Ferienaktion für Senioren

Fünf Tage Grenzerfahrungen

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Die Aktion „Urlaub ohne Koffer“ der Caritas Südniedersachsen lässt Senioren eine Woche lang Ferienstimmung schnuppern ohne auf’s eigene Bett verzichten zu müssen. Thematisch drehte sich in diesem Jahr alles um Grenzen.

Donnerstagmorgen, niedersächsisch-thüringische Landesgrenze, gut drei Kilometer Luftlinie von der Duderstädter Basilika St. Cyriakus entfernt. Auf der riesigen Asphaltfläche treffen nach und nach sechs Kleinbusse ein mit Urlaubsgästen der Caritas: 32 Senioren zwischen 63 und 90 Jahren und ehrenamtliche Begleitungen.

ä „Bitte den Pass“, tönt es aus einem Lautsprecher: die DDR-Passkontrolle steht im Grenzlandmuseum noch am Originalplatz. | Foto: Broermann
„Bitte den Pass“, tönt es aus einem Lautsprecher: die DDR-Passkontrolle steht im Grenzlandmuseum noch am Originalplatz.

Bei „Urlaub ohne Koffer“ geht es für Lydia Ballhausen von der Caritas vor allem um „Achtsamkeit und Wertschätzung“. Die Leiterin des Duderstädter Lorenz-Werthmann-Hauses bietet so eine Woche mit fünf Urlaubstagen schon zum fünften Mal an. Morgens werden die Teilnehmenden durch ehrenamtliche Fahrer, „Kutscher mit Zylinder auf dem Kopf“, wie Ballhausen betont, zu Hause abgeholt. Die Gruppe frühstückt zusammen in einem Pfarrheim und wird dabei von Überraschungsgästen besucht, etwa vom Bürgermeister, vom Propst oder einer Kindergartengruppe. Dann folgen Ausflugsziele in der Umgebung, Mittagessen gibt es in einer Gaststätte, zum Abschluss am Nachmittag werden Kaffee und Kuchen gereicht.

Mauerbau und spektakuläre Fluchtversuche

Der asphaltierte Platz an der heutigen Landesgrenze diente zwischen 1973 und 1989 dem „kleinen Grenzverkehr“ an der innerdeutschen Grenze. Die DDR hatte sich im Zuge der Ostpolitik der Bundesregierung unter Willy Brandt dazu verpflichtet, Bewohner grenznaher Gebiete gegenseitige Besuche zu erlauben. Heute sind zwar alle Pkw-Abfertigungsbaracken entfernt, aber das Grenzlandmuseum nutzt teilweise Originalbauten. Auch die Betonstele, die ursprünglich das Hoheitszeichen der DDR trug, ist noch vorhanden. Ohne Hammer und Sichel, dafür mit einem großen Loch oben.

Auf dem Programm steht ein Rundgang durchs Museum. Für manchen Urlaubsgast emotional ein eher schwieriger Vormittag, kommen doch alte Erinnerungen hoch: an die Grenze, an die Schikane, die an diesem Ort selbst oder von Familienangehörigen ertragen werden musste.

Auf einen großen Tisch mit Deutschlandrelief projiziert Renate Apel vom Grenzlandmuseum mit Lichtern sich wandelnde Grenzen. Vier Besatzungszonen, dann zwei Staaten, Lichtpfeile huschen für Flüchtlinge aus den ehemals deutschen Ostgebieten. Nach dem Mauerbau zeigen sie spektakuläre Fluchtversuche, rote Punkte stellen die Toten an der Grenze dar.

500 Kilometer in einer Woche zurückgelegt

Gerade im Eichsfeld wurden durch die innerdeutsche Grenze Familien zerrissen. Rentner durften zwar schon bevor der Grenzübergang eingerichtet wurde, in den Westen reisen. „Aber die sind von hier 170 Kilometer Interzonenzug gefahren, über Eisenach und Bebra Richtung Duderstadt“, erzählt Apel. Da sei die Freude 1973 groß gewesen, als der örtliche Grenzübergang eingerichtet wurde. Bis zum Mauerfall 1989 reisten rund 6 Millionen Menschen hier über die Grenze.

Caritas-Mitarbeiterin Lydia Ballhausen (l.) freut sich mit den Urlaubsgästen über die gelungene Ferienzeit.
Caritas-Mitarbeiterin Lydia Ballhausen (l.) freut sich mit den Urlaubsgästen über die gelungene Ferienzeit.

Die seitdem bestehende Reisefreiheit nutzen auch die Urlaubsgäste der Caritas. Der Tag im thüringischen Obereichsfeld hat Hilde Rohr besonders gut gefallen. An den Dieteröder Klippen war die 82-Jährige zum ersten Mal gewesen. Ein anderer Tag führte die Gruppe zu allen Wallfahrtsorten des Untereichsfelds. Interessant aber auch anstrengend, wie Helga Schröer feststellt: „Rein in den Bus, raus aus dem Bus.“ Die 80-Jährige ist gemeinsam mit ihrem Mann dabei und hat unter den anderen Gästen eine Schulfreundin aus der Volksschule wiedergetroffen. Beide lebten Jahrzehnte in Nachbarorten ohne voneinander zu wissen. Bei allem Programm bleibt durch die gemeinsamen Mahlzeiten und das gemeinsame Reisen genügend Zeit für gegenseitiges Kennenlernen. Rund 500 Kilometer war die Gruppe dieses Jahr unterwegs und alle Urlauber konnten trotzdem jeden Tag im eigenen Bett nächtigen.

Gerührt berichtet eine Frau, wie aufgenommen und wohl sie sich in der Gruppe gefühlt habe. Das habe sie gar nicht erwartet, zumal die Caritas ja katholisch und sie selbst evangelisch sei – passend zum Wochenthema erfahre sie, dass auch Konfessionsgrenzen weniger stark trennen, wie vielleicht früher noch.

Von Johannes Broermann

 

 

Viele Angebote für Senioren

Das Duderstädter Lorenz-Werth­mann-Haus der Caritas Südniedersachsen entstand 2008/2009 zentral in der Innenstadt. Es bietet neben einem Begegnungszentrum für Senioren auch zwei ambulant betreute Wohngemeinschaften an. In der Begegnungsstätte treffen sich einige Gruppen regelmäßig, etwa zum gemeinsamen Handarbeiten oder Kartenspiel. Auch ein Computerclub und eine Schreibwerkstatt laden zum Mitmachen ein. Dienstags und freitags wird zudem ein Mittagessen angeboten. Am Samstag, 24. August, soll das zehnjährige Bestehen gefeiert werden.
Zu den Angeboten des Hauses gehört auch: „Urlaub ohne Koffer“. Vorbilder dafür gibt es in Süddeutschland. 2015 wurde die Aktion erstmals in Duderstadt angeboten und erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Von Jahr zu Jahr wurde die Reisegruppe größer und die Warteliste länger. So gilt die Regel, dass alle Gäste höchstens zwei Mal teilnehmen dürfen. Wer mitfährt, muss sich mit 145 Euro an den Kosten der fünf Tage beteiligen. Die Kleinbusse werden von Einrichtungen der Region gestellt, wie DLRG, Lebenshilfe oder Dekanatsjugendzentrum. Unterstützt wird die Aktion auch durch Rotarier, Sparkasse, Volksbank sowie Privatspenden.