa, einen Grund. Das ist aber nicht das Leben, denn dieser Bereich macht nur etwa zehn Prozent des Lebens aus. Die anderen 90 Prozent, das eigentliche Leben, kann ich nicht erklären. Ich lebe vor allem mit dem Unfassbaren, mit dem nicht Aussprechbaren – und mit dem dennoch Vorhandenen. Das, was ich nicht aussprechen kann, kann ich jetzt wieder ausdrücken über die Musik“, sagt Pfarrer Gregor.
Gott und ich, wir spielen beide das Leben.
Pfarrer Gregor ist bewusst geworden, „dass ich durch diese Ereignisse vor einer großen Krise bewahrt wurde. Heute weiß ich, dass ich beinahe trocken gelaufen wäre. Die Meister der Mystik sagen, du musst in der Transzendenz deine eigene Sprache zum Schwingen bringen, damit – wie wir es teilweise in Psalmen hören, der Schöpfer, Gott, mitspielen kann. Wir spielen beide das Leben, das, was wir das Unscheinbare, das Verborgene und dennoch das Vorhandene nennen. Was hilft es, eine tolle Orgel zu haben, wenn du keinen passenden Raum dazu hast, oder eine teure Violine und du kannst sie nicht spielen. Der Wert des Menschen kommt erst zum Tragen in der Korrespondenz von Instrument und meiner Idee und meinem Spielen – wenn das ineinander überfließt, wenn es eine Einheit ergibt.“
Als Wegweiser nennt Pfarrer Gregor: „Den Tagen neue Wertigkeiten geben, Prioritäten anders setzen; Geistliche, transzendente, Mehrwerte suchen. Vom Bild ,Tankstelle‘ habe ich mich verabschiedet, denn Jesus sagt: Wir selber können zur Quelle werden.“ Durch den Flügel – oder etwas anderes – „können die Sinne, die Phantasie – und damit der ganze Mensch wieder leben. Er ist Hilfsinstrument, um wieder Quelle sein zu können“. Eingestehen, dass sich etwas ändern muss, „geht nur, wenn du ohne Wenn und Aber sagen kannst, Jesus, Gott, ist Freund für dich. Dann ist es wie bei der Börse: nur, dass du vorher weißt, wie der Kurs morgen aussieht. Zwar nicht geradlinig und harmonisch, aber ich vertraue darauf, es passt jemand auf meine Kursentwicklung auf. Ich kann mich voll und ganz darauf verlassen.“ So wie ihn seine Mutter aufmerksam gemacht hat, dass etwas „an der Kursentwicklung nicht mehr stimmt, so bekommt jeder Mensch solche Signale. Doch ich muss dafür empfänglich sein und nicht Angst davor haben, etwas im Leben zu ändern.“ Menschen müssen „aufeinander aufpassen, allein schafft man es nicht“, sagt Peter Paul Gregor. Für ihn ist das Wichtigste, dass „ein freundschaftliches Verhältnis meinem Schöpfer gegenüber bestehen bleibt, in der Person Jesu, durch das Evangelium. Wenn ich nur meinen kirchlichen oder klerikalen Illusionen hinterher renne, kann ich tausendmal aus Ägypten ausziehen, dann komme ich nie im gelobten Land an.“ Er möchte den Menschen „Mut machen: Nehmt die Zeichen wahr! Zieht Schlussfolgerungen daraus. Tut etwas Gutes für euch. Der Spruch: Gott denkt immer höher von mir, als ich es vermag, gilt nach wie vor, darauf verlasse ich mich“, sagt er zuversichtlich.
Von Raphael Schmidt