Die Berufungsgeschichte von Pater Gregor Schmidt

Gott im Nildelta verkünden

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Gregor Schmidt entdeckte dank einer protestantischen Gastfamilie in Amerika die Freude, sein Leben Christus hinzugeben. Ein Pfarrer in Peru entzündete in ihm die Flamme, die später zur Priesterweihe führte. Anlässlich des Weltgebetstages um geistliche Berufe schildert er seine Geschichte.

Pater Gregor Schmidt (Zweiter von rechts) mit seinem Mitbruder Pater Alfred (Zweiter von links) und drei Katecheten auf Kapellenwanderung im Sumpfland des Nil. | Fotos: Privat
 
Eine Berufung ist ein Geschenk Gottes. Sie entwickelt sich durch viele Begegnungen, die Teil eines größeren Plans Gottes sind.
Während meiner Kindheit hatte ich einen festen Glauben an die Präsenz Gottes in meinem Leben. Als Teenager war ich einige Jahre Ministrant und einer der wenigen Schüler in meiner Klasse, der sonntags regelmäßig zur Kirche ging. Die Messe hat mir wirklich gefallen. Unter der Woche war der Glauben für mein Leben jedoch nicht relevant. Mit meinen Eltern oder Freunden sprach ich nicht darüber. Mein Kinderglaube war aufrichtig, wurde aber nicht angemessen genährt. Vermutlich wäre ich ein säkularer Mensch geworden, wie es so vielen Jugendlichen in der Kirche ergeht, wenn sie erwachsen werden und ihnen der Glaube fremd wird.
 
Wechsel von selbst-zentrierter zu Christus- zentrierter Perspektive
Mein Lebensweg änderte sich jedoch, als mein Vater vorschlug, mich als Austauschschüler in die USA zu schicken. Ich lebte bei einer warmherzigen, protestantischen Familie. Sie gehörten zur Grace Brethren Church – mit his- torischen Wurzeln im deutschen Pietismus. Während dieser Zeit las ich zum ersten Mal in der Bibel. Die Begegnung mit Gott in der Heiligen Schrift berührte mich so tief, dass ich ihm mein Leben bewusst anvertraute. Ich kann es am besten als einen Wandel von einer selbst-zentrierten hin zu einer Christus- zentrierten Perspektive beschreiben. Das Wort „selbst-zentriert“ soll verdeutlichen, wie Menschen üblicherweise die verschiedenen Bereiche ihres Lebens im Blick auf die eigenen Interessen organisieren. Glaubensfragen sind eventuell ein zusätzlicher Lebensbereich, aber es besteht der Anspruch, autonom zu bestimmen, wie stark Gott in das eigene Leben eingreifen darf. Indem ich mich auf Christus einließ, erlaubte ich Gott, die Kontrolle über all meine Lebensbereiche zu übernehmen und sie dadurch zu heiligen. Denn in meiner vermeintlichen Autonomie war ich in Wirklichkeit von vielen anderen Stimmen abhängig gewesen. Es lief auf einen Tausch hinaus. Ich entschied neu, was beziehungsweise wer mein Fundament sein soll. Obwohl meine Hinwendung zu Christus in einer protestantischen Umgebung stattfand, ist es eine von Grund auf katholische Erfahrung. Alle Heiligen erlebten eine persönliche Bekehrung und gaben Christus ihr Leben hin.
Zurück in Deutschland hatte ich eine Identitätskrise, da sich meine Glaubenserfahrung so sehr von dem säkularen Leben vieler Katholiken unterschied. Persönliche Bekehrung und Evangelisation wurden in der Kirche nicht angesprochen. Während dieser Phase spielte meine Großmutter eine entscheidende Rolle. Als junge Frau konvertierte sie zur katholischen Kirche. Sie wurde meine Gesprächspartnerin und half mir, Jesus Christus, die Bibel und die katholische Kirche miteinander in Einklang zu bringen: Die Kirche ist die Geschichte durchschreitende Familie Gottes, die den Glauben am Leben erhält und ihn an die nächste Generation weitergibt; so unvollkommen das auch geschehen mag.
Nach der Schule entschloss ich mich, den Zivildienst – vermittelt durch die Kirche – als Laienmissionar in Peru zu leisten. Es handelte sich um eine Partnerschaft der Diözesen Rottenburg-Stuttgart und Chachapoyas (im Norden Perus). Dort lernte ich die Kirche zum ersten Mal als Volk Gottes kennen. Diese Erfahrung – das konkrete Mitleben und Teilen des Glaubens – half mir, meine Identität als Katholik zu festigen.
Der Pfarrer predigte zu Weihnachten, dass Jesus Christus gekommen sei, um im Herzen eines jeden Menschen geboren zu werden und diese Gegenwart des Auferstandenen bringe das Licht Gottes in unsere Dunkelheit. Ich wusste, dass es derselbe Jesus war, dem ich mein Leben in den USA geöffnet hatte, der jetzt erneut zu mir sprach.
Ich war in der Jugendarbeit der Pfarrei aktiv. Es wurde eine fundierte Glaubensausbildung für Familien und Katecheten angeboten, was mich sehr inspiriert hat. Der Pfarrer ermutigte mich ferner dazu, samstagabends den Wortgottesdienst in einer Kapelle zu halten. Rückblickend entwickelte sich aus meinem liturgischen Gebetsdienst als Katechet der Wunsch Priester zu werden.
 
