Wie feiern wir die Osternacht?
Im Dunkel unsrer Nacht – das Halleluja singen?
Kann man angesichts der Weltlage überhaupt noch Ostern feiern? Diese Frage stellen sich in dieser Zeit viele Menschen. Ein Antwortversuch.
Ostern das Halleluja singen? Ich weiß noch nicht mal, ob ich es überhaupt ertrage, es zu hören angesichts des Krieges in Europa. Da sind die Bilder von geflüchteten Frauen und Kindern, von getöteten Zivilisten und zerstörten Gebäuden. Da ist die Angst so vieler Menschen vor einer unsicheren Zukunft.
Dennoch glaube ich: Ostern, das ist der Sieg des Lebens über den Tod. Denn in der Auferstehung seines Sohnes hat Gott den Tod besiegt. Ein für alle Mal. Halleluja! Aber ein Blick in die Zeitung genügt, um Zweifel aufkommen zu lassen. Der Tod hat viele Gesichter. Und er hat allem Anschein nach viel zu oft das letzte Wort. Doch seit 2000 Jahren feiern Christinnen und Christen trotzdem Ostern. Sie bezeugen damit das Leben und weisen den Tod in die Schranken. Sie glauben: Tod, du hast nicht das letzte Wort!
Frauen stehen am Anfang der Auferstehung
Das Ostergeschehen sprengt alle Vorstellungen, weckt auch hartnäckige Zweifel, macht Angst. Davon ist schon in der Bibel zu lesen. Die Frauen, die am Ostermorgen ans Grab kommen und einem Engel begegnen, wenden sich vom Grab ab und schweigen. Ihre Angst erstickt jeden Jubel. Die Frauen sind sprachlos. Schrecken und Entsetzen haben sie gepackt. (vgl. Mk 16,8)
Das Schweigen der Frauen verwundert nicht in einer Welt, in der Männer das Sagen haben. Das Wort einer Frau hatte keinerlei Gewicht. Doch Frauen stehen am Anfang der Auferstehungstradition. Was die Männer von ihren Worten halten, macht Lukas in seinem Evangelium mehr als deutlich: Für die Apostel ist die Nachricht der Frauen vom leeren Grab dummes Geschwätz, sie glauben den Frauen kein Wort. Aber Petrus steht immerhin auf und läuft zum Grab, um die Worte der Frauen zu überprüfen … (vgl. Lk 24,11f)
Im Evangelium des Johannes heißt es: Maria von Magdala geht frühmorgens zum Grab und sieht, dass der Stein vom Grab weggenommen ist. Ohne hineinzuschauen, dreht sie um und läuft zu Simon Petrus und zu dem anderen Jünger, den ihr Herr liebte. Und sie sagt ihnen: „Den Herrn haben sie aus dem Grab genommen, und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben.“ Die beiden Männer machen sich auf, laufen zum Grab, und werden so zu Zeugen. Zwar betritt Petrus zuerst die Grabkammer, sieht die Leinentücher und das Schweißtuch, doch er kommt nicht zum Glauben. Zum ersten Osterzeugen wird in dieser Szene der andere Jünger, denn er sieht und glaubt. Trotzdem bleiben die Männer nicht am Grab, sie gehen zurück nach Hause. (vgl. Joh 20,1ff)
Ganz anders Maria von Magdala, auch Maria Magdalena genannt, sie bleibt. Im Johannesevangelium ist sie – genau wie im Evangelium des Markus und des Matthäus – die erste Osterzeugin. Ihr begegnet der Auferstandene.
Er ruft sie bei ihrem Namen
Sie betritt am Ostermorgen das Grab, sieht dort zwei Engel sitzen, die sie ansprechen: „Frau, was weinst du?“ Sie sucht den Leichnam Jesu. Weil sie ihn in der Grabkammer nicht findet, dreht sie sich um und sieht vom Eingang her im Gegenlicht eine Silhouette. Der Fremde sagt zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du?“ Sie hält den Mann für den Gärtner und sagt zu ihm: „Herr, wenn du ihn weggetragen hast, sag mir, wohin du ihn gelegt hast. Dann will ich ihn holen.“ Und vermutlich eilt sie dann an dem Mann vorbei auf der Suche nach dem Leichnam.
So zumindest liest der Schriftsteller Patrick Roth diese biblische Szene. In seinem Buch „Magdalena am Grab“ geht er davon aus, dass das Vorbeigehen im Evangelium verschwiegen wird. Doch der Auferstandene und Maria Magdalena müssen abgewandt voneinander gestanden haben, weil sie im Garten den Leichnam gesucht hat. Das aber bedeutet: „Gott und Mensch sehen einander nicht mehr“, so Patrick Roth. Doch als Maria Magdalena vorbeigelaufen ist, wendet Jesus sich um – nach ihr. Er muss sich gewandt haben, als er ihren Namen aussprach: „Maria!“
Jetzt setzt das Evangelium wieder ein, denn auch Maria Magdalena wendet sich. Sie erkennt ihren Meister und spricht ihn an: „Rabbuni!“ In dieser Sekunde, der Magdalenensekunde, wird sie erkannt und erkennt selbst. Die Magdalenensekunde ist für Patrick Roth der Moment, in dem Mensch und Gott sich einander bewusst zuwenden. Maria von Magdala wird gesehen und sieht. Gott sieht sie und lässt sich von ihr sehen. Von einer Frau, die mit einem liebenden Herzen sucht. (vgl. Joh 20,11ff)
Doch in der Bibel heißt es immer wieder „Niemand hat Gott gesehen“. Das weiß auch Johannes, wenn er zu Beginn seines Evangeliums betont: „Keiner hat Gott je gesehen“ (Joh 1,18).
Was heißt das für die Szene im Johannesevangelium? Wen sieht Maria Magdalena eigentlich? Erkennt sie im Garten den Gekreuzigten? Der Theologe und Philosoph Eckhard Nordhofen schreibt: Maria Magdalena „erkennt ihn wieder, aber in der Magdalenensekunde erkennt sie auch, wer er wirklich ist: Rabbuni, der auferstandene Herr der Welten, der Sohn Gottes, Gott selbst.“ Blitzartig erkennt Maria Magdalena: Jesus ist Gott!
Diese Magdalenensekunde bezeichnet die Begegnung von Gott und Mensch. Und diese Sekunde ist benannt nach einer Frau, nach der Apostelin Maria Magdalena, die in der Ostkirche bis auf den heutigen Tag verehrt wird als Apostelgleiche.
Der Maler und Priester Sieger Köder hat diese Magdalenensekunde in einem dunklen Bild eingefangen. Maria Magdalena kniet vor dem leeren Grab und wendet den Kopf zurück. Licht fällt auf ihr Gesicht und eine Hand, die den Auferstandenen greifen möchte.
Dieses Licht wird zur Hoffnung für das ganze Menschengeschlecht. Für alle Gräber und alle Toten. Das will ich auch an diesem Osterfest glauben. Aber ob das reicht für ein „Halleluja“?
Gott hat im Dunkel der Nacht den Tod besiegt, sein Licht aufscheinen lassen. Darum entzünden wir in der Osternacht das Feuer. Und tragen die brennende Kerze in die dunkle Kirche. Was für ein Symbol der Hoffnung: „Im Dunkel unsrer Nacht entzünde das Feuer, das nie mehr erlischt, niemals mehr erlischt …“.
Andreas Brauns