Anstoss 30/2018
„Ich höre zu.“ Das Experiment
„Wir wollten endlich wieder etwas tun.“ so erklärte die Frau, die etwa so alt war wie ich selbst, ihre Motivation zum Experiment.
Sie waren eine Gruppe aus ehemaligen Klimaaktivisten, die eine schlichte Idee verwirklichen: Vorurteilsfreies Zuhören. Sie stellen sich mit einem Schild „Ich-höre zu“ auf einen öffentlichen Platz, etwa in eine Fußgängerzone, einen Park oder vor ein Café. Einmal im Monat halte auch sie die Pappe hoch. Es ist eine ehrenamtliche Mitmach-Aktion.
Es gibt keinen klugen Rat. Es gibt ein hörendes, uneigennütziges Herz. Hinhören, gleich ob jemand spricht, singt, brüllt, weint oder auch tanzt. All das kann mitgeteilt werden. „Was da passiert“, erklärt mir die Aktivistin, „ist elementar. Es ist ein Wahnsinn, was sich bei mir selbst tut.“ Auf der Internetseite finde ich das „Mission Statement“ des Zuhör-Projekts von Impuls. „Zuhören verbindet. Es ist Voraussetzung für jede Verständigung, gerade wenn Konflikte hochkochen. Es lehrt uns, dass Unterschiede zwischen uns gut sind. Wir hören zu. Gegen eine zunehmende Spaltung in der Gesellschaft, vor allem aber für uns selbst.“
Als Jesus nach dem wichtigsten Gebot gefragt wird, zitiert er aus dem fünften Buch Mose (Dtn 6,4) das jüdische Grundgebet: „Höre, Israel! Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einzig.“ Der lebendige Gott will zuerst gehört werden. Das ist so entscheidend, weil wir als Hörende auf die Weisheit Gottes zu den Wurzeln des Glaubens zurückfinden. Die Weisheit, wie die Bibel sie versteht, kann sich der Mensch nicht einfach ausdenken. Sie ist schon da – vor den Gedanken, vor jeder Erkenntnis, auch vor jeder Religion. Gottes Weisheit drängt es danach, mir etwas zu sagen. Sie will bemerkt werden. Ihr Drängen ist sehnsuchtsvoll, weil wir als freie Menschen erschaffen sind und so unser Ohr auch abwenden können. Doch dabei verpassen wir möglicherweise das Beste!