Godehardjahr
Godehards größter Fan
Stefan Branahl
In einem kleinen Bergdorf in den Schweizer Alpen wird Adrian Aellig für sein großes Vorbild eine Kapelle bauen. Ein Besuch in der Lüneburger Heide und eine Beilage der KirchenZeitung haben ihn bei seinen Nachforschungen über den großen Heiligen unterstützt.
Die Genehmigung ist bereits erteilt, und wenn alles plammäßig verläuft, kann wohl noch im Herbst die kleine Kapelle eröffnet werden. Sie soll dort stehen, wo eine Bruchsteinmauer den Hang vom Nachbargrundstück abfängt, auf einer Wiese mit gerade gepflanzten Obstbäumen. Nichts Großes, eher ein bescheidener Bau, Geweiht wird sie dem heiligen Godehard – oder Gotthard, wie er hier heißt. Nur 20 Kilometer weiter östlich erinnert ein ganz anderes Kaliber an den Abt von Niederaltaich an der Donau, der vor 1000 Jahren zum Bischof von Hildesheim geweiht wurde: Der Gotthard-Pass, eine der wichtigen Nord-Süd-Verbindungen. Früher erkämpften sich die Menschen auf alten Saumpfaden den Weg über das Bergmassiv, heute zieht sich der Verkehr aus Autos und Lastwagen wie ein endloser Wurm in Röhren durch das Massiv, und für den Zugverkehr wurde der längste Eisenbahntunnel der Welt hineingebohrt.
„Der Berg hat mich beseelt und gerufen“
In den Schweizer Alpen kämpft der Frühling mit dem Winter, an diesem Vormittag muss er sich geschlagen geben. Unser Blick geht hinauf zum Bristen. Bei klarem Wetter könnten wir sehen, dass er sich wie eine gigantische Pyramide über das Reusstal im Kanton Uri erhebt. Mit 3073 Metern ist der Gipfel vermessen, aber heute ist auf nicht mal halber Höhe Schluss mit Aussicht, nur ab und zu reißen Sturmböen Lücken in den Nebel, wir erkennen Schneefelder bis weit unter die Baumgrenze.
Der Bristen birgt ein Geheimnis, das gewaltige Massiv ruht auf vier goldenen Pfeilern, und wer einen von ihnen findet, kommt zu unvorstellbarem Reichtum. Das ist eine Sage, aber man erzählte sie sich früher gern, wenn man an den langen Abenden um den Ofen saß. Und der Bristen spricht. Das ist keine Sage, Adrian Aellig meint das ganz ernst. „Der Berg hat mich gerufen, er beseelt mich“, sagt er.
Dass jetzt aber keiner auf die Idee kommt, Adrian Aellig litte an einer Form von Gebirgskoller. Er ist ein Mann Ende 60, der die Welt kennt und die Höhen und Tiefen des Lebens. Studiert hat er in Florenz, für die Fokolarbewegung war er 30 Jahre lang als Projektleiter in vielen Teilen Europas unterwegs, anschließend brachte er das älteste Hilfswerk der Schweizer Katholiken (vergleichbar mit dem deutschen Bonifatiuswerk) neu in die Spur und zuletzt führte er ein erfolgeiches Unternehmen für medizinisch-technische Hilfsmittel mit internationalen Abnehmern. Keiner also, dem es in der Einsamkeit der Schweizer Berge merkwürdig im Kopf herumspukt. Trotzdem fühlt sich Adrian Aellig hin und her gerissen: „Manchmal brauche ich die Gemeinschaft, dann zieht es mich wieder in die Einsamkeit.“
»Aufrecht und mit geradem Rücken – das ist Gotthard «
Adrian Aellig
