Pfarrer Christian Bock geht in österreichisches Trappistenkloster

Im letzten Lebensdrittel: Stille

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Bis vor Kurzem war Pfarrer Christian Bock (52) aus dem Bistum Dresden-Meißen Seelsorger der deutschen Gemeinde in Washington, jetzt ist er Postulant im österreichischen Trappistenkloster Engelszell. Im Interview erläutert er, was sein Leben prägt.

Pfarrer Christian Bock, bisher Priester des Bistums Dresden-Meißen, in der Bibliothek des Trappisten-Klosters Engelszell. Die Trappisten sind im 16. Jahrhundert aus dem Zisterzienserorden hervorgegangen. Der offizielle Name lautet „Zisterzienser von der strengeren Oberser-vanz“. Mariawald, das letzte deutsche Trappisten-Männerkloster, wurde im September geschlossen. | Foto: privat
 
Sie werden Trappist. Den meisten unserer Leser fällt zu diesem Orden wahrscheinlich nur ein, dass dort das Schweigen großen Raum einnimmt ...   
 
In der Tat spielt das Schweigen in unserem Haus eine große Rolle, wenn die Bedeutung im Laufe der Zeit auch großen Wandlungen unterworfen war. Bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil haben sich die Mönche sogar nur mittels einer Zeichensprache unterhalten. Heute ist dies anders. Da die Trappisten nicht 24 Stunden am Tag schweigen, kann ich mich zu bestimmten Zeiten wie jeder andere Mensch meinen Mitbrüdern mitteilen.
Entscheidend ist aber für uns im Stift Engelszell, dass eine Kultur der Stille herrscht. Es gibt daher heilige Zeiten des Schweigens, zum Beispiel nach der Komplet bis zum nächsten Tag nach der heiligen Messe sowie bei den gemeinsamen Mahlzeiten, in denen Gespräche absolut unterlassen werden. Wenn es gar nicht anders geht, wird dann im Flüsterton eine kurze Botschaft vermittelt.
 
Worin liegt für Sie der Wert des Schweigens?
 
