Seit über 30 Jahren wirken Missionsärztliche Schwestern in Berlin-Marzahn
Heilung im Häusermeer
Die Missionsärztlichen Schwestern in ihrem Berliner Zuhause. Foto: Privat |
„Wagemutig sind wir 1992 in den Osten gekommen“, sagt Schwester Michaela Bank. Sie und Schwester Angelika Kollacks waren die ersten Missionsärztlichen Schwestern in Marzahn. Diesen Wagemut brauchten sie auch, erzählt die Therapeutin und Theologin Michaela Bank, denn willkommen waren sie anfangs nicht: „Wir trafen auf viel Widerstand und auf die Angst, was wir Ordensfrauen aus dem Westen wohl hier wollten, ob wir etwa missionieren würden.“ 1992 war das Vertrauen in „Heilsbringer“ aus dem Westen bereits angeknackst.
Abschrecken ließen und lassen sich die Ordensfrauen nicht. Sie vertrauen der heilenden Präsenz Jesu. Gott will das Heil der ganzen Erde und aller Menschen, die auf ihr wohnen. Diese Spiritualität der Heilung wollen sie mit allen teilen, denen sie begegnen, gleich, ob sie bei ihnen Rat und Hilfe suchen oder einfach jemanden brauchen, die zuhört, weder be- noch verurteilt, ihnen gut ist und gut tut. Schwester Michaela erinnert sich an die Anfangsjahre in der Lebensberatungsstelle der Missionsärztlichen Schwestern in Marzahn-Hellersdorf: „Zu uns kamen Frauen, die unter Bespitzelung und ideologischem Druck gelitten hatten, fast daran zerbrochen sind. Und Frauen, die Nachbarn oder Kollegen für die Stasi ausspioniert hatten. Die einen wie die anderen waren erleichtert, ihre Geschichte erzählen zu können, ohne Angst haben zu müssen, dass wir ihr Vertrauen missbrauchen könnten.“
Meditation, Pilgern, Qi Gong und Bogenschießen
Manche hätten sehr wohl gespürt, dass sie tief in der Seele verwundet sind, „konnten aber an dieses Gefühl und dessen Ursachen nicht herankommen“, ergänzt Schwester Angelika. Sie ist Musiktherapeutin: „Musik kann helfen, Zugang zu den eigenen Gefühlen zu finden. Denn solche Nöte sind ja nicht einfach aufzulösen. Sie graben sich im Herzen ein, dort, wo die Sehnsucht nach Heil und Heilung und die Zusage der Liebe Gottes zusammenfallen, ob man nun an Gott glauben kann oder nicht. ‘Ich spüre in mir Leben‘, hat eine Frau mal zu mir gesagt. Ich hätte vielleicht gesagt, ich spüre Gott. Doch darauf kommt es gar nicht an.“
Dieses Charisma der Heilung bezeugen die heute sechs Ordensfrauen und drei Assoziierten Mitglieder durch vielfältige Angebote; sie reichen von Meditation bis Bogenschießen, von Pilgertagen bis Qi Gong. Manchmal empfangen sie Menschen bei sich, oft gehen sie zu ihnen hin. Sie bringen sich in die Stadtgesellschaft ein, engagieren sich in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen und nehmen auch mal an wichtigen Demos teil, zum Beispiel, als es 2015 um die Unterkünfte für Geflüchtete ging oder im letzten Jahr bei den Friedensdemos für die Ukraine, berichtet Schwester Monika Ballani.
Schwester Thekla Schönfeld schildert auch einen Vorteil: „Weil hier Ordensfrauen seltener sind als in anderen Regionen, gibt es auch weniger Vorurteile, und der ganze Ärger über die Katholische Kirche ergießt sich nicht über uns. Wo es wenig Erwartungen gibt, ist die Begegnung unbelastet.“ Wenn die Sonderpädagogin beispielsweise in der U-Bahn um eine Spende gebeten wird, und sie dann sagt, dass sie in einer Gemeinschaft lebt und daher über kein eigenes Geld verfügt, würde das übersetzt mit ‚ach so, du lebst in einer Kommune‘ und ist dann völlig in Ordnung.
Die meisten Mitglieder der Berliner Gemeinschaft sind berufstätig – als Physiotherapeutin im Hospiz und in der häuslichen Palliativversorgung, in der Seelsorge für Menschen mit Behinderung oder als Qi Gong-Lehrerin und Zahnärztin. Dass Heilungsbedarf besteht, ist unstrittig. Auch 30 Jahre später werden die Ordensfrauen konfrontiert mit den Fragen und Wunden, die Menschen aus der ehemals geteilten Stadt in sich tragen. Sie erleben Armut, Einsamkeit, verschiedene Formen von Gewalt und Ausgrenzung. Auch spezifische ostdeutsche Verwundungen bleiben ein Thema. Schwester Monika unterstreicht, wie wichtig es sei, genau hinzuhören, was andere bewegt und persönliche Erfahrungen ernst zu nehmen. Es gehe darum, Räume zu öffnen, in denen Menschen atmen und sich mitteilen können.
Schwester Beate Glania ist Seelsorgerin auf den psychiatrischen Stationen des Krankenhauses Hedwigshöhe. 95 Prozent der Patienten sind religionslos. „Aber das ist nicht wichtig. Ich versuche, Erfahrungen von Halt, von Geborgenheit gerade in Grenzsituationen zu ermöglichen. Und wenn’s nur für einen Moment ist und das Wort Gott kein einziges Mal gefallen ist. Die Erfahrung ist wesentlicher als die Worte. Auch das Evangelium zeigt: Jesus hat geheilt, aber er hat in Zusammenhang damit kein Bekenntnis gefordert.“ Schwester Thekla nickt: „Dass im Namen unserer Gemeinschaft das Wort Mission steckt, heißt nicht, dass wir den Menschen etwas bringen, was sie gar nicht wollen. Was wir wollen ist, berührbar zu bleiben für die Nöte wie für die Schätze jedes Menschen.“
www.missionsaerztliche-schwestern.org
Von Juliane Bittner