Der Dreißigjährige Krieg – Die Vorgeschichte des blutigen Konflikts rund um Hildesheim
Geistvoll und grausam

Zwischen Luthers Thesenanschlag und dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges liegen gut 100 Jahre. Aus der geistvollen Auseinandersetzung von Theologen wird ein brutaler Kampf von Politik und Wirtschaft. Die Vorgeschichte des blutigen Konflikts rund um Hildesheim.

Hildesheimer Magdalenenklosters schildert den Druck,
dem die Nonnen im Jahr 1543 ausgesetzt sind. Sie
sollen ihren Glauben aufgeben und das Kloster
verlassen. | Foto: Edmund Deppe
Fast 500 Jahre alte Briefe sind in der Hildesheimer Dombibliothek zu sehen. Es sind Briefe aus einer Zeit des religiösen Umbruchs. Elisabeth von Erksleben, die Domina (Priorin) des Hildesheimer Magdalenenklosters schildert den Druck, dem die Nonnen im Jahr 1543 ausgesetzt sind. Sie sollen ihren Glauben aufgeben und das Kloster verlassen. In einem Mischmasch aus Deutsch und Latein schreibt Elisabeth über den Ansturm Hildesheimer Bürger und Ratsmitglieder am Sonntag nach Michaelis auf ihr Kloster. Dort werden von ihnen alle Gegenstände erfasst, geöffnet und versiegelt. „Endlich“, so schreibt von Erksleben, „versiegelte Hans Leist sogar das Ciborium, darin das Hochwürdige verschlossen war, dessen wir sehr erschraken.“
Die Magdalenen müssen Rechenschaft über ihre Buchführung ablegen und lutherische Prediger bezahlen. Der lutherische Rat der Stadt macht ihnen Angebote für den Fall, dass sie zum Protestantismus übertreten und das Kloster verlassen. Sie sollen eine Heiratsaussteuer erhalten oder, falls sie ledig bleiben, eine Rente bis zum Lebensende. Doch die Magdalenen beten und singen Tag und Nacht, um im Glauben fest zu bleiben.
Die Nonnen kommen bei diesen Auseinandersetzungen relativ glimpflich davon. Aber das Michaeliskloster und die Andreaskirche werden geschändet, Heiligenaltäre und Reliquien zerstört, die Muttergottes-Skulpturen entehrt, sakrales Gerät, Orgel, Glocken, die kupferne Turmabdeckung gestohlen und verhökert.
Die Einführung der Reformation begann recht gesittet
Dabei hatte die Einführung der Reformation durch den Theologen Johannes Bugenhagen im Jahr 1542 noch gesittet begonnen. Am 1. September 1542 hielt er die erste evangelische Predigt in der Andreaskirche. Unter den Gottesdienstbesuchern war der Hildesheimer Weihbischof und Dominikaner Balthasar Fannemann. Einige Tage später Gegenbesuch des evangelischen Prädikanten im Hildesheimer Dom. Bugenhagen äußerte sich anerkennend zu dem theologischen Scharfsinn des Weihbischofs.
Festhalten am Katholizismus oder Abwendung zum Protestantismus ist aber schon in diesen Tagen nicht mehr allein eine Sache von Argumenten und Gebeten. Knallhart werden wirtschaftliche und politische Interessen ausgefochten. Das zeigen die Einführungen der Reformation in den Fürstentümern Calenberg, Braunschweig-Wolfenbüttel und in den Hansestädten Hamburg und Bremen. Predigtverbot für katholische Priester (Bremen seit 1523), Abriss des Klosters der Harvestehuder Zisterzienserinnen im Jahr 1530 auf Beschluss des Rates der Stadt Hamburg. Protestantische Fürsten und Reichsstädte bilden am 27. Februar 1531 ein Schutzbündnis gegen die Katholiken, den Schmalkaldischen Bund. Schon 1546–1547 herrscht im Deutschen Reich Bruderkrieg.
Reformation oder Festhalten am Katholizismus beruht in jener Zeit bestenfalls auf einer Mehrheitsentscheidung. Den anderen tolerieren will keine Seite. Auch die katholische Seite kann sehr hart zuschlagen. So wird der ehemalige Augustiner-Eremit Heinrich von Zütphen, der im Jahr 1521 in Bremen die erste protestantische Predigt gehalten hatte, durch Anstiftung des Meldorfer Dominikaner-Priors Augustinus Torneborch am 9. Dezember 1524 bei Heide (Dithmarschen) in einen Hinterhalt gelockt und ermordet. Seine Hände, Füße und der Kopf werden abgehackt und verbrannt, der Rumpf unter Spottgesängen beerdigt.
