Geistlicher Missbrauch

Im Namen Gottes war das nicht

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Seelsorgliche Begleitung soll Menschen helfen, ihren Glauben in Freiheit zu leben. Doch in der Vergangenheit gab es im Bistum Osnabrück Fälle, in denen genau das Gegenteil passierte. Jetzt werden Betroffene unterstützt.


Geistlicher Missbrauch mit Hilfe der Beichte: Auch hier haben viele Menschen Rat und Unterstützung gesucht. Manchen wurde aber die Freiheit zu einer persönlichen Entscheidung genommen. Foto: kna/Farid Djemmal

„Es gab dafür keine Sprache.“ Julie Kirchberg und Ludger Pietruschka suchen nach einer Erklärung dafür, warum es lange dauerte, bis neben dem sexuellen Missbrauch auch der geistliche Missbrauch in der Kirche ein Thema wurde. Beide sind langjährige Mitarbeiter des Bistums Osnabrück, Kirchberg bis 2019 an verantwortlicher Stelle im Seelsorgeamt, Pietruschka seit 1979 als Pastoralreferent. Sie sind Ansprechpersonen für von geistlichem Missbrauch Betroffene im Bistum Osnabrück.

Deutlich zu machen, was geistlicher Missbrauch ist, aufklären, wie er benannt werden kann, darum kümmern sich die beiden zurzeit. Und um den Kontakt zu  Betroffenen, die vor rund 50 oder 30 Jahren oder auch in neuerer Zeit geistlichen Missbrauch erlebt haben. Viele von ihnen wollen gehört werden und Unterstützung finden. „Geistlicher Missbrauch ist die andauernde Manipulation, Unterdrückung und Ausnutzung anderer ,im Namen Gottes‘, um sie für das Erreichen eigener Zwecke und Ziele gefügig zu machen“, hat  Hannah Schulz formuliert, die als Therapeutin, Supervisorin, Exerzitienbegleiterin und Referentin in der Erwachsenenbildung tätig ist. 


Julie Kirchberg Foto: Matthias Petersen

Wenn durch einen geistlichen Begleiter neue Abhängigkeiten geschaffen werden, statt den Begleiteten in seiner Entwicklung zum „freien Christenmenschen“ zu unterstützen, sei Missbrauch im Spiel, sagt Julie Kirchberg. Die ehemalige Ordenfrau Doris Reisinger, die in einer Gemeinschaft geistlich und sexuell missbraucht wurde, spricht von „spiritueller Fremdbestimmung“, die die ethisch und theologisch gebotene Selbstbestimmung eines Menschen untergrabe. 

Eingebettet ist die Arbeit von Kirchberg und Pietruschka in die der Arbeitsgruppen zum sogenannten Schutzprozess im Bistum. Geistlicher Missbrauch entstehe etwa in Gemeinschaften, wenn sie sich abkapselten, oder in Gesprächen geistlicher Begleitung, sagt Julie Kirchberg. Und Ludger Pietruschka ergänzt: „Damit wollen wir keinesfalls solche Gespräche unter einen Generalverdacht stellen. Beratungsstellen und geistliche Begleiterinnen und -begleiter leisten im Bistum sehr gute Arbeit.“

Abhängigkeit statt Autonomie

Wer sich in eine Begleitungssituation begibt, nimmt automatisch ein Machtgefälle in Kauf. Dort der Berater oder Seelsorger, der Fachwissen mitbringt, hier der Begleitete, der auf Unterstützung hofft. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil hatten vor allem junge Menschen ihr spirituelles Leben neu entdeckt und dafür mehr und mehr Hilfe und Unterstützung von kirchlichen Mitarbeitern bekommen. Standards für die Begleitung existierten lange nicht. Manche charismatische Führungsperson spielte sich dann zu sehr in den Vordergrund. Das Machtgefälle sei von einigen Personen für eigene Zwecke missbraucht worden, sagen Pietruschka und Kirchberg. Da seien dann zum Beispiel Beru­funsgwege vorgegeben worden, obwohl die Betroffenen sich ihrer Sache gar nicht sicher gewesen seien. 


Ludger Pietruschka Foto: Matthias Petersen

Vorwürfe gibt es in diesem Zusammenhang schon seit Jahren gegen die sogenannte Christusgemeinschaft. Immer wieder hatte es geheißen, dass Menschen abhängig gemacht worden seien. Im Juni 2011 hatten Bischof Franz-Josef Bode sowie der Priesterrat die Gespräche mit Priestern der Gruppe beendet. Der Bischof verbot die „Christusgemeinschaft“ nicht, stellte aber auch klar, dass sie nicht mehr zur Arbeitsgemeinschaft der Geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen gehören könne.

Es ist die Aufgabe von Seelsorgerinnen und Seelsorgern sowie allen, die andere auf ihrem Glaubensweg begleiten, die befreiende Botschaft des Evangeliums zu erschließen. Kirchberg und Pietruschka sagen es so: „Geistlicher Missbrauch beginnt dort, wo jemand einen Menschen, der von ihm Wegweisung erwartet, stattdessen mit Hilfe biblischer Aussagen, theologischer Inhalte oder spiritueller Praktiken manipuliert und unter Druck setzt.“ Statt in eine befreiende und erfüllende Beziehung mit Gott werde die missbrauchte Person in die Irre, in Enge und Isolierung geführt. Das Ergebnis sei Abhängigkeit statt Autonomie.

Matthias Petersen

Betroffene aus dem Bistum Osnabrück, die geistlichen Missbrauch erlebt haben, können sich an die beiden Ansprechpersonen wenden. Dafür sind kostenfreie Rufnummern freigeschaltet worden:
Julie Kirchberg: Telefon 08 00/7 35 41 27; E-Mail: kirchberg@intervention-os.de
Ludger Pietruschka: Telefon 08 00/7 35 41 28; E-Mail: pietruschka@intervention-os.de