Das Schweigen ist kein Selbstzweck, sondern als eine Art Schlüssel zu verstehen. Die Hauptaufgabe des Mönches nach der Regel des heiligen Benedikt bleibt die Gottsuche. Dazu bedient er sich vieler Hilfsmittel. An erster Stelle steht hier das Gebet als lebendiges Gespräch mit Gott. Natürlich ist hier auch die Liturgie insgesamt zu nennen.
Nach unserem Verständnis der Liturgie ist Gott immer derjenige, der zuerst handelt. Unser Gebet ist nur Antwort auf das, was Gott an uns getan hat. Wer die Antwort Gottes verstehen will, muss daher auch die Sprache Gottes verstehen lernen. Oft sind es die kleinen Zeichen am Wegrand, in denen Gott sich offenbart. Das, was viele Menschen als Zufälle bezeichnen würden, kann eine Mitteilung Gottes enthalten. Da wir Menschen aber von so vielen Informationen überflutet werden, nehmen wir die leise Stimme Gottes in unserem Alltag nicht mehr wahr. Still zu werden und die laute Geräuschkulisse des Alltags abzustellen, ist der erste Schritt auf dem Weg der Konzentration auf das Wesentliche im Leben. Das Schweigen führt zur inneren Ruhe, dann erst ist Hören auf das Wort Gottes möglich.
Schweigen stellt sich aber nicht automatisch ein. Es will gelernt sein. Wer einmal versucht, einen Tag oder gar nur eine Stunde still zu sein, wird merken, wie oft er Mechanismen einsetzt, um wieder auszubrechen. Er rutscht  zum Beispiel unruhig auf dem Stuhl hin und her. Sein Kopf füllt sich mit Gedanken, er denkt über anstehende Probleme und Aufgaben nach ... Ich habe auch erlebt, dass nach einer gewissen Zeit des Schweigens sich Albernheit einstellt. Über die einfachsten Dinge habe ich angefangen zu lachen. Erst nach langen Übungen gelingt es, auch mental in der Stille zu bleiben. Dann erst fängt der Prozess an, der zur Konzentration auf sich selbst führt.
Ich beginne, mein Inneres zu erkunden. Hierbei finde ich auch Schwachstellen und Versäumnisse, peinliche Situationen aus der Vergangenheit, viele Ereignisse und Personen, die nur noch im Unterbewusstsein präsent waren. Eine solche „Lebensbeichte“ ist ein wichtiger Moment in Schweigeexerzitien, hat aber mit der Reise des Mönches in die Welt des Schweigens nur am Rande etwas zu tun.
In einem zweiten Schritt nämlich erfasst das Schweigen auch den Körper. Der Atem wird ruhiger. Für mich ist es eine Gnade, dieses Gefühl ganzheitlichen leiblichen Schweigens erleben zu dürfen. Es nimmt Stress aus dem Leben und macht mich viel gelassener. 
Hierher gehört für mich auch das Schweigen bei den Mahlzeiten. In meiner aktiven Zeit als Gemeindepfarrer bin ich so oft von einer Sitzung zur nächsten gehechtet. Ich habe mein Zeitmanagement auf Kosten der Gesundheit reguliert, indem ich weniger Zeit für die Mahlzeiten eingeplant habe. Ich bin am Kühlschrank vorbeigehastet, habe mir ein belegtes Brot gemacht und es eilig ver-schlungen.
Jetzt esse ich in Gemeinschaft und zwar regelmäßig und im Schweigen. Nur die Tischlesung erklingt und begleitet uns, während wir in Ruhe die Mahlzeit einnehmen. Ich esse und kaue bewusster und nehme überhaupt wieder den Geschmack der Speisen wahr. Diese leiblichen Erfahrungen haben aber immer noch nichts mit einem kontemplativen Gebetsleben zu tun. Die weiteren, viel wichtigeren Prozesse stehen mir erst noch bevor, nämlich aus der Stille heraus offen zu sein für das, was weiter mit mir geschieht. Darauf bin ich gespannt.
 
Was war ausschlaggebend für Ihre Entscheidung?
 
Ich denke oft darüber nach, was ich mit meiner Lebenszeit anfangen will. Meine Entscheidung ist geprägt von einer Vorstellung: Beim Rückblick am Ende meines Lebens möchte ich nicht feststellen müssen, dass ich einen wesentlichen Zweig meiner Berufung verpasst habe. Ich will nicht feststellen müssen, dass ich gerne Ordenspriester geworden wäre, es aber nicht geworden bin, weil falsches Sicherheitsdenken und Bequemlichkeit mich davon abgehalten haben. Meine Kalkulation ist daher ganz einfach: Ein erstes Drittel meines Lebens habe ich mit Ausbildung und meiner Tätigkeit als Jurist verbracht. Diese Zeit war sehr erfüllend und sinnstiftend. Das zweite Drittel habe ich damit verbracht, Pries-ter zu werden und als Gemeindepfarrer zu arbeiten. Im letzten Drittel möchte ich stellvertretend für viele Menschen in dieser Welt, die das Beten verlernt haben, beten. In unserer Zeit, in der einstmals sichere politische Lager des Westens und Ostens zerbrochen sind und sich die Auseinandersetzung zwischen West und Ost in eine Vielzahl lokaler und überregionaler Konflikte zerschlagen hat, erscheint mir dies wichtiger denn je. Dabei spielt auch eine Rolle, dass ich am Ende meines Lebens nicht als Pensionär in einer kleinen Stadtwohnung vergessen dahinvegetieren will. Ich sehe mit Besorgnis die Situation der Pensionäre im Bistum Dresden-Meißen. Ein Kontrast hierzu war für mich im Stift Engelszell die Erfahrung der Fürsorge für einen sterbenden alten Pater, der eine Rundumbetreuung durch die Mitbrüder bekam. Das war für mich tätige Nächstenliebe in Höchstform und Ausdruck einer würdigen Kultur des mitmenschlichen Umgangs.
 
