Verleihung des Friedenspreises

Im Anfang war das Wort

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Der Anfang des Johannesevangeliums hat Gerd Winner schon seit seiner Kindheit begleitet. Später hat er sich künstlerisch damit beschäftigt. Ein Ergebnis davon ist die Skulptur des Wortes vor der St. Andreaskirche in Hildesheim.


Die Wörter Kinder, Gottes und Herrlichkeit
sind auf der Skulptur vor der Andreaskirche
durch Vergoldung hervorgehoben.

Jedes Jahr am 22. März verleiht die Stadt Hildesheim den Friedenspreis. Es ist der Tag, an dem Hildesheim zerstört wurde. Im vergangenen Jahr wurde mit diesem Preis die ökumenische Flüchtlingshilfe FLUX ausgezeichnet. Als sichtbares Zeichen erhält der Preisträger eine aus Stahl gefertigte Stele mit dem Beginn des Johannesevangeliums: „IM ANFANG WAR DAS WORT“ .

Entworfen wurde die Stele 2016 von Gerd Winner, angefertigt unter Mitarbeit von Helmut Bludau. Das knapp vier Meter hohe Original steht im Garten des Künstlers in Schloss Liebenburg. Wie beim Original wurden auch in der kleinen Steele die Buchstaben ausgeschnitten.

Eng verbunden ist dieses Kunstwerk mit der von Winner geschaffenen „Skultptur des Wortes“ vor der Andreaskirche. Seit dem 22. März 2015 steht sie auf dem nördlichen Andreasplatz. Der Initiativkreis Bürgergeschenk Hildesheim 1200 übergab sie der Stadt zum 1200-jährigen Stadtjubiläum. Sie soll an die fast völlige Zerstörung der Altstadt am 22. März 1945 durch alliierte Bomber erinnern.

Wie auf der Friedenssteele geht es auch hier um den Prolog des Johannesevangeliums. Die Verse 1 bis 13 und ein Teil von Vers 14 wurden aus der Stahlpyramide ausgeschnitten.

 „Der  Prolog des Johannesevangeliums hat mich seit meiner frühesten Jugend begleitet. Als sogenanntes Schlussevangelium wurde es immer am Ende des vorkonziliaren lateinischen Gottesdienstes vom Priester gebetet“, erinnert sich Winner. Schon als Messdiener hat ihn dieser Text fasziniert und dann später in der künstlerischen Praxis herausgefordert. „Denn in diesem Prolog des Johannes verdichtet sich unser Bekenntnis zu Gott von der Erschaffung der Welt bis hin zur göttlichen Herrlichkeit“, betont der 84-jährige Künstler.
 


Gerd Winner (links) und Helmut Bludau vor dem
Original der Friedensstele in Liebenburg.

Eigentlich sollte Winner für den Hildesheimer Initiativkreis eine Christusstele für St. Michael konzipieren, für den ursprünglichen Platz der Christussäule, die heute im Dom steht. Schon dafür hatte Winner an den Prolog des Johannesevangeliums gedacht, der sich wie die Bilder der Christussäule um die Stele winden sollte. Das Projekt wurde allerdings nicht realisiert. Dafür entstand der Plan einer Friedensskulptur.

„In Zusammenarbeit mit der Gemeinde sowie mit Hartmut Reichert und Karl-Heinz Krüger vom Initiativkreis, die auch die Konzeptentwicklung begleiteten, entstand schließlich die Skulptur des Wortes“, beschreibt Winner die Genese der Skulptur.
 


FLUX, eine ökumenische Flüchtlingshilfe in Trägerschaft
der Caritas in Hildesheim, wurde 2020 mit dem Friedenspreis
der Stadt Hildesheim ausgezeichnet. Oberbürgermeister
Ingo Meyer (rechts)überreicht den von Gerd Winner gestalteten
Preis an die FLUX-Leiterin Marietta Tebbenjohanns.

Das Kunstwerk als eine Art Wortarchitektur stellt eine formale und inhaltliche Symbiose zur Architektur der Andreaskirche her. „Es steht auf dem gepflas­terten ehemaligen Friedhof inmitten der Stadt. Ich wählte eine geöffnete Pyramidenform, die auf den Kirchturm von St. Andreas ausgerichtet ist. Sie öffnet sich auf die Kirche hin. Aber auch die vermeintlich geschlossene Seite auf die Häuser zu öffnet sich durch die herausgeschnittenen Großbuchstaben hin zur Stadt.“ Für Winner haben die Buchstaben noch eine weitere Bedeutung, denn das Kunstwerk wurde durch den Verkauf der herausgeschnittenen Buchstaben finanziert. „So haben ganz viele Bürger der Stadt einen Anteil an diesem Kunstwerk und sind darüber miteinander – auch spirituell – verbunden“, so Winner.

Die Skultpur des Wortes ist für den Künstler ein Mahnmal der Spiritualität, das auf Gott hinweist. „Zudem wird sie getragen von der Hoffnung auf Frieden in Europa, in der Überwindung von Krieg und Vernichtung“, deutet Winner. Für ihn passt sich die Skulptur in den europäischen Friedensweg von der Normandie bis nach Moskau ein, einer Idee des jüdisch-deutschen Bildhauers und Malers Otto Freundlich aus den 30er-Jahren. „Ein Jakobsweg der Kunst“, wie Winner ihn nennt.

Wichtig ist für den Liebenburger Künstler an der Skulptur vor St. Andreas, „dass sich das Erinnern an den 22. März 1945 voll Hoffnung an die Zukunft richtet. Und diese Hoffnung steckt im Prolog des Johannesevangeliums: Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott.“

Edmund Deppe