Pater Gregor während einer Erwachsenentaufe.

 

Erstevangelisierung und Mission als Lebensinhalt erkannt
Zurück in Deutschland begann ich, Theologie zu studieren, zunächst um Pastoralreferent zu werden. Mein Dozent für das Alte Testament war ein Benediktinerpriester, der mich durch seinen Glauben so sehr faszinierte, dass ich ihn bat, während meines Studiums in seinem Kloster mitleben zu dürfen. Kurze Zeit später klärte sich für mich im Gebet, dass Jesus mich rief, Missionspriester zu werden. Es war nicht so sehr eine Entscheidung, die ich zu treffen hatte, als vielmehr die Entdeckung von etwas, das langsam in meinem Herzen herangereift war und das ich mit Freude annahm.
Einer meiner peruanischen Freunde war mittlerweile in der Ausbildung der Comboni-Missionare. Er sprach über den Gründer Daniel Comboni und das Charisma der Erstevangelisierung, das heißt, unter Völkern zu leben, die Jesus Christus (mehrheitlich) noch nicht kennen oder die nur wenig evangelisiert worden sind. Es passte zu dem, wonach ich suchte, sodass ich gar nicht mehr woanders nachfragte. Ein Comboni-Missionar widmet sein Leben der Mission durch die drei Evangelischen Räte (Armut, Keuschheit, Gehorsam) und teilt das Leben der einfachen Bevölkerung. Das Teilen des Evangeliums ist durch Jesus inspiriert, der Sünder und Ausgestoßene aufsuchte und mit Gott versöhnte und durch die Propheten, die Ungerechtigkeit und Unterdrückung anprangerten. Während des 19. Jahrhunderts, als Afrika durch den europäischen Kolonialismus und den arabischen Sklavenhandel verwüstet wurde, sprach Comboni von seinen „Brüdern und Schwestern in Zentralafrika“, die ihm zufolge zu den „Ärmsten und am meisten Vernachlässigten“ von allen Völkern gehörten und ein Recht darauf hätten, Gottes Barmherzigkeit durch Jesus Christus kennenzulernen.
Nach einer Probezeit in einer Comboni-Gemeinschaft begann ich die Ordensausbildung. Später bat ich darum, nach Afrika geschickt zu werden, um Daniel Combonis Leidenschaft für die Menschen dieses Kontinents verstehen zu lernen. Seit 2005 lebe ich in Ostafrika – zunächst in Kenia und seit 2009 im Südsudan inmitten halb-nomadischer Hirtenvölker. Im März 2011 wurde ich in meiner Heimatstadt Berlin zum Priester geweiht.
Ich lebe im Sumpfgebiet des Nil beim Volk der Nuer. Das Evangelium verbreitete sich in dieser Region in den 1990er Jahren wie ein Lauffeuer, so dass der hiesige Bischof die Comboni-Missionare 1998 einlud, die neuen Konvertiten zu begleiten. Wir bilden Katholiken aus, damit sie zu kompetenten Gebetsleitern und Lehrern des Glaubens werden. Ferner bieten wir das Erwachsenen-Katechumenat an. Da über 95 Prozent der Bevölkerung in diesem Teil des Südsudans aufgrund der Isolation Analphabeten sind, unterstützen wir Bildungsprogramme. Außerdem ist die Aussöhnung der verschiedenen ethnischen Gruppen aufgrund des Bürgerkrieges eine wichtige Aufgabe für die Kirchen geworden.
Um die Pfarrei zusammenzuhalten, besuchen wir Missionare die Gläubigen regelmäßig in ihren Dörfern. Wir sind zu Fuß unterwegs, da es weder Straßen noch Fahrzeuge gibt. Die entlegensten Kapellen sind bis zu vier Tage vom Pfarrzentrum entfernt. Das Pfarrgebiet ist etwa acht Mal so groß wie Berlin. Es gibt kein Telefon, keine Post und kein Stromnetz. Wir sind auf Solarstrom angewiesen. Die Isolation und die Einfachheit dieses Lebensstils helfen mir, mich auf die grundlegenden Dinge zu konzentrieren, was es heißt, ein Mensch und ein Christ zu sein.