Öumenische Essensausgabe in Hannover sucht neue Räume
Herberge händeringend gesucht
Zu viele Hungrige, zu wenig Platz: Die ökumenische Essensausgabe in Hannover kann nicht mehr in den Räumen der Heilsarmee bleiben. Das Projekt, angefangen als Winterhilfe für Obdachlose, droht nun obdachlos zu werden.
Zuletzt waren es an Spitzentagen 300 Mahlzeiten, die ausgegeben wurden an 300 Menschen, arm oder obdachlos im Gottesdienstsaal der Heilsarmee. Alles in zwei Stunden. „Wir sind da wirklich an unsere Grenzen gekommen – und schon darüber hinaus“, sagt Pastorin Christine Tursi, die Leiterin der Heilsarmee. Von Dezember bis Mitte März, an sechs Tagen in der Woche: „Die Enge ist belastend, auch für die 30 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer.“
So können auch vermeintlich harmlose Situationen schnell eskalieren. Wo viele Menschen aufeinander sitzen, komme es schneller zu Spannungen und Aggressionen. Die Folge: „Zum Beispiel ältere Menschen fühlen sich dann nicht mehr wohl“, berichtet Christine Tursi. Aber genau die Zahl von älteren Menschen, die die Essensausgabe nutzen, ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Auch Frauen suchen vermehrt das Angebot auf. Die Armut ist mitten in der Stadtgesellschaft von Hannover angekommen.
Jetzt fehlt es an einem Raum: „Wir sind ratlos“, betont Pastor Rainer Müller-Brandes vom Diakonischen Werk. Seit Monaten suchen die Träger des Angebotes eine Alternative – und stoßen bisher nur auf Ablehnung.
„Wir brauchen jetzt die Hilfe der Stadtgesellschaft“, appelliert Müller-Brandes. Viel Zeit bleibt nicht mehr, wenn wieder ab Dezember eine warme Mahlzeit am Tag angeboten werden soll. Hinzu kommt: Der Diakonie-Pastor rechnet mit weiter steigenden Zahlen. Auch, weil ungebrochen mehr Arbeitssuchende aus Rumänien oder Bulgarien nach Hannover kommen. Ohne Anspruch auf staatliche Unterstützung, ist die Essensausgabe eine der wenigen Chancen über den Winter zu kommen.
Für Müller-Brandes gibt es drei Optionen: „Plan A – wir finden noch ein leerstehendes Ladenlokal, mindestens 150 Quadratmeter.“ Es müsse schon zentral gelegen sein. „Denn wie sollen sonst obdachlose Menschen zu uns kommen?“, fragt der Pastor. Aber bisher gab es nur Absagen: „Eine sogar mit der Begründung ‚so etwas wollen wir nicht bei uns’ – das ist schon bitter.“
„So etwas wollen wir nicht bei uns“
Plan B: Ein großes Zelt auf dem Schützenplatz in Hannover. Nicht nur abseits gelegen, sondern auch mit hohen Kosten für die Essensausgabe verbunden. Gerechnet wird mit 2000 Euro Zeltkosten pro Woche, dazu Ausgaben für Fußboden, Heizung, Strom, Möblierung. Auch schlägt jedes Essen mit 2,50 Euro zu Buche. Bisher finanziert sich die Essensausgabe von 35 000 Euro Spenden pro Saison. Kommt die Zeltlösung, müsste die Ausgabezeit verringert werden – auf zwei Monate.
Bedürftige nicht an den Rand schieben
Plan C: Die Essensausgabe fällt aus. Das kann und will Stefanie Ganser nicht akzeptieren: „Das ist ein Armutszeugnis unserer Stadtgesellschaft.“ Die Ärztin vertritt die Katholische Kirche im Trägerkreis. Auch von der Zeltlösung gehe ein fatales Signal aus: „Bedürftige Menschen werden an den Rand geschoben, gut abgeschirmt von der Stadtgesellschaft.“
Neben dem falschen Signal sieht Stefanie Ganser noch ein weiteres Problem: „Unser Anspruch ist doch, dass bedürftige Menschen in Ruhe etwas essen können und Kontakt zueinander finden.“ Stärken und aufwärmen sei das eine. Aber es bestehe auch die Möglichkeit mit einer Sozialarbeiterin ins Gespräch zu kommen – über weitere Unterstützung und Hilfe. Ohne große Hürden. „Wie soll das in einem zugigen Zelt gehen?“, fragt Stefanie Ganser.
Umzüge sind für die ökumenische Essensausgabe nichts Neues. Vor 31 Jahren erstmals in der Neustädter Hofkirche begonnen, war die Essensausgabe lange in der Propstei St. Clemens und dann im Caritasverband Hannover beheimatet. Schließlich stellte die Heilsarmee ihren Gottesdienstraum zur Verfügung. Der Grund für die Umzüge war stets der gleiche: Immer mehr Menschen brauchen eine warme Mahlzeit in der kalten Jahreszeit. „Über Obdachlosigkeit und Armut wird in Hannover immer noch zu viel geschwiegen, gerade bei älteren Menschen oder Frauen“, meint Stefanie Ganser. Die Stadt dürfe die Augen nicht vor der Notlage verschließen.
Auch deshalb hofft Diakonie-Pastor Müller-Brandes auf Hilfe in letzter Sekunde: „Wir können mit Vermietern über alles reden – über Zwischenlösungen ebenso wie über die Miete.“ Nur schnell muss es gehen.
Rüdiger Wala