Anstoss 48/19

Immer gleich oder doch anders?

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Jedes Jahr das Gleiche. Oder besser gesagt der Gleiche. Meine Schwestern und ich hatten jede einen über die Zeit unserer Kindheit. Alljährlich wurde er pünktlich zum 1. Dezember hervorgeholt und an die Wand gehängt.


Nach Weihnachten wurde er wieder abgehängt, alle 24 Türchen sorgfältig zugedrückt und er verschwand in der Adventssachenaufbewahrungskiste – bis zum nächsten Jahr.
Jeden Tag ein Türchen öffnen, natürlich ganz vorsichtig, damit die perforierte, inzwischen aber schon sehr fragil gewordene Seite nicht riss. Hinter jedem Türchen gab es ein Bild: einen Schlitten, ein Lebkuchenherz, am 6. Dezember den Nikolaus und andere Bildchen mehr, die ein Kinderherz erfreuen. Der 24. Dezember hatte eine Doppeltür, damit die Heilige Familie samt Krippe, Stern und Stall gebührend Platz hatte. Obwohl es jahraus jahrein der gleiche Kalender war, so war er doch jedes Jahr wieder etwas Neues. Er brachte uns die Vorfreude auf Weihnachten, die, wenn man in Kinderschuhen steckt, noch wirkliche Vorfreude war und kein erwachsenentypisches ängstliches Zählen der noch verbleibenden Tage bis zum Fest, weil bis dahin noch so viel zu erledigen ist.
Advent – jedes Jahr das Gleiche. Während die Straßen in weihnachtliche Beleuchtung getaucht werden, Glühweinduft die Luft schwängert und Weihnachtslieder dem Fest vorauseilen, traben Gläubige in aller Herrgottsfrühe zur Roratemesse, erklingen das „Wachet auf“ und, mit jedem Adventssonntag eine Strophe mehr, „Wir sagen euch an den lieben Advent“. Über allem schwebt die Mahnung oder Ermunterung zur Besinnung – jedes Jahr, immer das Gleiche.

Ein Perspektivwechsel kann das auf den Kopf stellen. Bei allem, was im Advent zu tun ist, den im Blick haben, dessen Geburtsfest wir feiern und dessen Wiederkommen, von dem wir nicht wissen, wann das sein wird, wir erwarten. Das heißt adventlich leben. Darin hat alles seinen Platz: Plätzchenbacken, Geschenke besorgen, Tannenbaum kaufen, Wohnung schmücken, Glühwein genießen ... Es kommt auf die innere Haltung an – und dann können wir in einem stillen Moment vielleicht feststellen, dass wir nicht mehr die Gleichen sind.
 
Andrea Wilke, Erfurt