Diskussionsabend der Kolpingsfamilie Köthen zur christlichen Friedensethik

Gerechter Krieg, gerechter Friede

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Bei einem Diskussionsabend der Kolpingsfamilie in Köthen hat der Theologe Markus Thurau dargelegt, wie sich die christliche Friedensethik im Lauf der Geschichte verändert hat.

Markus Thurau (links) im Gespräch mit den Köthener Kolping-Vorstandsmitgliedern Hans-Martin Riemen und Christina Gießler.
Foto: Dorothee Wanzek

 

Wie Christen den Krieg bewerten, hat sich mit der wachsenden Brutalität und Entgrenzung der Kriege verändert. Das machte Dr. Markus Thurau, Theologe am Potsdamer Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, kürzlich in einem Vortrag in der Köthener St. Mariengemeinde deutlich. Über Jahrhunderte habe die durch Bischof Augustinus (345 – 430 nach Christus) geprägte Lehre vom gerechten Krieg die christliche Haltung geprägt. Augustinus hielt den Krieg grundsätzlich für ein geeignetes Mittel, verletzte Rechte wieder herzustellen.
Noch im Ersten Weltkrieg hätten führende Katholiken diese Haltung vertreten, legte Markus Thurau dar. Beispielsweise habe der Münchner Bischof und spätere Kardinal Michael Faulhaber geäußert: „Nach meiner Überzeugung wird dieser Feldzug in der Kriegsethik für uns das Schulbeispiel eines gerechten Krieges werden.“ Er vertrat zwar die Auffassung, dass Krieg immer nur dann als Mittel zum Frieden zum Einsatz kommen dürfe, wenn alle anderen Versuche, Konflikte friedlich beizulegen, gescheitert seien. Allerdings sollte die Einschätzung, ob es sich um einen legitimen Kriegsanlass handelt und ob die friedlichen Mittel zur Beilegung ausgeschöpft seien, allein bei der Obrigkeit liegen. Gläubige wurden auf ihre Untertanenpflicht verwiesen.

Klar benennen, wer Täter und wer Opfer ist
Seelsorger hatten die deutsche Bevölkerung während des Ersten Weltkrieges in der Überzeugung bestätigt, auf der richtigen Seite zu stehen. Dann doch zu verlieren, sei für viele schwer auszuhalten gewesen. Die Kirchen hätten es nach dem Krieg aber versäumt, tröstende Worte zu finden, die den Kriegs-Verlierern halfen, einen Neuanfang zu ermöglichen und Versöhnung zu suchen, schätzte Thurau ein.    
Auch zu Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939 hätten die Bischöfe ihre grundsätzliche Bewertung des Krieges weitgehend beibehalten, sagte er. Christen, die den Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigerten, seien von ihren Kirchen alleingelassen worden.
Erst nach Ende des Zweiten Weltkrieges veränderte sich die Haltung der christlichen Mehrheitsgesellschaft. Nicht in Abrede gestellt wurde das Recht, sich zu verteidigen. Unter dem Eindruck der zahllosen zivilen Opfer moderner Kriege seien sich die Kirchen aber in neuer Weise ihrer Verantwortung für den Frieden bewusst geworden. In einer Erklärung der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Amsterdam hieß es 1948, dass Krieg „gegen den Willen Gottes“ sei. Als weitere Wegmarke nannte Thurau die  Enzyklika Pacem in terris. Papst Johannes XXIII schrieb darin 1963: „Darum widerstrebt es in unserem Zeitalter, das sich rühmt, Atomzeitalter zu sein, der Vernunft, den Krieg noch als das geeignete Mittel zur Wiederherstellung verletzter Rechte zu betrachten.“ Im Jahr 2000 bekannten sich die deutschen Bischöfe zum Leitbild des „gerechten Friedens“, das auch in folgenden ökumenischen Stellungnahmen bekräftigt wurde. Frieden wird darin nicht nur als Abwesenheit von Gewalt betrachtet, sondern als umfassenderes Prinzip. Der Einsatz für Frieden beinhalte den Einsatz für Freiheit und Gerechtigkeit, für Strukturen, die dem Krieg vorbeugen. Die Kirchen halten am Recht auf Verteidigung fest und vertreten damit keine grundlegend pazifistische Haltung, erläuterte der Referent.  
Wenn Christen derzeit über den Ukraine-Krieg diskutieren,  vermisst Markus Thurau zuweilen den Blick auf Freiheit und Gerechtigkeit. Papst Franziskus werde oft vor allem mit seinen scharfen Worten zur Ächtung des Krieges zitiert. Überhört wird dagegen manchmal, dass er darauf dringt, die Perspektive der Opfer wahrzunehmen. „Ihnen werden wir nur gerecht, wenn wir den Willen zur Vernichtung der russischen Angreifer zur Kenntnis nehmen, und wenn wir die Opfer zu Wort kommen lassen,“ ist der Potsdamer Theologe überzeugt. „Die massakrierten, ermordeten, vergewaltigten Zivilisten, die Kinder, die ihrer Kindheit beraubt werden, dürfen wir nicht übersehen“, betonte er.

Von Dorothee Wanzek