Haben Sie den Eindruck, dass es Sie schon immer in eine solche Richtung gezogen hat?
 
Ja, ich war schon immer vom Ordensleben angezogen. Als ich darüber nachzudenken begann, Priester im Bistum Dresden-Meißen zu werden, wurde ich vom damaligen Personalchef zu Franziskanern geschickt, um dort Exerzitien zu machen. Als ich zurückkam, musste mich der Personalchef bremsen, dass ich nicht sofort bei den Franziskanern eintrete. Er sagte mir, ich solle erst die ganze Kirche kennenlernen, bevor ich mich an eine Gemeinschaft binde. Diesem Rat bin ich mit offenen Augen für die katholischen Gemeinschaften gefolgt. Ich habe meine Freisemester im Theologiestudium bei den Jesuiten in St. Georgen in Frankfurt absolviert, um diesen Weg zu prüfen. Nach dem Theologiestudium in Münster absolvierte ich an einer Ordensschule der Karmeliten das Pastoralpraktikum. So lernte ich die Benediktiner, Dominikaner, Zisterzienser, Franziskaner, Karmeliten und andere Gemeinschaften kennen. Schon damals verstand ich mich am besten mit dem Zisterzienser, aber gefunkt hat es noch nicht.
Nach der Priesterweihe lernte ich in Chemnitz die Salesianer Don Boscos kennen. Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen hat mir immer Spaß gemacht und ich dachte, dass dies mein Weg sei. Ich habe das Postulat absolviert und bin nach Turin in das Noviziat der Salesianer gegangen, allerdings mit fatalem Ergebnis. Sehr kleinlaut kam ich aus Italien wieder, da ich mich gründlich über meine Berufung getäuscht hatte. Ich hatte mir einreden wollen, was einfach nicht war, nämlich dass ich für diesen Weg berufen bin. Im Jahre 2010 erklärte ich daher für mich die Frage der Ordensberufung für erledigt. Bis ich nach Amerika kam.
 
Manche Priester hierzulande leiden an dem Übermaß an Verwaltungstätigkeit und Hektik, das sie in Folge ihrer wachsenden „Reviere“ bewältigen müssen. Ist Ihr Weg auch eine Art Flucht vor solcher Überforderung?
 
In meiner Zeit als Gemeindepfarrer habe ich es selten erlebt, in der Woche einen ganzen Tag frei zu haben. Es kommt hinzu, dass ich dazu neige, vieles alleine machen zu wollen. Das ist sicher kein guter Zug an mir. Es war also in der Tat oft stressig. In den USA war ich mit drei Aufgabengebieten mehr als ausgelastet. Ich war Gemeindepfarrer der deutschsprachigen katholischen Gemeinde, Religionslehrer an einer deutschen Schule und Militärpfarrer.
Seitdem ich im Stift Engelszell bin, haben sich meine Aufgaben erheblich gewandelt. Das ändert aber nichts daran, dass die Brüder in der kleinen Gemeinschaft hier alle älter sind als ich. Die Priester sind beide über 80 Jahre und die Brüder durchweg um die 60. Schon altersbedingt bin ich in fast allen Aufgabenbereichen gefordert. Mein Gebets- und Arbeitstag beginnt um 4.30 Uhr morgens und endet um 20 Uhr abends.
Wer sich das Klosterleben als beschauliches Dasein von im Stundengebet vor sich hindösender Mönche vorstellt, geht an der Wirklichkeit weit vorbei. Er übersieht, dass das umfangreiche Gebetspensum nicht an die Stelle der täglichen Arbeit tritt, sondern zusätzlich dazu kommt und so im Tagesablauf angeordnet ist, dass es prägend wirkt. Wer also auf ein eher träges Leben aus ist, sollte sich den Schritt ins Kloster gut überlegen. Er ist nicht nur von falschen Motiven getrieben, sondern auch inhaltlich an der falschen Stelle, da jeder Abt das „Labora“ in „Ora et Labora“ sehr ernst nimmt.
 
Fragen: Dorothee Wanzek