Taub-blind den Glauben leben

Freudig das Leben ertasten

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Von Geburt an kann Andy Pour (57) nichts hören. Als junger Mann verlor er sein Augenlicht. In der Zwickauer Samstags-Pilgergruppe fällt der katholische Christ besonders wegen seiner fröhlichen Ausstrahlung auf.

Andy Pour freut sich über den Besuch von Reinhard Heisig und streckt ihm die Handfläche entgegen für einige Begrüßungsworte in der Lormen-Sprache. | Fotos: Dorothee Wanzek

 

Das Lorm-Alphabet wurde im 19. Jahrhundert entwickelt. Die Punkte stehen für einfache Berührungen, die Striche für streichende Bewegungen. Quelle: Wikipedia

„Wenn Andy mit uns pilgert, ist das jedesmal für alle eine große Bereicherung“, sagt Reinhard Heisig, der das monatliche Zwickauer Samstagspilgern ins Leben gerufen hat und es bis heute leitet. „Sein Lebensmut und seine Freude machen nachdenklich“, schildert der Ruheständler, „in seiner Gegenwart wird uns bewusst, wie sehr wir uns oft von eigentlich unbedeutenden Hindernissen herunterziehen lassen.“ Damit Andy Pour mit ganzem Herzen an den Pilgertouren teilnehmen kann, erstellt Reinhard Heisig seine Faltblätter mit wegweisenden Impulsen, Gebeten und Liedern für die Mitpilger bereits einige Zeit im voraus. Der taubblinde Pilgerfreund schickt einen Handzettel nach Dresden und erhält ihn zwei bis drei Wochen später in Braille-Blindenschrift übersetzt wieder zurück. Bevor er sich auf den Weg macht, hat er sich bereits auf das Thema des Pilgertages eingestimmt.

 
Dankbar für Hilfen durch Menschen und Technik
Wenn er gemeinsam mit einer Begleiterin am Pilgertreffpunkt  eintrifft, streckt er Reinhard Heisig seine Handfläche entgegen. Mit Hilfe des Spickzettels, den er dafür parat hat, buchstabiert der Leiter der Pilgergruppe ihm einige Begrüßungsworte in der eigens für Taubblinde entwickelten Lormen-Sprache in die Hand. Selbst äußert sich Andy Pour in Lautsprache, die umso besser verständlich wird je vertrauter die Gesprächspartner mit ihm sind. Oft untermalt er seine Worte mit Gebärden. Wenn andere Gruppenmitglieder unterwegs mit ihm Kontakt aufnehmen wollen, übersetzt seine Begleiterin ihm das Gesagte in Lormen. Orientierung gibt ihm ein langer Blindenstock und die Begleiterin, deren Schulter er während des Laufens berührt. Diesen begleitenden Dienst übernimmt eine Mitarbeiterin der Behinderten-Wohnstätte, in der Andy Pour seit sieben Jahren lebt, oder eine Studentin des Studiengangs Gebärdensprach-Dolmetschen von der Westsächsischen Hochschule Zwickau. Wenn keine der drei Frauen aus seinem Begleiterteam Zeit hat, kann er nicht am Samstagspilgern teilnehmen. Wie sicher er sich an der Seite der Begleiterinnen fühlt, merken die Mitpilger an dem sportlichen Tempo, das er vorlegt.
Der Dresdner Übersetzungsdienst und viele andere Hilfen, die ihm die Teilnahme am kirchlichen Leben ermöglichen, werden durch das Katholische Blindenwerk finanziert. Schon jetzt freut er sich auf eine Begegnung katholischer Taubblinder, die nächstes Jahr im Juli zum 50-jährigen Bestehen des Blindenwerks in Bonn stattfindet. Im vergangenen Sommer hat er an einer internationalen Freizeit deutschsprachiger Taubblinder in Brixen teilgenommen.  Im Bistum Dresden-Meißen kennt er keinen weiteren katholischen Taubblinden. 
Gerne nimmt er hier aber an den Gehörlosen-Gottesdiensten teil, die regelmäßig gefeiert werden. Schon als Kind fühlte sich der gebürtige Leipziger in der damals von Pfarrer Alfred Bock geleiteten Gehörlosengemeinde zu Hause, übernahm dort auch Ministrantendienste.
Die angehende Gebärdensprach-Dolmetscherin Hanna Hölscher begleitet Andy Pour zum Einkaufen. Über das aktuelle Angebot informiert sie ihn in der Lormen-Sprache.

Nach einem Unfall Anfang der 90er Jahre ließ seine Sehfähigkeit allmählich nach, bis er schließlich komplett erblindet. Manchmal hat er mit Gott gehadert, als ihm zusätzlich zum Hören auch noch das Sehen versagt blieb, räumt Andy Pour ein. Lange aufgehalten hat er sich mit negativen Gedanken allerdings nicht. Lieber konzentriert er seine Kräfte darauf, das Beste aus den Möglichkeiten zu machen, die ihm zur Verfügung stehen. Bereits als er noch sehen konnte, hat er Braille und Lormen erlernt. Seit er seinen Beruf als Wirtschaftskaufmann nicht mehr ausüben kann, nutzt er vielfältige technische Möglichkeiten, um so selbstständig wie möglich am öffentlichen Leben teilzuhaben. Sein Computer hat eine Braille-Zeile, auf der er eingehende E-Mails und Nachrichten aus dem Internet lesen kann, auch diverse digitale Zeitungen und die aktuellen Fußballergebnisse. Mit einer Braille-Tastatur verfasst er selbst Texte. Ein vibrierendes Gerät in seiner Tasche macht ihn darauf aufmerksam, dass es gerade an seiner Wohnungstür geläutet hat.
Nachdem sein Sehsinn ausfiel, ist der Tastsinn schärfer geworden. Besonders schön ist es für ihn beispielsweise, wenn er im Gottesdienst die Schuhe ausziehen und die Orgel anfassen darf. Die Musik kann er dann mit dem ganzen Körper fühlen.

 
Von Dorothee Wanzek