Die Radikalität dieser Jahre hat weltliche wie auch geistliche Gründe. Der Mensch des 16. Jahrhunderts lebt im Bewusstsein einer ständigen Lebensbedrohung durch Seuchen, Arbeitsunfälle, Kindbettfieber und Kriege. Nur jedes zweite Kind erreicht überhaupt das 14. Lebensjahr. Man stirbt nicht auf der Intensivstation, sondern daheim. Den Tod immer vor Augen wird der Mensch von klein auf mit den Sinnfragen des Lebens konfrontiert. Für die katholische Kirche entstehen durch den Wegfall des Ablasshandels große Probleme sowohl im Kirchenneubau wie auch in der Aufrechterhaltung ihrer sozialen Arbeit. Vom Ablasshandel hatte nicht nur der Bau des Petersdomes im fernen Rom profitiert. So verlieh im Jahr 1492 Bischof Barthold von Hildesheim den Handwerkern für die Fertigstellung der Kapellen St. Cyriakus und St. Anna auf dem Eselstieg 400 Tage Ablass. Die Basis der Almosen für die Armen, für die Kranken im Siechenhaus an der Marienburger Landstraße wie auch für die Stipendien mittelloser Schüler waren Ablässe und Seelenmessen für die Verstorbenen. Natürlich fragen sich die potentiellen Stifter für den Bau eines Siechenhauses angesichts von Schließungen der Klöster durch protestantische Stadträte: Kann der Orden seine Zusage, täglich für meine Seele eine Messe zu lesen, auch durchhalten?
Die Herrschenden haben weniger Geld in der Kasse
Die Reformation bringt sowohl städtischem Bürgertum als auch den Fürsten mehr Geld und letzteren auch mehr Macht. Im Mittelalter waren noch rund 30 Prozent der Tage eines Jahres Sonn- und Feiertage und daher mit einem Arbeitsverbot belegt. Durch die Reformation fiel ein Großteil der Feiertage weg. Handwerker konnten länger arbeiten und mehr verdienen. Die Enteignung der Klöster und kirchlichen Stiftungen brachte dem Adel erheblichen Gewinn. Außerdem reichte für einen moderneren Staat und den Unterhalt einer qualifizierten Beamtenschaft das mittelalterliche System von Ernteabgaben (der Zehnte) wie auch Arbeitsleistungen in Form der Hand- und Spanndienste nicht mehr aus. Man brauchte Geld, Edelmetall. Aber durch die vielen Wallfahrten wanderte bislang viel Edelmetall ab ins meist südliche Ausland. Mit der Reformation entfielen die Wallfahrten, und man konnte das Edelmetall im Land halten. Nicht zur Vergoldung von Sakralgegenständen, sondern zum Nutzen der eigenen Volkswirtschaft. Luthers Ernennung der Landesfürsten zu Bischöfen gab diesen die Möglichkeit, nur Theologen zu Pfarrern zu ordinieren, die dem Landesherrn gegenüber loyal waren.
Dagegen ist für die Masse der Bevölkerung, die Bauern, das freie Lesen in der Bibel nicht so wichtig, Patronatsfeste und Hagelprozessionen dagegen schon. In der Landbevölkerung hat die katholische Gegenreformation nach dem Trienter Konzil (1563) ihre größten Erfolge. Mit guten Predigern, vor allem Dominikanern und Jesuiten, deutschen Kirchenliedern, Kinder- und Jugendarbeit, dem Barock und der Marienverehrung kann sie mitunter in wenigen Jahren die konfessionelle Situation völlig umkehren, so auch ab 1575 im vorher protestantischen Eichsfeld.
Zur Abwehr der Rekatholisierung gründen die protestantischen Reichsstände im Jahr 1608 ein Bündnis, die Protestantische Union. Die Protestantische Union schließt sogar ein Militärbündnis mit Frankreich. Ihnen gegenüber steht die 1609 gegründete Katholische Liga, das Bündnis der katholischen Fürsten.
Bei der Reichsdeputation des Deutschen Reichstages, wo um die Rekatholisierung von Kirchengut gestritten wird, fliegen die Fetzen. Und nach dem Prager Fenstersturz 1618 knallt es dann richtig. Dreißig Jahre lang. Wie es dabei im Dreißigjährigen Krieg im Bistum Hildesheim knallte, erfahren Sie in der nächsten Folge.
Tillo Nestmann