Die Einsamkeit findet er in dem kleinen Bergdorf unter dem Bristen. Hier hat Aellig sich ein Holzhaus in skandinavischem Stil bauen lassen, gerade genug Platz für eine Person. Die zwei Dutzend Nachbarhäuser ziehen sich am Hang entlang, viele der Bauern gehen für die kommenden Sommermonate hinauf auf die Almen. Manchmal führt es ein paar Wanderer hierher. Wer zum Einkaufen ins Tal muss, fährt über enge Serpentinen, die geradezu halsbrecherisch am Steilhang hinab führen und mehrmals am Tag gesperrt sind, damit der Postbus durch die engen Kurven manövrieren kann. Hierhin also ist Adrian Aellig dem Ruf des Berges gefolgt. Und hier taucht er regelmäßig ein ins Leben Gotthards, forscht in seiner Geschichte, geht unzähligen Spuren nach. „Gotthard ist für mich einer der größten Heiligen, auf einer Stufe mit Benedikt, Augustinus und Ambrosius.“ Ein Heiliger, der an vielen Orten Europas verehrt wird, weiß Aellig inzwischen. Aber ausgerechnet in der Schweiz mit seinem St. Gotthard weitestgehend unbekannt ist. Auch er selbst, sagt er, habe lang nicht gewusst, dass sich hinter dem Namen des Bergmassivs in seiner Nachbarschaft eine reale historische Person verbirgt. „Erst ein Artikel in der Neuen Züricher Zeitung hat mich auf die Spur gebracht. Erschienen ist er schon vor vielen Jahren, aber ich bin erst kürzlich zufällig drauf gestoßen“, erzählt er. Inzwischen hat Aellig durch Recherchen ein umfangreiches Archiv aufgebaut und wie ein Puzzle das Leben Gotthards oder Godehards zusammengesetzt. Er weiß, in welchen Archiven zwischen Italien und Skandinavien er gezielt recherchieren muss. Er hat Spuren entdeckt in Mailand, wo sich vor einigen hundert Jahren eine einflussreiche Familie Visconti für die Verehrung Gotthards eingesetzt hat, er ist auf ein nach dem Heiligen benanntes Dorf in Ungarn an der Grenze zur Steiermark gestoßen, er weiß, dass es im schweizerischen Fribourg direkt neben der Kathedrale am Hauptplatz ein Gotthard-Restaurant gibt und im dänischen Lund zwei Kirchen seinen Namen tragen.
Und manchmal hilft der Zufall wieder ein Stück weiter, wie im vergangenen Sommer: Da besuchte Adrian Aellig einen langjährigen Wegbegleiter und Freund aus Luzern, der in die Lüneburger Heide gezogen ist. „Wir waren mit dem Fahrrad unterwegs, in Amelinghausen entdeckte ich zu meiner Überraschung den Wegweiser zur St.-Godehard-Kirche. Eigentlich wollte der Küster gerade abschließen und nach Hause gehen – aber dann hat er sich lange Zeit genommen und ganz begeistert vom Kirchenpatron erzählt.“ Noch etwas hat Aellig inspiriert: „Im Schriftenstand fand ich die Beilage der Hildesheimer KirchenZeitung aus Anlass des Godehard-Jubiläumsjahres. Sie war das Beste, was ich bisher über das Thema gefunden habe.“ Wieder ein paar Teile für das große Puzzle …
„Ein tüchtiger und bescheidener Kerl“
Es gibt nicht viele, die inzwischen so vertraut sind mit dem Leben und Wirken Gotthards wie Adrian Aellig. Was ihn so an dem Ordensmann, Bischof und Heiligen fasziniert? Die Antwort ist lang: „Gotthard war ein Macher, ein tüchtiger und gleichzeitig bescheidener Kerl, er konnte kommunizieren, lebte im Einklang mit den Menschen und mit Gott und lebte seinen Traum von einer erneuerten Kirche mit Demut und Gehorsam. Für mich steht er dafür, dass jeder Christ in der Pflicht steht, sich ständig zu verbessern und zu entwickeln.“
Ein Bild begleitet Adrian Aellig seit vielen Jahren: Es zeigt eine Holzskulptur, einen Einsiedler, aufrecht, mit geradem Rücken. Vielleicht findet er ja einen Künstler, der ihm eine genau solche Figur für die Kapelle unter dem Gipfel des Bristen schnitzt. „Aufrecht und mit geradem Rücken – so stelle ich mir Gotthard vor. Und so ist er mein großes Vorbild.“