Erzbischof Victor Manuel Fernandez leitet künftig die Glaubensbehörde

Hüter der Hoffnung

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Victor Manuel Fernandez und Papst Franziskus begrüßen einander
Nachweis

Foto: kna/Vatican Media/Romano Siciliani

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Vertraute: Papst Franziskus kennt Erzbischof Victor Manuel Fernandez seit vielen Jahren.

Victor Manuel Fernandez leitet künftig die Glaubensbehörde im Vatikan. Der Vertraute des Papstes soll mit abweichenden Meinungen von Theologen offener umgehen als seine Vorgänger. Seine Beförderung sorgt auch für Kritik.

Der argentinische Erzbischof Victor Manuel Fernandez, lange Jahre Ghostwriter des Papstes, leitet künftig die zentrale Glaubensbehörde der katholischen Kirche. Papst Franziskus, der mittlerweile 86 ist und zuletzt mit Gesundheitsproblemen zu schaffen hatte, installiert damit einen Mann, der so denkt und schreibt wie er selbst und dabei fast eine Generation jünger ist.

Die am 1. Juli, zu Beginn der römischen Sommerflaute, platzierte Personalie wurde von Vaticanisti, die dem Papst nahestehen, als Sensation bewertet. Aber auch Franziskus-Kritiker diskutieren intensiv über den neuen Amtsinhaber jenes Postens, der über Jahrzehnte von konservativen Theologen geprägt wurde.

Am längsten hatte Kardinal Joseph Ratzinger – der spätere Papst Benedikt XVI. – die Stelle inne: Von 1981 bis 2005 hat der Deutsche das Image der Behörde, aber auch ihre Strukturen und Denkweisen geprägt. Es ging ihm darum, die Grenzlinie zwischen dem katholischen Glauben und allem, was ihm widerspricht, festzulegen und zu verteidigen. Theo-
logen, die abweichende Lehren in Büchern veröffentlichten, wurden zu klärenden Gesprächen eingeladen; und wenn sie auf Formulierungen beharrten, die nach Meinung der Behörde dem Glauben widersprachen, wurden sie mit Fristsetzung zum Widerruf aufgefordert.

Lange Liste bestrafter Theologen

Wer dem nicht nachkam, wurde bestraft. Beim prominenten Befreiungstheologen Leonardo Boff führte das 1985 zu einem einjährigen Lehr- und Redeverbot. Beim Theologen Tissa Balasurya aus Sri Lanka bedeutete das im Jahr 1997 sogar die (später wieder zurückgenommene) Exkommunikation. Die Liste der so Gemaßregelten ist lang.

Ratzingers Nachfolger William Joseph Levada, Gerhard Ludwig Müller und Luis Ladaria waren weniger prozessfreudig, aber dennoch konservativ. Eine Kostprobe erlebten die deutschen Bischöfe bei ihrem Besuch 2022. Ladaria zerpflückte mit zwei anderen Kurienkardinälen einige theologische Beschlüsse des Reformprozesses Synodaler Weg und mahnte die Bischöfe, sich an die Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils zu halten.

Dass Fernandez sein Amt nun anders begreifen soll als seine Vorgänger, hat ihm Papst Franziskus persönlich in einem Offenen Brief mitgeteilt. Das Schreiben zeigt die Vertrautheit zwischen dem Papst und dem 26 Jahre jüngeren Landsmann.
Beide lernten sich 2007 bei der Vollversammlung des Rates der Bischöfe Lateinamerikas und der Karibik in Aparecida kennen. Fernandez war dort als Berater und arbeitete am Schlussdokument mit – unter dem Kardinal von Buenos Aires, Jorge Mario Bergoglio, dem heutigen Papst.

Franziskus behielt Fernandez im Sinn. Kaum war er zum Kirchenoberhaupt gewählt, ernannte er Fernandez, damals Rektor der Katholischen Universität von Argentinien, zum Titular-Erzbischof, also ohne eigenes Bistum. Es war mehr als ein freundschaftliches Zeichen. Fernandez, der bewährte Mitarbeiter der Aparecida-Konferenz, schrieb weiterhin viele Reden und Texte für den Papst. 

In Franziskus’ Brief an Fernandez fordert er ihn nun auf, als Präfekt des Dikasteriums für die Glaubenslehre „Rede und Antwort zu stehen für unsere Hoffnung, aber nicht als Feinde, die anzeigen und verurteilen“. Das Schreiben liest sich wie ein Freibrief für einen offenen Umgang mit abweichenden Meinungen von Theologen und wie eine Einladung zur Abkehr von der auf Abgrenzung und Verteidigung eingestellten Linie der Glaubensbehörde. In konservativen Kommentaren wurde deshalb gemutmaßt, Franziskus habe den Tod seines Vorgängers abgewartet, bevor er diesen radikalen Kurswechsel umsetzte; denn letztlich bedeute er einen offenen Bruch mit dem Lebenswerk von Kardinal Ratzinger.

Aber nicht nur von konservativer Seite wird die Personalie Fernandez kritisiert. In Argentinien schrieb die linksradikale Zeitung „La Izquierda Diario“ nach der Ernennung, es gebe in der Amtszeit von Fernandez als Erzbischof von La Plata mindestens elf Fälle von sexuellem Missbrauch durch Priester, die er „in unterschiedlicher Form vertuscht“ habe. Der bekannteste Fall ist der des Pries-
ters Eduardo Lorenzo.

Die Organisation „BishopAccountability.org“ wirft Fernandez vor, Lorenzo geschützt und Opfern sexuellen Missbrauchs nicht geglaubt zu haben. Anne Barrett Doyle, Vize-Chefin des Informationsdienstes, sagte in einer Stellungnahme, Fernandez habe mit seinem Verhalten die Sicherheit von Kindern gefährdet, weil er den beschuldigten Priester auf dessen Pfarrposten gehalten habe, selbst nachdem sich weitere Opfer gemeldet hatten. Erst als ein Strafverfahren Erkenntnisse brachte, entfernte der Erzbischof ihn aus der Pfarrei und nannte dafür „gesundheitliche Gründe“. 2019 entzog sich der Priester durch Selbstmord einer Verhaftung durch die Polizei.

Fernandez spricht freimütig über Bedenken

Dass es Fernandez schwerfällt, beim Thema Missbrauch Leitungsverantwortung zu übernehmen, hat er selbst eingeräumt. In einem Brief an die Gläubigen im Erzbistum La Plata hat er in ungewöhnlich freimütiger Art geschildert, wie es der Papst schaffte, ihn trotz schwerwiegender Bedenken doch für das neue Amt zu gewinnen.

Zunächst habe er abgelehnt – unter anderem deshalb, weil er sich nicht zutraue, die zentrale Vatikanbehörde für den Umgang mit Missbrauchspriestern zu leiten. Diese gehört organisatorisch zur Glaubensbehörde und hat Hunderte von Priestern weltweit aus dem Klerikerstand entfernt, nachdem sie solcher Verbrechen überführt waren.

„Ich habe keine Vorbildung, um so etwas zu leiten“, ließ Fernandez den Papst wissen. Doch dann habe der ihm schriftlich zugesichert, dass er diesen Teil der Behörde nicht persönlich führen müsse. Vielmehr könne er sich ganz auf die Aufgabe konzentrieren, die Glaubensbehörde so zu leiten, dass das Verständnis für den Glauben an einen Gott wachse, „der liebt, der befreit, der erhebt und der die Menschen voranbringt“.

Ludwig Ring-Eifel