Modellprojekt mit muslimischen Jugendlichen im Osnabrücker Land

"Ich wünsche mir, dass wir den Hass beenden"

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Dua Zeitun am Laptop
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Foto: Anja Sabel

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Dua Zeitun aus Osnabrück widmet sich professionell dem interreligiösen und interkulturellen Dialog. Foto: Anja Sabel

Bilder vom Krieg in Nahost erzeugen auch in Deutschland starke Emotionen und lassen so manches Gespräch eskalieren. In einem Projekt mit muslimischen Jugendlichen im Osnabrücker Land gelingt es Dua Zeitun, Vorurteilen und Antisemitismus etwas entgegenzusetzen.

Kriege werden auch mit Bildern geführt, der Krieg in Nahost ist da keine Ausnahme. Über die sozialen Netzwerke wie Tiktok, Instagram oder X prasseln Posts im Sekundentakt vor allem auf Jugendliche ein. Oft handelt es sich um Videos und Fotos, die starke Emotionen erzeugen. Ein nicht unerheblicher Teil davon ist gefälscht. Dua Zeitun rät immer wieder, sich ganz genau die Quellen anzuschauen, nicht zu viel zu konsumieren und sich nicht instrumentalisieren zu lassen, so dass jederzeit noch sachliche Diskussionen möglich sind.

Der Nahostkonflikt strahlt nach Deutschland aus. Er berührt die Familiengeschichten und den Alltag vieler Jugendlicher. Seit dem Überfall der Hamas auf Israel im vergangenen Oktober haben die antisemitischen Vorfälle zugenommen.  Aber auch Jugendlichen mit palästinensischer, arabischer oder türkischer Migrationsbiografie wird oft pauschal und undifferenziert Antisemitismus vorgeworfen.

Wenn Dua Zeitun mit muslimischen Jugendlichen arbeitet, gehe es, wie sie sagt, zum Glück nicht darum, den Nahostkonflikt zu lösen. „Das können wir auch gar nicht. Aber wir können hier in Osnabrück zum gesellschaftlichen Frieden beitragen und lernen, nicht in antisemitische und antimuslimische Fallen zu tappen“.Keine leichte Aufgabe für Dua Zeitun, Tochter syrischer Einwanderer und Expertin für Antisemitismusprävention. Kurz nach Kriegsbeginn waren die Fronten manchmal so verhärtet, dass sie Gespräche abbrechen musste. Es gilt, sich immer wieder zu besinnen, zu reflektieren und den richtigen Zeitpunkt abzuwarten, vor allem, wenn Jugendliche dabei sind, die ihre Wurzeln in Gaza und Angehörige verloren haben. Frische Wunden schmerzen.

Dua Zeitun hat in den vergangenen Jahren schon viele junge Muslime, Juden und Christen zusammengebracht. „Uns verbindet allein schon in religiöser Hinsicht mehr, als man denkt. Wir sind eine Gemeinschaft, das darf sich nicht ändern“, sagt sie und betont aufs Neue: „Wir haben eine Pflicht, den gesellschaftlichen Frieden in diesem Land aufrechtzuerhalten.“

Die 45-Jährige ist sich bewusst, dass antisemitische Propaganda auch muslimische Jugendliche beeinflussen kann. In ihren Gruppen duldet sie so etwas nicht. Regierungen und Politik dürfen natürlich kritisiert werden. Sollte aber jemand Hasspropaganda verbreiten oder gar das Existenzrecht von Israel infrage stellen, zieht sie eine klare Grenze. „Die meisten Jugendlichen, die ich kenne, wollen einfach nur Frieden und keine Bilder mehr von toten Kindern sehen. Wir sind uns einig: Jede verlorene Menschenseele, egal auf welcher Seite, ist ein Verlust.“

Wir sind eine Gemeinschaft, das darf sich nicht ändern.

Seit zwei Jahren leitet Dua Zeitun ein Modellprojekt im Osnabrücker Land, das auf den wachsenden Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus reagiert. Es wird gefördert vom Landesdemokratiezentrum Niedersachsen und vom Landespräventionsrat Niedersachsen, finanziert aus Mitteln des Bundesprogramms „Demokratie leben!“. Dieses Jahr geht das Projekt in seine dritte Runde.

Muslimische Jugendliche werden in freiwilligen Zertifikatkursen zu Multiplikatoren gegen Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus in Familie, Schule und Freundeskreis ausgebildet. Sie wolle nicht das Gefühl vermitteln, der Antisemitismus müsse den Jugendlichen ausgetrieben werden, sagt Dua Zeitun. Aber viele muslimische Jugendliche, erklärt die islamische Theologin und Pädagogin, könnten sich antisemitismuskritischen Ansätzen nur dann richtig öffnen, wenn auch antimuslimische Diskriminierung mitreflektiert und thematisiert werden. Es sei wichtig, die Jugendlichen nachhaltig zu bestärken, Opferkonkurrenzen zu vermeiden und somit den Weg zu ebnen, dass sich muslimische Communitys intensiv mit Antisemitismus beschäftigen.

Aufgearbeitet werden Kränkungen im jüdisch-muslimischen Dialog ebenso wie Antisemitismus in der islamistischen Propaganda. Es gibt ein Argumentationstraining gegen Stammtischparolen sowie Exkursionen zur Holocaust-Gedenkstätte Bergen-Belsen und nach Halle an der Saale. Die jüdische Gemeinde in Halle war 2019 Schauplatz eines gleichermaßen rassistisch wie antisemitisch motivierten Anschlags. „Wir waren in der Synagoge und auch am ehemaligen Dönerladen, in dem damals tödliche Schüsse fielen“, berichtet Dua Zeitun. „Unsere Jugendlichen haben sehr emotional darauf reagiert und erkannt, wozu Antisemitismus und antimuslimischer Rassismus führen können. Das hat uns bestärkt, gemeinsam gegen Hass vorzugehen.“

Im Modellprojekt schreiben die muslimischen Jugendlichen auch Briefe an fiktive jüdische Gleichaltrige – schreiben von ihren Wünschen und Sehnsüchten. Darin heißt es zum Beispiel: „Lieber Rafael, ich wünsche mir, dass wir uns kennenlernen, dass wir den Hass beenden und keine Vorurteile haben.“ Dua Zeitun lächelt. Manche Briefe hebt sie auf und laminiert sie sogar. Sie fühlt sich bestätigt in dem, wofür sie sich engagiert. Sie sagt: „Wir müssen lernen, in unserer Gesellschaft auch Unterschiede auszuhalten und andere Meinungen zu akzeptieren – insofern sie demokratiekonform sind. Das schafft man nur durch Dialog.“ Miteinander reden und auch mal gesund streiten, aber letztendlich mit einer Umarmung und einem Lächeln auseinandergehen: „Ich finde, das ist machbar.“

Dua Zeitun leitet ein Modellprojekt zur Antisemitismusprävention für muslimische Jugendliche und ist Koordinatorin der Muslimischen Jugendcommunity Osnabrücker Land (MUJOS).

Kurz nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel wurde Mathias Middelberg von jungen Leuten gefragt, auf welcher Seite er stehe. Es gab also Redebedarf. Der CDU-Politiker besucht deshalb Schulen in seinem Osnabrücker Wahlkreis und regt zum Nachdenken an. Ein Interview mit ihm lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des Kirchenboten.

Anja Sabel